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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

sähe er wohl,“ versicherte der Ehrenmann ein Mal über das andere – „das wolle er denn auch gar nicht verlangen. Sie solle sich nur einen Augenblick im Costüm vor dem Publicum zeigen, dann könne er „wegen plötzlich eingetretenen Unwohlseins der Sängerin“ ein anderes Stück einschieben und hätte die Einnahme gerettet.“

Dem energischen Einschreiten des Arztes gelang es, Wilhelminen für diesmal von dem Unverschämten zu befreien, aber durch sein wiederholtes Drängen ließ sie sich verleiten, wieder aufzutreten, als sie kaum zur Hälfte genesen war. Als der Vorhang zum letzten Male fiel – sie hatte erst Fidelio, dann den zweiten Act der Sonnambula gesungen – sank sie ohnmächtig zusammen und kehrte erst nach zwei Stunden zum Bewußtsein zurück.

Zum Glück war das Ende der schweren Zeit nicht mehr fern, und die Hoffnung auf baldige Erlösung gab Wilhelminen Kraft. Sie genas, trat noch ein paar Mal auf, gab ihre Abschiedsvorstellung und wartete, um abzureisen, nur noch auf die Auszahlung der ihr versprochenen Summe – als sich Mr. Bunn banquerott erklärte. Die öffentliche Meinung sprach sich ganz entschieden gegen ihn aus; die Zeitungen rechneten ihm die enormen Einnahmen nach, die ihm Wilhelmine Schröder-Devrient sowohl, wie die Taglioni, die zu derselben Zeit bei ihm engagirt war, verschafft hatte – es war umsonst; die betrogenen Künstlerinnen konnten nichts gegen ihn ausrichten und mußten abreisen, ohne auch nur einen Theil der Gage zu erhalten.

Körperlich und geistig müde kam Wilhelmine nach Deutschland zurück. Sie hätte der größten Ruhe bedurft, konnte sie sich aber nicht gönnen, da ihr die Früchte ihrer letzten, übergroßen Anstrengungen verloren gegangen waren. Gleich nachdem sie in Hamburg angekommen war, trat sie ein Gastspiel an; mit welchen Empfindungen und Befürchtungen, spricht sie in einem Briefe an einen deutschen Freund in London aus. Sie schreibt:

„Mein lieber Freund! Zürnen Sie mir nicht über mein langes Schweigen, was Sie allerdings befremden und beängstigen muß. Sie wissen ja aber, wie es geht, wenn man beschäftigt ist. Gern würde ich Ihnen ausführlich schreiben, erlaubte es meine Zeit und meine hypochondrische Stimmung, denn Sie mögen wissen, daß ich ganz elend bin! Morgen reise ich ab, Gott sei Dank, und denke in längstens acht Tagen in Dresden zu sein. Hier haben Sie fast dieselben Worte wie in Weber’s letztem Brief, und aus Grund meines Herzens wünsche ich mir ein gleiches Loos.[1] Ich wollte, ich stände morgen nicht mehr auf. Ich glaube auch, daß ich mich nie wieder ganz erholen werde; ich schwinde mit jedem Tage mehr dahin und werde so hinsiechen, bis meine Kräfte gänzlich gebrochen sind. Die hiesigen Aerzte haben mir ein verändertes Klima angerathen. Ich soll den Winter in Italien zubringen; vielleicht erlange ich den nöthigen Urlaub, denn für die Bühne bin ich doch für längere Zeit verloren. Ich habe hier mit dem Aufwand meiner letzten Kräfte vier Mal gesungen. Heute war Norma, und mit dem letzten Lebewohl, was ich zu singen hatte, schien es mir, als wenn ich meinen Schwanengesang vollendet hätte. Ich habe mir doch wohl durch übermäßige Anstrengung die Schwindsucht zugezogen und sehe nun einer Zeit voll Kummer und Noth entgegen. Gott gebe mir Kraft, denn ich muß mich ja für meine Kinder erhalten. Sein Wille geschehe! Leben Sie wohl.“

Wilhelminens Befürchtungen gingen nicht in Erfüllung. Ihre kräftige Natur überwand die Krankheit nach kurzer Ruhe; als sie im October ihre künstlerische Thätigkeit in Dresden wieder aufnahm, war ihre Stimme schöner, ihre Darstellung gewaltiger als je zuvor. Mit neuer Lust vertiefte sie sich in dramatische und musikalische Studien und gab die Reise nach Italien auf – wie sie hoffte, bis auf spätere Zeiten. Aber wie Schiller und Jean Paul ist sie gestorben, ohne das Land ihrer Sehnsucht zu sehen.

Ungleich erquicklicher als die Reisen in’s Ausland, wenn auch weniger ruhmbringend im gewöhnlichen Sinne des Wortes, war Wilhelminens künstlerische Wirksamkeit in Dresden, wohin sie immer wieder zurückkehrte, sowie ihr Gastspiel in den bedeutendsten Städten Deutschlands. Bald sehen wir sie in Berlin, bald in Hamburg, dann wieder in Leipzig, in Wien, in München, in Hannover. Von Braunschweig geht sie nach Breslau, von Breslau nach Nürnberg.

Im Frühjahr 1835 faßte sie zum ersten Mal den Plan nach Italien zu gehen, nahm auf 5/4 Jahr Urlaub, änderte aber plötzlich ihren Entschluß und blieb längere Zeit in Baiern und Oesterreich, besonders in Wien, wo sie mit Enthusiasmus aufgenommen wurde. Auch nach Pesth und Prag wurde sie berufen, und als sie im September 1836 nach Dresden zurückkam, durfte sie sich sagen, daß ihr Hunderttausende die höchsten Kunstgenüsse verdankten, daß ihr Name von der Nordsee bis zu den Alpen, vom Rhein bis zur Oder mit Begeisterung genannt wurde. Ihr Kommen wurde überall wie ein Freudenfest gefeiert; wenn sie ging, herrschte allgemeine Betrübniß, und wie viel sehnsüchtige Grüße mögen die sichtbaren Liebesbeweise – die zahlreichen Kränze und Gedichte – begleitet haben, die sie mit heim nahm! Unter den Kränzen war ihr der Lorbeerkranz besonders werth, den ihr die Studenten in Breslau nach einer Serenade überreicht hatten. „Ich war so ergriffen, als ich ihn erhielt,“ erzählte sie, „daß ich nicht im Stande war, auch nur ein Wort des Dankes zu sagen. Die Thränen stürzten mir aus den Augen. Es lag etwas Entzückendes in dem Bewußtsein, alle diese jungen Herzen begeistert zu haben – ich empfand wieder einmal ganz das Glück des Künstlers.“ Unter den poetischen Gaben war ihr Liebling ein längeres Gedicht von Heinrich Laube. Sie hatte dasselbe nach einem Gastspiel in Leipzig erhalten, wo sie als Fidelio, Romeo und Desdemona aufgetreten war. Es schließt mit den Versen:

„William Shakespeare war ihr Vater,
William Shakespeare sandte sie –
Auf den Lippen, auf den Wimpern
Trug sie seine Poesie.

Als sie ging, war Alles stille,
Jedes Herz sprach leis: ade!
Poesie ist stetes Scheiden,
Wie ihr Glück ist groß ihr Weh.

Und sie ging – die Menschen aber
Schlossen’s in ihr Herz hinein:
Ist der Himmel noch so ferne,
Schickt er doch die Boten heim.

Dieses Weib, des Dichters Tochter,
Sang uns ihre Seel’ in’s Herz.
Geht sie auch – es bleibt uns ewig
Ihres Tones Himmelsschmerz.“

Wie jede echte Künstlernatur wurde auch Wilhelmine Schröder-Devrient durch jeden Triumph, den sie feierte, zum Weiterstreben getrieben. Einige ihrer bedeutendsten Gestalten hat sie in dieser unruhvollen Zeit geschaffen: Desdemona 1831, Romeo 1833, Norma 1835, Valentine 1838. Ueberhaupt hat die Künstlerin von 1828 bis 1838 siebenunddreißig neue Opern einstudirt.



Blätter und Blüthen.


Graf Szécsenyi, jener große und unglückliche Magyar, der sich vor wenigen Monaten im Wiener Irrenhause erschoß, wurde in seiner Jugend auf eine originelle Weise von der damaligen Sucht der Cavaliere, Schulden zu machen, geheilt. Damals noch Militair, besuchte er einst seinen Gutsnachbar, den Fürsten … , einen weltberühmt reichen Grundbesitzer, der aber zu jener Zeit noch berüchtigt tief verschuldet war. Während nun der Graf sich mit dem Fürsten unterhielt, meldete plötzlich des letzteren Kammerdiener: ein Bankier, möge er Meyer genannt werden, erbitte die Gnade, Seine Durchlaucht sprechen zu dürfen. Der Fürst befahl den Besuch eintreten zu lassen, und als er mit dem Grafen allein war, ersuchte er diesen dringendst, ihm nicht von der Seite zu weichen. Szécsenyi fragte erstaunt, ob sich der Fürst etwa vor dem Juden fürchte, und mit Grund zu fürchten habe. Der Fürst jedoch erwiderte, er wolle den Grafen nicht im eigenen Interesse hier behalten, sondern um ihm Einsicht in Verhältnisse zu gewähren, die leider damals auf dem gesammten ungarischen Adel lasteten, und die in ihrer ganzen Scheußlichkeit kennen zu lernen, einem jungen Cavalier nur zur besten Lehre dienen könne, und somit schob er den Grafen hinter eine spanische Wand.

Gleich daraus führte der Kammerdiener den Wiener Geschäftsmann in den Salon. Der Geldprotz verneigte sich tief und huldigendst vor dem Fürsten, und getraute sich kaum näher zu treten. Im Augenblicke jedoch, als der Kammerdiener verschwunden war, richtete sich der Geldmäkler hoch und brutal auf, ging auf seine Durchlaucht los und fragte im verächtlichsten Tone: „Was ist’s nun mit Ihnen, mein lieber Fürst, wann werden Sie endlich zahlen? Solch unverbesserliches Lumpenthum verdient keinerlei Rücksicht mehr, und meine Geduld ist erschöpft. Was heißt, immer prolongiren und die paar Interessen zahlen, wenn man nie zu seinem Capitale kommt und dabei immer sehen muß, wie diese Bettelherrlichkeit, diese Verschwendung

  1. Der Brief Karl Maria’s von Weber, auf den sich Wilhelmine hier bezieht, beginnt mit den Worten: „Ich bin ganz elend, Mittwoch reise ich ab. Gott sei Dank –“ Die Abreise verzögerte sich, und der Künstler starb in London.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 511. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_511.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)