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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

in die Schmiede, noch Andere Holz zu sammeln oder zu fischen. Ich blieb allein mit dem Meister Koch, welcher seine Küche in freier Luft vor dem Schuppenthor aufgeschlagen hatte und den Feldkessel bewachte oder unsern Fleischtopf abschäumte. Nicht im Entferntesten dachte ich daran, daß der Oberst Steinmarder, der aus dieser Gegend stammte, durch irgend eine List die Wachsamkeit meiner Mannschaft getäuscht, den Thieren Vertrauen eingeflößt und sich 50 bis 60 Schritte von uns mit dem Bauch auf der Erde mit seinen 150 Oesterreichern im Holze niedergelegt habe.

„Plötzlich vernahm ich zu meinem großen Erstaunen hinter mir Schüsse fallen. Ich zog mich zurück: Infanterie und Cavallerie chargirten im Galopp; jeder Reiter hatte einen Mann hinter sich und die Nichtberittenen liefen zu Fuß, an den Roßschweifen sich anklammernd. Mit einem Sprunge war ich in meinem Schuppen. Der Koch folgte mir; aber der Feind war mir so nahe auf den Fersen, daß im Augenblick, wo er die Thorschwelle berührte, sein Poncho von einem Lanzenstich durchbohrt war. Die Flinten, ungefähr sechzig, standen wie erwähnt, im Gewehrhalter. Ich ergriff eine, schoß sie ab, dann eine zweite, eine dritte, und dies mit einer so hastigen Geschwindigkeit, daß man nicht glauben konnte, ich wäre allein, aber auch mit einem Glück, daß gleich drei Mann zu Boden stürzten.

„Wäre die Masse auf den Gedanken gekommen, einen Angriff auf den Schuppen zu unternehmen, so wäre Alles mit einem Schlage verloren und beendigt gewesen; da jedoch der Koch mir zur Seite stand und seinerseits ebenfalls Feuer gab, so ließ sich der Oberst Steinmarder, wie kühn er auch war, doch überlisten und glaubte uns sämmtlich in diesem Versteck verborgen. Er zog sich daher ungefähr hundert Schritte weit vom Schuppen zurück und begann uns mit Kugeln zu überschütten. Dies rettete mich.

„Da der Koch kein sicherer Schütze war, und jeder verlorene Schuß in unserer Lage uns Schaden brachte, so befahl ich ihm, nur das Laden der Gewehre zu besorgen, während ich das Abdrücken übernahm. Sicher war ich, daß meine Leute beim Knall der Musketen Alles begreifen und zu meiner Hülfe herbeieilen würden. Ich täuschte mich nicht; bald hatten sich ihrer dreizehn, deren Namen ich in Erz möchte verewigen lassen, durch eine Wolke von Rauch, die sich zwischen dem Schuppen und dem Höllenfeuer der feindlichen Truppe lagerte, mit mir vereinigt. Diese Hülfe kam willkommen, denn alsbald deckte der Feind das Dach des Schuppens ab und beschoß oder bewarf uns von dort herab mit brennenden Faschinen. Wir vertheidigten uns auf das Heldenmüthigste.

„Endlich, gegen drei Uhr, erhielt der Oberst Moringue einen Schuß durch den Arm und ließ sofort zum Rückzug blasen; seine Verwundeten nahm er mit sich, aber fünfzehn Todte ließ er zurück, während unsererseits in diesem Kampfe von Morgens neun bis Nachmittags drei Uhr von dreizehn Mann fünf getödtet und fünf verwundet waren, von welchen Letzteren noch drei an ihren Wunden starben, da wir in diesen mörderischen Kämpfen weder Arzt noch Wundarzt besaßen. Leichte Wunden suchten wir mit frischem, so oft als möglich erneutem Wasser zu heilen; bei den schwereren war es ein anderes Ding; im Allgemeinen fühlte der Verwundete seinen Zustand selbst; hoffte er nicht wieder zu genesen, so rief er seinen besten Freund, übertrug ihm mit kurzen Worten seine letzten Anordnungen und bat ihn um die Gnade eines Flintenschusses. Der Freund untersuchte den Verwundeten, war er dann seiner Meinung, so faßte er ihn in seine Arme, drückte ihm noch einmal die Hand, und ein Flinten- oder Pistolenschuß führte die Lösung des Drama’s herbei. Es war dies traurig, vielleicht barbarisch! Was wollt ihr aber? hier gab es kein anderes Mittel.“

Ueber die Expedition nach Santa Catharina, welcher Garibaldi unter den Befehlen des Generals Canavaro beiwohnte, eilen wir, da sie großentheils durch Zeitungsberichte bekannt und für die Charakterisirung unseres Helden von geringerem Interesse ist, flüchtig hinweg. Die Ausgänge der Lagunen von Los Patos befanden sich in den Händen der Kaiserlichen, und es schien für die Republikaner eine Sache der Unmöglichkeit, sich hindurchzuschlagen. Trotzdem glaubte Garibaldi mit Männern, wie die, welche er befehligte, auch das Unmögliche ausführen zu können. Während General Canavaro zu Lande befehligte, operirte er mit der abenteuerlichsten Schaar seiner Freibeuter zur See und befahl zunächst, die Fahrzeuge der Flottille auf starke Räder zu setzen und durch Zugthiere über Land nach dem Meere zu befördern. Der Plan wurde glücklich in’s Werk gesetzt. Zweihundert Ochsen zogen die Lancionen gegen 54 Miglien weit über ein zum Theil schwieriges Terrain nach der Küste, wo sie in die See gelassen wurden. Im See Tramandai scheiterte jedoch bald darauf Garibaldi’s Fahrzeug an den dortigen Küsten, und sechzehn Mann, unter ihnen sämmtliche Italiener, welche Garibaldi begleitet hatten, fanden dabei ihren Tod. Vergebens suchte er mit Aufopferung des eigenen Lebens einige der Schiffbrüchigen, die ihm die Theuersten waren, zu retten. Sie versanken, trotz aller seiner Anstrengungen, in den trügerischen Wogen. Zum Glück war der Theil der Provinz von Santa Catharina, wo sie Schiffbruch litten, im Aufstand gegen das Kaiserreich, und so trafen die Geretteten Verbündete, welche ihnen bereitwilligst alle Mittel zum Fortkommen verschafften. Der Zweimaster „Itaparica“ nahm die Ueberlebenden auf, und bald fanden sie Gelegenheit, zu dem Siege beizutragen, der in der Nähe von Juliana, dem Hauptquartiere des Generals Canavaro, von den Republikanern über die Kaiserlichen erfochten wurde.

Wir nahen jetzt einer Epoche in Garibaldi’s Leben, die er absichtlich mit einem Schleier umhüllt, dessen Lüftung er nachmals, obwohl auch nur zum Theil, versucht hat; wir lassen ihn deshalb selbst sprechen. „Ich hatte,“ erzählt er, „niemals an’s Heirathen gedacht und betrachtetete mich für gänzlich unfähig zu einem Ehemann, zumal wenn ich die Unabhängigkeit meines Charakters und meinen unwiderstehlichen Hang zum Abenteurer-Leben in’s Auge faßte. Eine Frau und Kinder haben, erschien mir als eine rein unmögliche Sache für einen Mann, der sein Leben einem Principe geweiht hat, dessen Erfolg, wie vollständig er auch sei, ihm niemals die zu einem Familienvater nöthige Ruhe lassen darf. Das Schicksal hatte jedoch anders entschieden; durch den Verlust meiner italienischen Kampfgenossen blieb ich in einer gänzlichen Vereinsamung zurück, und es schien mir, als stände ich jetzt allein auf der Welt. Es war mir nicht ein einziger dieser Freunde geblieben, den das Herz so nöthig hat, wie der Körper die Nahrung; die, welche den Schiffbruch überlebt hatten, waren mir fremd. Zwar waren es tapfere Seelen, kräftige Herzen; ich kannte sie jedoch erst zu kurze Zeit, um mit einem von ihnen in ein inniges Verhältniß zu treten. In dieser unermeßlichen Leere, welche die schreckliche Katastrophe um mich herum hervorgerufen, empfand ich jetzt das Bedürfniß nach einer Seele, die mich liebte; ohne eine solche Seele schien mir das Dasein unerträglich, fast unmöglich. Ich hatte zwar Rossetti, meinen Freund und Bruder, wiedergefunden, aber dieser war durch die Pflichten seines Amtes zurückgehalten, er konnte nicht mit mir zusammenleben, und wir sahen uns kaum ein Mal die Woche hindurch. Ich fühlte also, wie gesagt, das Bedürfniß nach Jemand, der mich liebte, der mich ohne Verzug liebte; denn die Freundschaft ist eine Frucht der Zeit; sie bedarf der Jahre, um zu reifen, während die Liebe ein Blitz ist, oftmals ein Kind des Gewitters; aber was thut’s? ich bin einer von denen, welche die Gewitter, wie heftig sie auch sein mögen, der Ruhe des Lebens, dem Schlummer des Herzens vorziehen.“

Wie und wo er sein Weib errungen, hat Garibaldi niemals erzählt, einzelne Andeutungen aber lassen vermuthen, daß sie die Braut eines Andern war, der mit dem Verlust seiner Geliebten sein ganzes Lebensglück verlor. Garibaldi sagt selbst über diese Heirath: „Wurde dabei ein Fehler begangen, so gehört mir dieser Fehler allein zu. Das war mein Fehler, daß durch unsere Vereinigung zwei Herzen das Herz eines Unschuldigen zerrissen! … Aber sie ist todt, und er, er ist gerächt! Kannte ich aber die Größe des Fehlers? Dort, an der Mündung des Eridan, an jenem Tage, wo ich noch hoffte, sie dem Tode streitig zu machen, umschloß ich convulsivisch ihren Puls, um seine letzten Schläge zu zählen; ich fing ihren fliehenden Athem auf, meine Lippen empfingen ihren letzten Seufzer! Ich küßte diese sterbenden Lippen. Ach, ich umschlang eine Leiche … und ich weinte Thränen der Verzweiflung!“

Garibaldi nahm sein Weib mit auf sein Schiff, wo sie in mehr als einem Kampfe treu an seiner Seite focht und, eine feurige Tochter ihres Vaterlandes, entweder ihr Gewehr abfeuerte, oder mit dem Säbel in der Hand ihren Kampfgenossen muthig voranleuchtete. In den mörderischsten Seegefechten wich sie nicht von seiner Seite, sondern stand am Hintertheil des Schiffes ruhig und stolz, eine Pallas Athene. Sie lud und richtete mit eigener Hand das Geschütz, und ihr dankte man die Rettung der Munition vor Verbrennung der Flottille. Auch zu Lande, als Garibaldi nach Verlust seiner Schiffe als Guerrillaführer weiterkämpfte, hielt sie treu unter Gefahren und Entbehrungen aller Art bei ihm

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_522.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)