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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

müsse, so leid es ihr thue, Madame Schröder-Devrient bitten, sich im Lauf der nächsten acht Tage eine andere Wohnung zu suchen; ihr Gewissen erlaube ihr nicht, in ihrem „christlichen Hause“ solche Sabbathschändung zu dulden. – Vergebens stellte ihr Wilhelmine vor, daß sie mit der englischen Sonntagsfeier ganz unbekannt gewesen wäre, daß sie nur gethan hätte, was in Deutschland allgemein geschähe. Die Engländerin blieb unerschütterlich – die singende, strickende Deutsche durfte keinen zweiten Sonntag in dem „christlichen Hause“ erleben.

Am allerpeinlichsten aber war für Wilhelmine das geringe Musikverständniß der Engländer. „Die große Menge,“ schreibt sie, „schwärmte für diesen oder jenen Componisten, für diesen oder jenen Sänger, nur weil es so Mode war. Jenes sich Hingeben an die Musik, das dem deutschen Volke in so hohem Maße eigen ist, war dort nur bei Einzelnen zu finden. War ein Künstler einmal Mode, so konnte er thun und lassen, was er wollte; so lange ihm die Mode zur Seite stand, war Alles recht und gut, und wenn die heilige Cäcilie selber vom Himmel herunter gestiegen wäre, sie hätte nicht wagen dürfen, sich mit ihm zu messen. Man that übrigens wohl, sich auf dies „Modesein“ nicht zu viel einzubilden, denn der Grund dazu war oft für den Künstler nichts weniger als schmeichelhaft. Ein Beweis dafür war Hummel. Er hatte schon in mehreren Concerten gespielt, ohne besonders beachtet zu werden; das eine Mal aber fiel es einer der tonangebenden Damen ein, während seines Spieles aufzustehn, um die Bewegungen seiner Hände zu beobachten – und nun schien ihr plötzlich die Musik verständlich zu werden. Ein steigendes Entzücken malte sich in ihren Zügen – endlich brach sie in die bewundernden Worte aus: „O der Triller, der Triller, und noch dazu mit der linken Hand!“ Wie eine Losung flogen die Worte von Mund zu Mund; alle Damen standen auf, Hummels Spiel zu – betrachten; als er zu Ende gekommen war, brach von allen Seiten donnernder Beifall aus, und von Stund’ an war er der erklärte Liebling der Londoner „musikalischen“ Welt.“

„Auch ich habe Gelegenheit gehabt, gar eigenthümliche Erfahrungen zu machen,“ fährt Wilhelmine fort. „Als ich zum ersten Mal in einer großen Privatgesellschaft singen wollte, machte mir ein berühmter deutscher Künstler, der mich accompagnirte, den Vorschlag, einen Strauß’schen Walzer zu wählen. „Das kann nicht Ihr Ernst sein!“ rief ich halb bestürzt, halb unwillig. Der Künstler lachte. „Ich sehe,“ sagte er, „daß Sie das hiesige Publicum nicht kennen und in allerlei Illusionen befangen sind. Singen Sie, was Sie wollen: die Cavatine aus der Euryanthe oder „Du, Du liegst mir im Herzen,“ die große Arie aus Fidelio oder „Und als der Großvater die Großmutter nahm“ – immer wird Ihr Gesang nur die Begleitung zu der lebhaften Unterhaltung sein, die mit den ersten Tönen der Musik beginnt. Hören Sie aber auf zu singen, so stockt jedes Gespräch und der rauschendste Applaus wird Ihnen zu Theil.“ Ich hielt diese Worte für einen Scherz – noch dazu für einen schlechten. Aber ich habe mich vom ersten bis zum letzten Liede, das ich in englischen Gesellschaften gesungen habe, von ihrer Wahrheit überzeugen müssen.“

Trotz dieser Erfahrungen und Enttäuschungen konnte sich Wilhelmine Schröder-Devrient dem berauschenden Einfluß nicht entziehen, der in dem Bewußtsein liegt, inmitten der gewaltigen Strömung des Londoner Lebens, wenn auch nur auf Augenblicke, aufzutauchen und zum Mittelpunkte zu werden, dem sich Hunderttausende in Bewunderung zuwenden. – Dieser Zauber bewog sie denn auch, im Mai 1833 abermals nach London zu gehen, obwohl sie das Jahr zuvor die contractlich zugesicherte Gage nicht erhalten hatte.

Das zweite Londoner Engagement – wieder bei der deutschen Oper und für die Dauer der Saison – schloß Wilhelmine mit Mr. Bunn, Director des Theaters von Drury Lane. Ihr Repertoir sollte folgende Opern umfassen: Fidelio, – Freischütz, – Euryanthe, – Oberon, – Iphigenie, – Vestalin, – Zauberflöte, – Jessonda, – Templer und Jüdin, – Blaubart, – Libella, – Wasserträger – viele derselben kamen aber nicht zur Aufführung. Sie verpflichtete sich, 25 Mal aufzutreten, und sollte für jede Vorstellung 40 L. St. erhalten. Außerdem wurde ihr ein Benefiz bewilligt, wogegen sie eine Abschiedsvorstellung zum Besten der Direction geben sollte.

Das Jahr zuvor war die Zauberflöte zum ersten Mal in London gegeben, dies Mal lernten die Engländer Jessonda und Euryanthe kennen, und letztere besonders erregte das höchste Entzücken. In derselben Stadt, wo Carl Maria von Weber vor kaum sieben Jahren verkannt und verlassen sterben mußte, war er jetzt der erklärte Liebling aller Stände, und nur der Erfolg der „Teufelsbrücke“ – einer englischen Posse, worin die Malibran spielte – kam dem seiner Opern gleich. Mr. Bunn hatte nämlich neben der deutschen auch eine englische Oper, bei welcher die Malibran engagirt war, und da er den Geschmack seiner Landsleute kannte, ließ er die beiden Gesellschaften einen Abend um den andern spielen, oder auch – um Jedem, der sein Theater besuchte, gerecht zu werden – nach dem Fidelio, dem Freischütz, der Euryanthe die beliebte Teufelsbrücke folgen. Marie Malibran hatte wieder den Schmerz, sich die deutsche Künstlerin an die Seite gestellt zu sehen und allgemein – in der Gesellschaft, wie in der Presse – das Urtheil zu hören, daß ihr Wilhelmine Schröder-Devrient zum Mindesten ebenbürtig wäre. „Freilich,“ – setzten die Freunde der Malibran hinzu – „ist Schröder-Devrients Talent nicht so vielseitig, wie das der italienischen Sängerin. Die deutsche kann nur die Priesterin der ernsten deutschen Muse sein; kann nur Spohrs, Webers, Beethovens Melodien singen. Mit Bellini würde sie nichts anzufangen wissen.“

Diesen Irrthum sollte Wilhelmine Schröder-Devrient -– wenn auch erst vier Jahre später – auf’s Glänzendste widerlegen. Zur Saison 1837 ging sie zum dritten Mal nach London, diesmal zu der englischen Oper, die Bunn für die beiden Theater Covent-Garden und Drury-Lane engagirt hatte. Wilhelmine debütirte wieder als Fidelio, den sie jetzt aber in einer schlechten englischen Uebersetzung singen mußte. (Auch den Freischütz, die Euryanthe, die Zauberflöte und andere deutsche Opern hatte Bunn in ähnlicher Weise zurechtmachen lassen.) Das Publicum sah Wilhelminens Auftreten in großer Spannung entgegen; man fürchtete allgemein, daß sie die fremde Sprache nicht genug in der Gewalt haben würde. Bei den ersten Worten, die Fidelio spricht, ließ sich auch der fremde Accent und eine gewisse Aengstlichkeit nicht verkennen, aber als die Künstlerin zu singen begann, wurde die Aussprache sicherer, correcter, und am folgenden Tage erklärten die englischen Blätter einstimmig, Schröder-Devrient hätte noch nie so entzückend gesungen, wie in diesem Jahre. „Anfangs verursachte ihr die fremde Sprache einige Schwierigkeiten,“ heißt es in einem dieser Journale, – „aber sie hat dieselben vollständig besiegt und beweist uns, daß die englische Sprache der deutschen an Wohllaut in demselben Maße überlegen ist, wie das Englische wieder von dem Italienischen übertroffen wird.“ – Wilhelmine war nicht ganz dieser Meinung!

Nach dem Fidelio folgten nun: die Vestalin, Norma und Romeo, und für jede dieser Rollen wurde der Künstlerin enthusiastischer Dank zu Theil. Aber als die Zeitungen verkündigten, daß sie auch als Sonnambula auftreten würde, ließen sich von allen Seiten zweifelnde, beinah tadelnde Stimmen hören. Die Sonnambula war eine Hauptrolle der unvergeßlichen Malibran gewesen – wer durfte es wagen, sie nach ihr zu singen? Dennoch errang Wilhelmine auch in dieser Partie den entschiedensten Triumph. Ihre Amine, das war das allgemeine Urtheil, überträfe alle ihre Vorgängerinnen an Schönheit, Wahrheit und Wärme.

Aber während die Künstlerin vom Publicum mit Beweisen der Zuneigung und Bewunderung überhäuft wurde, bereitete ihr der Director Bunn tausendfältigen Verdruß. Der erste Grund zu Mißhelligkeiten war, daß er seine pecuniären Verpflichtungen nicht erfüllte, auf der andern Seite aber die übertriebensten Anforderungen machte. Wilhelmine brauchte wöchentlich zwar nur zwei Mal, höchstens drei Mal aufzutreten, dann hatte sie jedoch die Aufgabe, erst z. B. den Fidelio zu singen, dann kam ein Zwischenspiel oder Ballet, das ihr Zeit gab, sich etwas zu erholen, und zum Schluß sang sie dann noch den letzten Act aus den Capuletti; oder der Abend begann mit der Norma, um mit dem zweiten Act des Fidelio zu schließen; oder es standen gleich drei Bruchstücke verschiedener Opern auf dem Repertoir. Dazu kamen Virtuosenconcerte, Concerte für wohlthätige Zwecke, Matinées und Soiréen in Privatkreisen, denen die Künstlerin ihre Mitwirkung nicht versagen konnte, bis sie endlich der Anstrengung erlag. Sie wurde ernstlich krank, und nun offenbarte sich Bunn’s Charakter in seiner ganzen Rohheit. Er bestürmte die kranke, schutzlose Frau mit Anforderungen, die sich bis zu Drohungen steigerten. Einmal ging er soweit, daß er in das Zimmer der Kranken eindrang, um sie mit Gewalt auf die Bühne zu schleppen. „Daß sie nicht singen könne,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_510.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)