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Weise geneckt, heruntergemacht, ja sogar mißhandelt. Vor nicht gar langer Zeit ward es in einer großen Stadt (wahrscheinlich Paris) den Füchsen der Zimmergesellen zu arg; sie verlangten, in Zukunft wie freie Männer, und nicht wie Sclaven von ihren älteren Genossen behandelt zu werden. Und als diese, gestützt auf den uralten Brauch, nicht nachgeben wollten, erkühnten sich die Füchse, eine eigene Gesellschaft zu bilden, unter dem Schutze Salomons, und nannten sich Compagnons Renards de Liberté (Genossen Füchse der Freiheit). Sie sollen jetzt in Paris ebenso zahlreich sein, wie ihre Gegner, die Bon-Drilles (Guten Kerle). So wenigstens berichtet der sachkundige Sciandro. Es ist nur eine consequente Inconsequenz, daß diese Gesellschaft früherer Aspiranten jetzt selbst wieder eine Aspiranten-Classe unter sich hat, und es fragt sich sehr, ob sie dieselben nicht ebenso schlecht behandeln, wie sie einst von den „Guten Kerlen“ behandelt wurden.

So zerfallen denn die vier ersten Corps der Brüderschaft in nicht weniger als 18 gesonderte Gesellschaften, welche die verschiedensten und sonderbarsten Namen tragen. Die allgemeine Benennung Devoir (Pflichtbund) für Gesellen-Verbindung findet ihre Erklärung leicht in den Pflichten, welche den Genossen gegen einander obliegen. Auch die Kinder Salomons bilden ein Devoir, aber mit dem Zusatz de liberté, dessen muthmaßliche Bedeutung sich später ergeben wird. Doch werden, wie schon erwähnt, die Kinder von Jacques und Soubise insbesondere als Genossen des Pflichtbundes bezeichnet. Die Steinmetze von Jacques nennen sich Compagnons Passants (Passirende Genossen), und werden von ihren Gegnern als Loups-Garoux (Währwölfe) bezeichnet. Die Steinmetze von Salomon heißen dem entsprechend Compagnons Etrangers (Fremde Genossen) und Loups (Wölfe). Die Schimpfwörter „Wolf“ und „Währwolf“ sollen sich auf das Entlaufen in die Wälder nach dem Morde Hirams beziehen, den sich ja beide Parteien gegenseitig vorwerfen. Die Tischler und Schlosser von Jacques heißen Dévorants, (wahrscheinlich im Ursprung Devoirants, Glieder des Devoir, wie auch Sciandro es schreibt), die von Salomon hingegen Gavots (wahrscheinlich von Gaveaux, wie die Bewohner der Ober-Provence in Marseille und andern Städten heißen). Das Schimpfwort für alle Glieder des eigentlichen Pflichtbundes ist Chiens (Hunde), das der Genossen der Freiheit Loups (Wölfe), Dévorants heißen außer den Schlossern und Tischlern auch die Mitglieder aller später gegründeten Corps von Meister Jacques.




II. Mysterien, Einrichtungen und Ergebnisse der Brüderschaften.

Es ist nun Zeit, uns mit der Organisation und den Gebräuchen dieser merkwürdigen Verbindungen näher bekannt zu machen. Ihre beständigen und oft blutigen Händel lassen sie in schlimmem Lichte erscheinen; ihr inneres Wesen aber ist zum Theil vortrefflich. Auffallend ist vor allen Dingen die vollständige Uebereinstimmung selbst der unbedeutendsten Gebräuche bei allen Gesellschaften, was sicher auf einen gemeinschaftlichen Ursprung hinweist. Die Schilderung ihrer Einrichtungen läßt sich also ganz allgemein erledigen.

Um als „Genosse“ aufgenommen zu werden, muß der junge Handwerker eine Probe seiner Geschicklichkeit ablegen. Die Aufnahme geschieht dann mit großer Feierlichkeit und geheimnißvollen Gebräuchen. Worin diese bestehen, ist natürlich nicht bekannt. Der Pater Héliot berichtet, daß den 29. September 1645 die Brüder Schuster und Schneider dem geistlichen Gericht von Paris angegeben wurden, weil ihre Gebräuche bei der Einweihung eines Lehrlings die hauptsächlichen Ceremonien des Katholicismus nachahmten. In Folge dessen verbot die theologische Facultät, unter Strafe der Excommunication, diese verderblichen Versammlungen der Gesellen. Daß die Aufnahme-Gebräuche den kirchlichen nachgebildet sind, ist um so annehmbarer, als die Brüderschaft einen halb kirchlichen Ursprung und Charakter hat, und als ferner auch in Deutschland bei der Aufnahme in den Gesellenstand viele Ceremonien vorkamen, die bei den frommen Leuten wegen ihrer Ähnlichkeit mit den kirchlichen noch im Anfange des vorigen Jahrhunderts großes Aergerniß erregten.

Die Genossen behaupten, daß ihnen von ihren Stiftern gewisse Dogmen überliefert worden sind, welche nicht ganz mit den christlichen zusammenfallen, und den Neu-Eingeweihten gleich Flammen der Erkenntniß erheben und beseligen. Daß diese geheimnißvollen Dogmen tiefmetaphysische Wahrheiten enthalten, ist bei der geringen Bildung der Gesellen kaum anzunehmen. Die Mysterien, welche unter andern der Steinmetz Sciandro in den seinem Werkchen angehängten Liedern recht brav besingt, scheinen auf symbolische Darstellungen der Brüderlichkeit, ferner der Unsterblichkeit, der Tugend, der Kunst und der Gerechtigkeit hinauszulaufen. Wenn dieser nicht geistlose Mann den Eindruck, den die Einweihung auf ihn hervorgebracht, mit hochtrabenden Worten schildert, so ist dabei nicht zu vergessen, wie sehr alles Geheimnißvolle und Außergewöhnliche anregt, und daß für einen jungen, ganz ungebildeten Handwerker selbst jene einfachen, sittlichen Ideen, wenn sie ihm mit der Gewalt eines Dogmas, und unter der Heiligung des undenkbaren Alters entgegentreten, etwas höchst Erhabenes und Eindringliches besitzen müssen. Daß das Symbol vorherrsche, ist von vornherein anzunehmen. Die Entstehung der Brüderschaft aus den kirchlichen Bauten des Mittelalters, bei denen das Symbolische keine geringe Rolle spielte, spricht entschieden dafür; nicht minder die ewige Eigenthümlichkeit des ungebildeten Geistes, das Bild leichter aufzunehmen und tiefer zu bewahren, als den reinen Gedanken. Dem entsprechend müssen auch die vorkommenden Reden in alten, starren Formeln überliefert sein, was immer da stattfinden wird, wo der Geist sich nicht fortschreitend wiedererzeugt.

Die Genossen legen einen außerordentlich hohen Werth auf ihre Mysterien, und wenn dieselben auch mancherlei Phantastisches, Abergläubisches und Beschränktes enthalten, so haben sie sich doch im Ganzen als eine ebenso feste, als heilsame Grundlage des Gesellenlebens bewährt. Sie flößen den Gliedern streng sittliche Grundsätze ein, einen Halt, den ihr herumirrendes, familienloses, oft bedrängtes Leben doppelt nöthig macht. Es liegt in dem Wesen solcher Gesellschaften, daß sie sich selbst zum alleinherrschenden Elemente machen; daher nehmen nicht nur die Pflichten gegen die Verbindung, unverbrüchliche Treue, Verschwiegenheit, Brüderlichkeit, Aufopferung, selbst von Gut und Blut, den ersten Rang ein; sondern auch die allgemein menschlichen Obliegenheiten finden ihren Grund und Zweck in der Verbindung, in ihrer Ehre und ihrem Vortheil. Der „Genosse“ darf nicht liederlich sein, nicht stehlen oder betrügen, viel weniger, weil das allgemeine, absolute Sittengesetz diese Handlungen verbietet, als deshalb, weil der Bund dadurch beschimpft und schließlich aufgelöst würde. Auch die „Genossen“, obwohl auf der niedrigsten Stufe der gesellschaftlichen Leiter, haben ihre Standesehre, und sie wachen strenger darüber, als Adel, Geistlichkeit und hohe Bürgerschaft. Die Standesehre bewährt sich stets als solche, wenn deren Verletzung eben vom Stande gerügt und bestraft wird.

So haben auch die Gesellen-Verbindungen in Frankreich (wie nicht minder in Deutschland) eine ausgedehnte Gerichtsbarkeit über ihre Mitglieder; sie legen eigenmächtig die härtesten Strafen auf, dagegen vermeiden sie die Gerichte des Staates, so sehr fühlen sie sich als besondere, unabhängige Körperschaft. Da ich das Nähere dieser Vorgänge in Frankreich nicht kenne, so werde ich zur Erläuterung einige Gebräuche der deutschen Zimmergesellen-Brüderschaft, wie ich sie von sehr glaubwürdigen Mitgliedern erfahren, später anführen.[1]



  1. Vergl. Ch. L. Stock, Grundzüge der Verfassung des Gesellenwesens der deutschen Handwerker in alter und neuer Zeit. Magdeburg 1844. – Dies ist die einzige irgend brauchbare Schrift über den interessanten Gegenstand; aber auch sie gibt nur lückenhaftes Material und fast keine Verarbeitung. Ich gedenke daher, hauptsächlich nach mündlichen Quellen von der größten Ergiebigkeit, den Gegenstand demnächst neu zu behandeln. Es wird sich dann ergeben, daß allerdings nach Ursprung, Zusammenhang und Form die deutschen Brüderschaften sich sehr bedeutend von den französischen unterscheiden, daß aber beide den Kern der ganzen Bildung, die geregelte, gegenseitige Unterstützung und Beaufsichtigung, mit einander gemein haben. Was sich also hierauf bezieht, läßt sich ohne Bedenken im Wesentlichen von den deutschen auf die französischen Brüderschaften übertragen, zumal da die letzteren die bei weitem ausgebildeteren und innigeren sind.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 539. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_539.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)