Seite:Die Gartenlaube (1860) 545.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 35. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Ein Brief aus Amerika.
Von Henriette von Bissing.
(Schluß.)

Heute hatte Herr Blenheim sich wieder mit Herrn Belani bei Tische gelangweilt und saß nun am Abend spät mit Mutter und Tochter allein in dem Salon, immer noch verstimmt, während Nancy den Flügel mit Phantasien über das Thema: „Ach, wenn Du wärst mein eigen!“ bearbeitete und, so sehr sie damit die Mutter ärgerte, den Vater dadurch endlich doch glücklich auf andere Gedanken brachte.

Er trat zu ihr, entzückt über die Fertigkeit ihrer Finger, indem er weder der Gräfin Hahn berühmtes Lied, noch die Gefühle kannte, die dasselbe in Nancy’s Herzen weckte oder doch begleitete. Als sie ihr Spiel beendet, küßte der Vater sie auf die Stirne und rief Beifall klatschend: „Möcht’ ich’s doch machen, wie jener Virtuos, der zum Kaiser Joseph sagte: „Ewig schade, daß Ew. Majestät kein Geigenspieler geworden sind!“ Aber nicht wahr, Nancy, Du würdest auch antworten, wie der Kaiser: „Hab’s halter so besser!“?“

Nancy nickte bejahend. Sie hätte gerne weiter geträumt, allein der Vater ließ ihr keine Zeit dazu. Noch hatte er ihr und der Mutter seine stolzen Hoffnungen nicht mitgetheilt, und sie sollten erst noch jeden Zoll der Huldigungen, die er heute eingenommen, mit genießen. Endlich erinnerte Nancy daran, daß die Uhr zwölf geschlagen. Die Mutter war schon lange eingenickt, da sprach der Vater, sich erhebend: „Nun werde ich Gelegenheit haben, mich an Manchem zu rächen, der sich einst gegen mich vergangen. Darunter ist auch der Almis. Wird mir ein Wechsel von dem groben, undankbaren Patron präsentirt, darf ich nur die Achsel zucken und ihn zurückweisen, dann raunt die ganze Börse sich zu: „der ist faul!““

„Du bist wohl gar böse, daß ich den eingebildeten Laffen laufen ließ?“ fragte Nancy verwundert.

„Ich weiß nicht, ob Du ihn hast laufen lassen,“ versetzte der Vater sarkastisch. „Nur das weiß ich, daß er ohne Dank und Abschied davon gelaufen ist. – Und ich hatt’s gut mit dem Burschen im Sinne,“ fügte er, wie zu sich selber redend, hinzu. „Es war doch Einer vom Geschäft und er hatte Kopf. Aus dem wär’ Etwas geworden, wenn ich ihn unter die Zucht nahm.“

„Versuch doch Deine Kunst an Eugen!“ warf Nancy boshaft ein.

„Was willst Du von ihm?“ rief der Vater hitzig. „Er hat Genie, und wenn er sich erst die Hörner abgelaufen, wird er seinen Weg schon machen. Eugen mischt sich nicht in Deine Phantastereien, gönne Du ihm die seinigen. Ihr werdet schon Beide noch einmal vernünftig.“

Die Mutter war erwacht, als ihr Gemahl sich erhoben, und fiel jetzt gähnend ein: „Nun, da der Almis ein solcher Herumtreiber ist, und Du ihn stürzen kannst, so wird er wohl bald bankerott. Da sieh doch zu, Gustav, daß wir das Haus bekommen. Ich möchte die Tannen umhauen und den Park vergrößern lassen.“

„Ach ja, Papa!“ rief Nancy lebhaft, „kaufe das Haus. Es kann so, wie es ist, im Park bleiben und mein eigen, mein Sanssouci, mein Tusculum werden; bitte, bitte, bester Papa!“

„Nun, wir wollen sehen, wie es sich macht,“ entgegnete der Banquier, und sie trennten sich, um in ihre verschiedenen Schlafgemächer zu gehen.




Der alte Almis galt lange Zeit für einen Geizhals und noch immer für einen Sonderling. Er hatte ein Commissionsgeschäft, dem er ganz allein vorstand und das man für sehr einträglich hielt, und man begriff daher nicht, warum er seinen Sohn nicht darin aufgenommen, ihn vielmehr bei seinem Nachbar, dem Schiffsmakler, in die Lehre gegeben hatte. Er selbst kaufte und verkaufte Häuser, die Hunderttausende kosteten, welcher Handel für ihn viel Geld mußte abgeworfen haben; dennoch wohnte er fortwährend in einem sehr kleinen Häuschen, an dessen einfacher Einrichtung nie etwas verändert ward. Bei dem Unterricht seines Sohnes hatte freilich einst auch er nichts gespart, aber an Kost und Kleidung, so viel es anging. Da William keine Brüder hatte, mußte er als Knabe alle alten Röcke seines Vaters allein zu Ende tragen, und es halfen weder Bitten noch Thränen. Der erste neue Rock, den er zur Confirmation bekam, ward so bestellt, daß er ihm noch nach drei Jahren passen mußte.

Kein Wunder, daß der eitle Jüngling desto mehr auf seinen Anzug verwendete, als er sich erst selbst etwas verdiente. Der Vater ließ ihn dabei gewähren, ja seine grämlichen Züge klärten sich mit dem Versuche eines schmunzelnden Wohlbehagens auf, als er seinen Eingebornen eines guten Tages in einen jungen Elegant verwandelt sah. Späterhin gab es freilich mitunter viel Angst und Sturm in dem kleinen Häuschen, durch Schulden veranlaßt, die William gemacht und die zu hoch waren, als daß seine Mittel oder die stets für ihn geöffnete Casse seiner Tante und Pflegemutter

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 545. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_545.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)