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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Zeit im steten Bewußtsein seiner höhern Pflichten gegen die Anstalt danach gestrebt, durch Epoche machende Werke zu glänzen und nach ungewöhnlichem schriftstellerischen Ruhme zu trachten, so haben dieselben doch, so weit bekannt, mit wenigen Ausnahmen – besonders in neuern Zeiten – den dauernden Ruhm der treusten Hingebung an die edlern Zwecke der Schule bewährt und Roßleben zur wahrhaften Pflege- und Bildungsstätte des echten Humanismus gemacht, wo Obscurantismus und anderer Ismus gleicher Art zu keiner Zeit die mindeste Wurzel fassen konnten. – Der deutsche Norden hat überhaupt – und Roßleben sammt seinen ein Jahrzehnt früher gestifteten drei „fürstlichen“ Schwestern Pforta, Meißen, Grimma, schließt sich dem zum Beweise ganz vorzüglich an – einen hochgebildeten Lehrerstand aufzuweisen, der eine feste, unerschütterliche

Die Klosterschule Roßleben.

Phalanx gegen die Ueberfluthungen theologischen und ähnlichen Unwesens bildete und bildet.

Hier und da haben sich neuerer Zeit vereinzelte Stimmen gegen diese „geschlossenen“ Klosterschulen hören lassen. Man hat ihre Licht- und Schattenseiten abgewogen. Wir wollen hier darauf nicht näher eingehen. Nur dies sei bemerkt: Eine gemeinsame Erziehung scheint ganz besondere Vortheile zu bieten. Eine solche im größern Maßstabe, wie auf Klosterschulen, ist nicht ohne festgewurzelte Disciplin und Ordnung möglich. Ordnung aber erheischt Commando. Lehr- und Erziehungsinstitute dieser Art – dies ist unsere feste Ueberzeugung – können nur durch den Geist ihrer Leiter und Lehrer zu schlechten werden, also durch Brutalität – Gamaschendienst – Pedanterie – Niedertreten der Ueberzeugungen und der IndividualitätBevorzugung einzelner und vornehmerer Zöglinge, Hinsteuern zu unwürdigen (auch Partei-)Zwecken etc. Eine solche Corruption der Bildungsprincipien scheint jedoch auf unsern protestantischen Gymnasien kaum möglich, am wenigsten in Roßleben, das sich von jeher, ja früher, als viele andere Schulen, durch wahrhaft humane Lehr- und Erziehungsweise auszeichnete, worüber wohl alle ehemaligen Zöglinge dieser trefflichen Anstalt in Rückblick auf ihre Schulzeit mit mir einig sein werden.

Viele ausgezeichnete Männer sind schon aus dieser Anstalt hervorgegangen. Alle, wohin das Schicksal sie auch verschlagen hat, gedenken mit warmer Freude der schönen Jahre, die sie in Roßleben zugebracht. Mit Entzücken wird das Auge manches Greises, manches gereiften Mannes auf unserem Bilde ruhen, und voll Begeisterung erzählt er dem Kreise lauschender Kinder oder Enkel von der „güldnen Aue“, ihren Schönheiten und Merkwürdigkeiten. Diese herrliche weite Landschaft, dicht mit reichen Dörfern besät, ihren prächtigen unabsehbaren Wiesen und waldgekrönten Bergen – wer könnte sie je vergessen? Eine grüne Weide, das Ried genannt, zieht sich meilenweit am Ufer der Unstrut entlang, belebt von großen Heerden weidenden Rindviehs und Pferden, die der Gegend einen sehr belebenden Reiz geben. Ein Geist des Friedens, der Stille ist über dem ganzen, weiten, sonnigen Thale ausgebreitet und theilt sich dem Gemüth des Beschauers gar wohlthätig mit. Man ist hier entfernt vom Trouble großer Stätte, keine Eisenbahn stört durch ihren schrillen Pfiff die tiefe Ruhe der Natur – nicht einmal eine Chaussee geht durch diesen Theil des Thales.

Gegen Westen schließt die Aussicht von Roßleben der Kyffhäuser-Berg, auf dessen höchster Spitze ein alter Thurm, gleich einem emporgestreckten Finger, gegen den goldnen Abendhimmel absticht. Er erinnert uns, daß wir hier auf historischem Boden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 508. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_508.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)