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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

bei welchem mir, die Unkosten vorläufig abgezogen, kaum einhundert Thaler blieben, welche mir zur Bestreitung der nothwendigsten Bedürfnisse meiner Familie dienen sollten. Ich will bei dieser Gelegenheit noch eines Zusammentreffens erwähnen, das mir einen meiner theuersten und zärtlichsten Freunde verschaffte. Ach! noch einer, der in einer bessern Welt die Befreiung Italiens erwartet!

„Als ich während unseres Rückzugs in die Nähe von San Gabriel gelangte, hörte ich einen italienischen Officier von großem Geist, großem Herzen und großer Kenntniß nennen, der als Carbonaro verwiesen, sich für Frankreich, am 5. Juni, zu Oporto geschlagen, die lange Belagerung, welche dieser Stadt den Namen der Unüberwindlichen verschafft, mit durchgemacht, endlich aber, wie ich, gezwungen war, Europa zu verlassen und nun seinen Muth und seine Kenntnisse den jungen südamerikanischen Republiken angeboten und gewidmet hatte. Man erzählte von ihm Züge von Muth, Kaltblütigkeit und Kraft, daß ich mir zehnmal wiederholte: Sollte ich dem Manne begegnen, so wird er mein Freund sein! Er nannte sich Auzani.

„Ein Stück von ihm machte großes Aufsehen. Als Auzani in Amerika ankam, hatte er sich mit einem Empfehlungsschreiben bei den Herren N***, Kaufleuten zu V. und Italienern wie er, vorgestellt. Diese Herren hatten bald ihr Factotum aus ihm gemacht. Auzani war gleichzeitig bei ihnen Cassirer, Buchhalter, Vertrauter, besser gesagt, Auzani war der gute Genius ihres Hauses. Wie alle kräftigen und muthvollen Menschen war auch Auzani ruhig und sanft.

„Das Haus, dessen eigentlicher Director er geworden, war eins jener Häuser, wie man sie nur in Südamerika findet, die Lager von Allem, was man sich nur erdenken kann, halten und in einer einzigen Handlung so ziemlich sämmtliche Handelsartikel vereinigen. Nun war aber die Stadt, in welcher das Handelshaus unserer Landsleute sich befand, zum Unglück in der Nachbarschaft eines Waldes gelegen, in welchem jene indischen Stämme, die Bugren, hausten. Einer der Häuptlinge dieser Indier war der Schrecken des ganzen Städtchens, das er zwei Mal jährlich mit seinem Stamm besuchte und nach Belieben ausplünderte, ohne daß es ihm einen Widerstand entgegenzusetzen gewagt hätte. Anfangs war er mit zwei- bis dreihundert Mann, dann mit hundert, später mit fünfzig eingezogen; wie er aber den Schrecken gesehen, den seine Gegenwart verursachte, glaubte er endlich allein kommen und doch den Gebieter spielen zu können. Dies that er denn auch, erließ seine Befehle und stellte seine Forderungen, als ob sein ganzer Stamm hinter ihm gestanden, um die Stadt mit Blut und Feuer zu verheeren.

„Auzani hatte von diesem Eisenfresser sprechen hören und Alles still vernommen, ohne seine Meinung über die Verwegenheit des wilden Häuptlings und über den Schrecken auszusprechen, den seine Wildheit verbreitete. Dieser Schrecken war so groß, daß, sobald das Geschrei erklang: „der Häuptling der Mattos!“ sofort alle Fenster geschlossen, alle Thüren verriegelt wurden, als ob man die Anwesenheit eines tollen Hundes ausgerufen hätte. Der Indier war an diese Zeichen des Entsetzens gewöhnt, die seinem Stolze schmeichelten. Er wählte eine Thüre aus, die er geöffnet wünschte, klopfte an dieselbe an, und nachdem sie ihm erschlossen worden, was mit der Geschwindigkeit des Schreckens geschah, konnte er nun das ganze Haus ausplündern, ohne daß der Hausherr, die Nachbarn oder die Einwohner auch nur daran gedacht hätten, seinen Rückzug zu beunruhigen.

„Es waren ungefähr zwei Monate vergangen, seitdem Auzani das Handelshaus in den größten wie geringsten Einzelnheiten zur großen Genugthuung seiner beiden Principale leitete, als plötzlich der Schreckensruf ertönte: „der Häuptling der Mattos!“ Wie gewöhnlich, schlossen sich eiligst Thüren und Läden. Auzani war allein im Hause und eben beschäftigt, die Wochenrechnung abzuschließen; er dachte nicht daran, daß die tosende Nachricht der Mühe lohne, sich stören zu lassen, und blieb daher bei offener Thür und offenem Fenster hinter seinem Ladentisch. Staunend blieb der Indianer vor diesem Hause stehen, das mitten in dem allgemeinen Umsturz, den seine Gegenwart hervorrief, bei seiner Ankunft gleichgültig erschien. Er trat ein und erblickte auf der andern Seite des Comptoirs einen Mann mit bleichem Angesicht, der seine Rechnungen abschloß. Mit gekreuzten Armen blieb er vor ihm stehen und betrachtete ihn verwundert. Auzani erhob den Kopf. Er war die Höflichkeit selbst.

„Was wollt Ihr, mein Freund?“ fragte er den Indianer.

„Wie? was ich will?“ erwiderte dieser.

„Gewiß,“ entgegnete Auzani, „wenn man in ein Magazin eintritt, wünscht man etwas zu kaufen.“

Der Indianer brach in ein Lächeln aus.

„Du kennst mich also nicht?“ fragte er Auzani.

„Wie sollte ich Dich denn kennen? Es ist das erste Mal, daß ich Dich sehe.“

„Ich bin der Häuptling der Mattos,“ antwortete der Indier, indem er seine Arme entkreuzte und in seinem Gürtel ein Arsenal von vier Pistolen und einen Dolch erblicken ließ.

„Nun, Häuptling der Mattos, was willst Du?“ fragte Auzani.

„Zu trinken will ich,“ erwiderte dieser.

„Und was willst Du trinken?“

„Ein Glas Aguardiente.“

„Nichts leichter als das; zahle zuvor und ich werde Dir dann Dein Glas bringen.“

Der Indier begann ein zweites Mal zu lachen. Auzani runzelte leicht die Augenbrauen.

„Sieh,“ sagte er, statt zu antworten, „lachst Du mir zum zweiten Male in’s Gesicht! Ich finde das nicht höflich. Ich sage Dir daher, geschieht es zum dritten Male, so werfe ich Dich zur Thüre hinaus.“

Auzani hatte diese Worte mit einem Tone von Festigkeit gesprochen, der jedem Andern als einem Indier ein Maß für den Mann gegeben haben würde, mit dem er es zu thun hatte. Vielleicht verstand ihn der Häuptling, allein er gab sich das Ansehen, ihn nicht zu verstehen.

„Ich sagte Dir, Du solltest mir ein Glas Aguardiente geben,“ wiederholte er, indem er mit der Faust auf den Ladentisch schlug.

„Und ich sagte Dir, Du möchtest vorher bezahlen,“ gab ihm Auzani als Antwort zurück, „wo nicht, erhältst Du nichts.“

Der Indier warf einen Zornblick auf Auzani, aber Auzani’s Auge begegnete dem seinigen. Blitz um Blitz kreuzten sich. Auzani sagte gewöhnlich: „Es gibt keine faktischere Macht, als die moralische; betrachtet kühn, fest und beharrlich den Mann, der euch betrachtet; senkt er die Augen nieder, so seid ihr sein Meister. Senkt aber nicht die eurigen, sonst wird er euer Meister.“ – Auzani’s Blick hatte eine unwiderstehliche Gewalt: der Indier schlug die Augen nieder. Er fühlte seine Inferiorität und wollte sich doch, wüthend über diesen ihm unbekannten Zauber, durch Trinken wieder ein Herz verschaffen.

„Wohlan,“ sagte er, „hier ist ein halber Piaster, schenk ein.“

„Es ist mein Amt, die, welche zahlen, zu bedienen,“ antwortete Auzani ruhig.

Und er brachte dem Indier ein Glas Branntwein. Der Indier goß es hinunter.

„Noch eins,“ rief er.

Auzani brachte ihm ein zweites. Der Indier schüttete es wie das erste hinab.

„Noch eins!“ sprach er von Neuem.

So lange das Geld ausreichte, um die Libationen des Indiers zu decken, machte Auzani keine Bemerkung; als der Zecher aber so viel hinabgegurgelt hatte, als der Preis des Geldstückes auswog, hielt er an.

„Nun?“ fragte der Indier.

Auzani machte ihm seine Rechnung.

„Was weiter?“ beharrte der Indier.

„Was weiter? Ohne Geld keinen Branntwein!“ entgegnete Auzani.

Der Indier hatte richtig gerechnet. Die fünf bis sechs Glas Aguardiente, die er hinuntergestürzt, hatten ihm den Muth wieder verliehen, den er vor dem Löwenblick Auzani’s verloren.

„Aguardiente!“ schrie er, indem er die Hand an eine seiner Pistolen hielt, „Aguardiente, oder ich morde Dich!“

Auzani, welcher merkte, daß die Sache damit endigen könne, hielt sich gefaßt. Er war ein Mann von fünf Fuß neun Zoll, mit fabelhafter Kraft und bewunderungswürdiger Gewandtheit. Seine rechte Hand stützte er auf den Ladentisch, sprang auf die andere Seite hinüber und stürzte mit seinem ganzen Gewicht auf den Indier und bemächtigte sich, bevor dieser noch Zeit gefunden,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 554. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_554.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)