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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

nahm lebhaft an allen Vorgängen Theil, man sammelte für die Polen und belheiligte sich an öffentlichen Versammlungen und Vereinen. Der Gedanke der deutschen Einheit wurde lebhaft aufgegriffen, ohne daß er übrigens eine bestimmte Form annahm. Man dachte wohl an Preußen, aber nicht an Preußen, wie es war, sondern an Preußen, wie es sein konnte und sein sollte. Bei den Unruhen jener Zeit war kein Burschenschafter thätig. Ein äußerst komischer Aufstandsversuch in Jena ging von einigen Bürgern und einem Landsmannschafter aus. Die Burschenschafter griffen zu den Schlägern, um sie für die Regierung zu gebrauchen. Als dann der Göttinger Aufstand kam, waren es wieder Landsmannschafter, welche im Verein mit Bürgern das Signal gaben. Obgleich Jedermann dies wußte, warf die Polizei die Schuld dennoch auf die Burschenschaften, die weiter nichts gethan hatten, als mit allen übrigen Studenten zusammen eine Sicherheitswache zu bilden. Das Verstecken hörte jetzt völlig auf. Wenn Baiern auch der einzige Staat war, wo Arminen und Germanen mit obrigkeitlicher Genehmigung bestanden, so traten die Burschenschaften doch überall so offen auf, daß nur der Unverstand oder die Böswilligkeit sie als geheime Verbindungen bezeichnen konnte.

Das Jahr 1830 hatte die Zahl der konstitutionellen Staaten in Deutschland um Sachsen, Hannover, Kurhessen und Braunschweig vermehrt. Das politische Leben war ein lebhafteres geworden, die Liberalen benutzten die Rednerbühnen der Kammern und die Zeitungen. Es fanden Versammlungen statt, bei denen die schwarzrothgoldene Fahne zum ersten Male sich zeigte, und der Einheitsgedanke begann tief in’s Volk einzudringen. Dieses Alles beunruhigte die Reaction nicht wenig, und namentlich kam Preußen angesichts so vieler konstitutioneller Staaten mit seiner Nichterfüllung des dreizehnten Artikels der Bundesacte stark in’s Gedränge. Da man in Berlin keine Verfassung geben wollte, so hatte Metternich mit seinen gegen das westliche Deutschland gerichteten Einflüsterungen leichtes Spiel. Der Beschluß, das konstitutionelle Leben zu erschlagen, wurde gefaßt und ausgeführt. Die Bundesbeschlüsse vom 28. Juni, 3. Juli und 5. Juli 1832 erschienen. Sie richteten sich wie gewöhnlich gegen die Hochschulen, insbesondere gegen die Burschenschaft, aber auch gegen das gesammte öffentliche Leben der Nation, gegen die Presse, gegen das Vereinsrecht, gegen die Ständekammern und die Öffentlichkeit ihrer Verhandlungen. Es ist ein sehr mildes Urtheil, wenn Ilse in seiner Geschichte der politischen Untersuchungen über diese Beschlüsse sagt: „Nicht nur das Tadelnswerthe wurde beseitigt, sondern die Mittel zur politischen Entwickelung Deutschlands selbst sollten dem Volke genommen werden.“

Der Gegenschlag war der Frankfurter Aprilaufstand von 1833. Daß die verhaltnißmäßig wenigen Burschenschafter, die daran Theil genommen hatten, Hochverräther waren, unterliegt so wenig einem Zweifel, als daß diejenigen von ihnen, welche einige Monate vorher auf dem Burschentage zu Stuttgart den Anschluß an die Revolution verabredet hatten, dem Gesetz verfielen. Sich auf die Bestrafung dieser Schuldigen zu beschränken, lag nicht im Sinne der Reaction. Sie wollte einen großen Schlag führen, der die ganze liberale Partei treffe und die Burschenschaft bis auf die letzte Wurzel vertilge. Je mehr Leute man in den Riesenproceß, der beabsichtigt wurde, verwickelte, um so mehr hatte man den Schein für sich, wenn man den guten Deutschen vorstellte, wie unzertrennlich der Mißbrauch von der Freiheit und welche üppige Saat von Verbrechen in den beiden Jahren aufgeschossen sei, in denen das Volk der Wohlthat einer durchgreifenden polizeilichen Leitung entbehrt habe.

Da nach einem System gehandelt werden sollte, so empfahl sich die abermalige Einsetzung einer Bundesbehörde, welche alle Fäden in der Hand halte und die Triebfeder der Untersuchungen sei. Am 30. Juni 1833 wurde dieser Beschluß gefaßt und die Regierungen von Oesterreich, Preußen, Baiern, Würtemberg und Hessen-Darmstadt beauftragt, die Mitglieder der Bundescentralbehörde zu wählen. Man gab der letztern nicht blos dieselben Befugnisse, wie der Mainzer Commission, sondern viel weiter gehende. Faßt man alle diesen Gegenstand betreffenden Bundesbeschlüsse zusammen, so erhält man folgendes Resultat: Die Landesregierungen wurden aufgefordert, bestimmte Landesbehörden mit der Untersuchung und Urtheilsfällung zu beauftragen, also Specialgerichte mit völligem Ausschluß der Geschworenen, wo es solche gab, einzusetzen. Diese Gerichte wurden angewiesen, der Centralbehörde des Bundes schleunigst und sorgfältigst Alles, was sich auf die Untersuchungen beziehe und zu ihrer Kenntniß gelange, mitzutheilen und den Requisitionen derselben, welche die Ausmittelung des Thatbestandes, des Ursprungs und der Verzweigungen des Complots betrafen, unverzüglich und vollständig zu genügen. Der Centralbehörde des Bundes wurde die Befuguiß beigelegt, an alle Orte, wo solche Untersuchungen im Gange seien, eines ihrer Mitglieder abzuordnen, um die Acten einzusehen und den Verhören der Angeschuldigten beizuwohnen. Die Centralbehörde sollte endlich Anträge über die Leitung und Beförderung der Untersuchungen stellen, die Thatsachen aufklären, die Urheber und Theilnehmer ermitteln und hiermit Anträge wegen gründlicher Hebung des Uebels verbinden dürfen.

Es ist merkwürdig, daß die empfindliche Eifersucht, mit der die meisten deutschen Regierungen jedes Stückchen ihrer Souverainetät bewachen, bei dieser Gelegenheit in tiefem Schlafe lag. Man gestattete einer Bundesbehörde Eingriffe in den Gang der eigenen Justiz, die sich bis zur persönlichen Ueberwachung der Gerichte steigern durften, ja, man wies die eigenen Behörden an, ehe sie ein Urtheil fällten, die Acten der Centralbehörde einzusenden. Somit verletzten die konstitutionellen Regierungen der genannten Länder ihre Verfassungen in demselben Augenblicke, in dem sie gegen Verfassungsverletzungen, die von Staatsbürgern begangen worden waren, mit äußerster Strenge einzuschreiten sich anschickten.

Die Centralbehörde hat bis zum Jahr 1842 bestanden. In diese neun Jahre fällt eine Demagogenhetze, wie sie in Deutschland noch nicht dagewesen war. Die Zahl der angeklagten Burschenschafter wird auf 1300 angegeben, und die Verfolgung erstreckte sich auf Germanen, wie auf Arminen, auf Studenten, wie auf solche, die, seit Jahren im Amt, dem Staat ihre Kräfte widmeten und oft den Träumen ihrer Jugend längst entsagt hatten. Welches Elend dadurch über Hunderte von Familien gebracht wurde, ist kaum zu schildern. Und welcher Behandlung wurden die Gefangenen unterworfen, deren Verbrechen in den meisten Fällen darin bestand, für eine Ordnung des Rechtszustandes in Deutschland durch Einheit und innere Freiheit geschwärmt zu haben! Kurz vor seinem Ende entfaltete das geheime Gerichtsverfahren noch einmal alle seine Schrecken. Die Verhaftungen wurden der Regel nach in der Nacht vollzogen und der Gefangene im verschlossenen Wagen nach dem Orte gebracht, in dessen Kerker er auf Jahre verschwinden sollte. Dort fand er eine kleine Zelle, deren vergittertes, mit einem Kasten versetztes Fenster ihm die Aussicht auf einen schmalen Streifen Himmel ließ. Bücher, Papier, Feder und Tinte, irgend welche Beschäftigung erhielt er nicht, und die lange Zeit der Dunkelheit mußte er ohne Licht hinbringen – im Winter bis zu siebzehn Stunden! Ob man ihm Licht und Bücher gab, ob man ihm Briefe seiner Eltern und Geschwister, seiner Braut und seiner Freunde zukommen ließ, hing von seinem „guten Betragen“ ab, oder mit andern Worten davon, daß er genau so aussagte, wie der Richter es wollte. Leugnete er ein Verbrechen, das er nicht begangen hatte, so steigerte sich die Härte gegen ihn. Man beschränkte ihn dann Tage lang auf Wasser und Brod, man führte ihn in Dunkelarrest, man belastete ihn mit Ketten, und bei den Verhören mußte er stundenlang stehen. So verfuhr man besonders in Preußen. Laube hat in seinen „Bürgern“ diese Kerkerqualen, die er selbst erleiden mußte, in ergreifender Weise geschildert. Mancher wurde durch sie wahnsinnig, mancher stumpf gemacht. In Hessen-Darmstadt bat ein Gefangener, dem seine Begnadigung angekündigt wurde, daß man ihn in seine Zelle zurückführen möge, denn für die Welt da draußen tauge er ja doch nicht mehr.

Mit den Burschenschaftern warf man viele reifere Männer zusammen, die mit ihnen gleiche Gesinnungen hegten. Behr, Eisenmann, Jordan und Weidig sind die namhaftesten derselben. In Eisenmann verfolgte man den politischen Schriftsteller. Wegen Aufsätzen, wie sie heut zu Tage jede unabhängige Zeitung bringt, zur öffentlichen Abbitte vor dem Bilde des Königs und zu lebenslänglichem Gefängniß verurtheilt, mußte er fünfzehn Jahre im Kerker verbringen. Kurz vor der Bewegung von 1848 entlassen, war er der thätigste Agitator Baierns – für die Monarchie. Welch’ ein Verbrecher! Was Behr eigentlich verbrochen hatte, wurde nicht öffentlich bekannt gemacht. Vermuthungsweise finden wir in Schriften aus jener Zeit ausgesprochen, daß er durch Eingaben an die Stände Anstoß erregt habe. Dafür mußte er mit fast zehn Jahren seiner Freiheit büßen. Neben Eisenmann und Behr waren einem dritten Würzburger, Schönlein, dem spätern Leibarzt des

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 519. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_519.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)