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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

„Hermine, ich bitte Dich, laß jetzt diese Anspielungen auf den ebenso lächerlichen als tyrannischen Einfall eines alten, halb kindischen Mannes,“ unterbrach William sie in einem Tone, den sie noch niemals von ihm vernommen und der sie ebensosehr erschreckte, als der durchbohrende Blick, mit dem er sie dabei ansah. Zornbebend, aber mit erzwungener Kälte stieß er die heisere Frage hervor: „Sprachst Du nicht vor zehn Minuten mit Eugen Blenheim?“

Jetzt ging Herminen plötzlich ein Licht über sein Benehmen auf. Natürlich hatte er ihr Gespräch mit dem abscheulichen Blenheim gehört und nicht verstanden, und was mußte er von ihr denken, daß sie darüber schwieg? Sie bedachte sich nun keinen Augenblick länger, ihm gewissenhaft mitzutheilen, wie sehnsuchtsvoll sie ihn erwartet, auf welche Weise sie Blenheim Veranlassung gegeben, sich ihr zu nahen, sowie jedes Wort, das sie mit ihm gewechselt hatte. Während dieser Mittheilung klärten Williams Mienen sich wieder auf, und Rührung trat an die Stelle finstern Verdachtes. Obgleich es ihn sehr verdroß, Herminen von der Art und Weise unterrichtet zu sehen, wie er den größten Theil des Abends hingebracht, maß er sich doch allein die Schuld davon bei. Traulich setzte er sich neben sie, die schon längst wieder versöhnt war, und liebenswürdig, heiter und offener als jemals erzählte er ihr, bevor sie danach fragen konnte, wie er seinen Tag hingebracht.

Sie wußte schon, morgen sang die Lind in „Robert der Teufel“. Wie gern William in Herminens Gesellschaft sie gehört, war nur zu natürlich. Allein morgen war der Geburtstag seines Vaters, den sie mit einem Familiendiner zu feiern beschlossen hatten, und wozu der Letztere sowohl, wie Herminens Mutter, schon eingeladen waren. Sie durften nicht daran denken, vor zehn Uhr Abends die Gäste gehen zu sehen; kein Wunder, wenn William die Einladung Wola’s, des Sängers am Stadttheater, angenommen hatte, der den Robert sang, ihn in die Generalprobe am heutigen Morgen zu begleiten. Hermine kannte Wola, der sie zuweilen besuchte, um mit William zu singen, und der als ein sehr gebildeter Mann in viele der ersten Häuser eingeladen ward. Sie mußte William beipflichten, daß es ein ganz unschuldiges Vergnügen war, sich am Abend mit einigen Flaschen Wein für die ihm erwiesene Auszeichnung und Gefälligkeit zu revanchiren. Daß davon noch einige Cameraden Wola’s Etwas abbekommen hatten, war zufällig geschehen.

William schilderte den Kunstgenuß am Morgen mit so glänzenden Farben, er war überhaupt jetzt wieder so ganz der Alte, daß Hermine sich nicht überwinden konnte, ihn heute mit ihren Besorgnissen noch einmal zu verstimmen. Hätte sie gewußt, daß er durch den Besuch der Probe die Kundschaft eines Schiffscapitains eingebüßt, der ihn mehrmals in seinem Comptoir und endlich noch an der Börse vergeblich aufgesucht und der seine Ladung nun einem andern Makler übergeben hatte, wodurch William allein für dies eine Mal mehr als tausend Mark verlor, so würde sie vielleicht dennoch ihren Entschluß verwirklicht haben. So aber gab auch sie sich dem Glücke des Augenblickes hin, und als sie eine Stunde später zusammen in das Bilderzimmer gingen, um die vergessene Lampe auszudrehen, warf sie ihrem Schwiegervater eine Kußhand zu, schlang den Arm um William und sagte: „Er ist wirklich auch heute nicht am Abend ohne mich ausgegangen.“




Man war nun schon in den blätterstreuenden Herbst gekommen, und die Familie Blenheim wollte morgen ihre Stadtwohnung beziehen. Die Börse war beendet, und die Hallen derselben entleerten sich. Der Banquier, ein kleiner dicker Mann mit hochgetragenem Haupte, stützte sich leicht auf den Arm seines Sohnes Eugen, wohl mehr, um ihn mit aus der Stadt zu entführen, als weil er einer Stütze bedurfte, und schritt seiner auf ihn wartenden Equipage zu. Ein stolzes Lächeln glänzte auf Stirn und Mund, und huldreich, hochmüthig oder vertraulich erwiderte er die vielen Begrüßungen, die ihm auf dem kurzen Wege zu Theil wurden. Der Hamburger beugt sich sonst nicht leicht vor einer Größe, mag sie geistiger oder politischer Art sein; aber vor dem Gelde und der Schönheit beugt er sich. Er lebt überhaupt mehr dem Augenblicke, kein Wunder, wenn er dem huldigt, was diesen am meisten zu schmücken vermag, wenn es auch ebenso vergänglich ist.

Der Vergänglichkeit war in der letzten Nacht erst wieder ein Opfer verfallen. Der König der Börse war gestorben, und nicht nur Blenheim selbst, sondern die öffentliche Meinung erhob ihn auf den verlassenen Thron. Zwar trat der Sohn des Verstorbenen in Haus und Firma ein, allein er besaß mehrere Geschwister und nicht das Genie seines Vaters. Blenheim dagegen war in den Büchern der Bank, nach denen der Werth des Kaufmanns abgeschätzt wird, der nächst größte Millionär, und er war noch ein Stamm, während jener reiche Erbe doch nur ein Ast, wenn auch der Hauptast, des gefällten Baumes war.

Mit welchem freudigen Stolze blickte der reiche Mann um sich, und mit welcher Bewunderung, mit welchem Neide blickte die Menge ihm nach! Ein Fürst träumte er sich zu sein, der so eben die Regierung angetreten, als Eugen ihn erinnerte, daß er den einen Fuß auf dem Wagentritt halte, und ihn bat, den andern doch endlich nachzuziehen, damit er und der Bediente, die vergebens bemüht waren, ihm hinaufzuhelfen, die nicht geringe Aufgabe leichter lösen könnten.

„Willst Du nicht mit nach Haus’?“ fragte Blenheim, als Eugen, den Hut lüftend, vom Wagen zurücktrat.

„Ich esse heute bei Reinville,“ war die trockne Antwort, die den ersten Gifttropfen in den Freudenbecher des Vaters fallen ließ, und mit Stirnrunzeln rief dieser dem Kutscher ein herrisches „Fort, nach Haus’!“ zu. Seine Miene hatte Vieles von ihrer stolzen Sicherheit verloren, als der Wagen funkensprühend durch die Straßen zweier großer Städte rasselte, die den Besitzer für den Beneidenswerthesten aller Sterblichen hielten. Aber ach! – –

Von Madame Blenheim konnte man nicht viel mehr sagen, als daß sie – die reiche Madame Blenheim und Mutter zweier Kinder sei, die ihr längst über den Kopf gewachsen waren. Wie ihr Gemahl, hatte sie, was man sagt, „von unten auf“ gedient; sie war Ladenmamsell gewesen, und er hatte sie geheirathet, als er seine Waaren noch mit der Elle maß. Aus der kleinen Bude, worin sie ihr Geschäft eröffneten, hatten sein Genie und ihre Wirthlichkeit sich so weit emporgearbeitet, und aus dem kleinen Krame war jetzt ein weltberühmtes Engros-Geschäft geworden, das der Vater dem Sohne zur Aussteuer versprochen, sobald dieser solide werde und eine vernünftige Heirath schließen würde, wozu Eugen jedoch bis jetzt noch wenig Neigung zeigte.

Seine Tochter Nancy war des Vaters Liebling; für die Mutter war sie eine Plage. An ihrer Erziehung war allerdings nichts gespart, und in ihrem sehr gescheidten Kopfe lagen große Schätze aufgehäuft, aber wirr und bunt durcheinander, und für das Leben fast nichts davon zu gebrauchen. Ihr Vater betete sie an, obgleich auch sie ihm manchen Kummer verursachte. Sie war ihm zu extravagant, sie haßte alle Geldmänner und sah dagegen fast in jedem Künstler und Literaten noch viel mehr, als er selbst in sich fand.

Dieser Eigenthümlichkeit war auch ihre kurze Liaison mit William Almis zuzuschreiben, dessen Tenorstimme sie bezaubert hatte, als sie ihn einst in einem Privatconcerte singen hörte. Seit er sie verlassen, hatten schon ein Portraitmaler, ein Geigenspieler, ein junger Dichter nach einander von ihrem leicht entzündlichen Herzen Besitz genommen, und augenblicklich kämpfte ihr Vater wieder gegen ihre Passion für einen Italiener an, der ein Graf sein sollte, obgleich er gegenwärtig Nancy’s und anderer junger Damen Sprachlehrer war.

(Schluß folgt.)




Das Passions-Spiel in Oberammergau.
Von Herman Schmid.

Glücklicher Weise ist uns das erhebende Loos zu Theil geworden, in einer Zeit zu leben, in welcher durch das ganze deutsche Volk der Zug nach Einigung lebendiger geht und drängt, in welcher das Volk selbst sich wieder fühlt und seine Bedeutung wie seine Aufgabe zu begreifen beginnt. In diesem wiederauflebenden Volksthume liegt die sicherste Bürgschaft, daß über kurz oder lang

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 532. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_532.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)