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sein Pistol zu ziehen, mit der linken Hand der rechten Faust seines Gegners. Der Indier konnte den Stoß nicht aushalten, er fiel rücklings zu Boden. Auzani stürzte auf ihn und setzte ihm das Knie auf die Brust. Jetzt entriß er ihm, während der Indier seine Waffe nicht gebrauchen konnte, die Pistolen wie den Dolch aus seinem Gürtel und warf sie in das Magazin, dann entwand er ihm das Pistol, das er in seiner Rechten hielt, und schlug nun, den Lauf in der Hand, mit dem Kolben aus aller Kraft auf den Häuptling los. Endlich, als er glaubte, daß der Indier, um mich des Kunstausdrucks zu bedienen, genug habe, erhob er sich und stieß ihn mit kräftigen Fußtritten zur Thüre hinaus, wo er bis in die Gosse rollte, in welcher er ihn liegen ließ. In der That hatte der Indier genug. Er stand auf und erschien nie wieder in San Gabriel.

„Unter einem andern Namen, als dem seinigen – unter dem Namen Ferrari – hatte Auzani den portugiesischen Krieg gemacht. Unter diesem Namen hatte er sich bewunderungswürdig gehalten; unter diesem Namen hatte er den Rang eines Capitains sich erworben; unter diesem Namen hatte er zwei schwere Wunden, die eine am Kopfe, die andere in die Brust, erhalten, so schwere Wunden, daß er nach Verlauf von sechzehn Jahren an einer derselben starb. Die Wunde am Kopfe rührte von einem Säbelhiebe her, der ihm die Hirnschale zerschmetterte. Die in der Brust rührte von einer Kugel her, die in der Lunge festsaß und später eine Lungenschwindsucht herbeiführte.

„Wenn man zu Auzani von den Wundern des Muths sprach, die er unter dem Namen Ferrari vollbracht hatte, lächelte er und behauptete, dieser Ferrari und er wären verschiedene Menschen. Von diesem Manne hatte man mir erzählt, das war der Mann, den ich kennen zu lernen wünschte und den ich zu meinem Freund machen wollte. Zu San Gabriel vernahm ich, daß er in Geschäftsangelegenheiten ein Dutzend Miglien weit verreist sei. Ich erkundigte mich näher und bestieg mein Pferd, um ihn aufzusuchen. Unterwegs, am Ufer eines kleinen Flüßchens, fand ich einen Mann, der mit nackter Brust sein Hemd wusch. Ich merkte, daß dies der Mann sei, den ich suchte.

„Ich schritt auf ihn zu, reichte ihm die Hand und nannte meinen Namen. Von diesem Augenblicke an waren wir Brüder. Zu jener Zeit war er nicht mehr in seinem Handelshaus; wie ich, war er in die Dienste der Republik von Rio Grande eingetreten. Er befehligte die Infanterie der Division Juan Antonio, eines der berühmtesten republikanischen Chefs; wie ich, verließ er übrigens diesen Dienst und wendete sich nach el Salto.

„Nachdem wir einen Tag mit einander verlebt hatten, gaben wir uns unsere gegenseitigen Adressen und kamen überein, daß wir nichts Wichtiges vornehmen wollten, ohne daß der Eine den Andern davon benachrichtigte. Man gestatte mir noch eine Einzelheit, um unsere Noth und unsere Brüderlichkeit daraus zu erkennen. Auzani hatte nur ein Hemd, aber er besaß zwei Paar Beinkleider. Ich war eben so arm wie er in Bezug auf das Hemd, aber er war um ein Paar Beinkleider reicher als ich. Wir schliefen unter dem nämlichen Dache, aber Auzani reiste vor Tage ab, ohne mich zu wecken. Als ich erwachte, fand ich auf meinem Bett das beste Paar seiner beiden Beinkleider. Ich hatte Auzani kaum gesehen, allein er war einer von den Männern, die man auf den ersten Anblick beurtheilt. Deshalb war auch, als ich Dienste bei der Republik von Montevideo nahm und mit der Organisation der italienischen Legion beauftragt wurde, meine erste Sorge, an ihn zu schreiben und ihn einzuladen, diese Arbeit mit mir zu theilen. Er kam, und wir verließen uns erst an dem Tage, wo er die italienische Erde wieder berührte und in meinen Armen starb.“




Ein deutscher Dichter und Dulder.
Von Albert Traeger.

Stehst Du zum deutschen Sängerorden,
Denk’ nicht an Lohn und Lorbeerkron’!
Das Vaterland ist Bettler worden,
Was fordert noch des Bettlers Sohn?
Er heischt ein Schwert und todestiefe Wunden;
Die sind ja bald in seinem Dienst gefunden; –
Nur kühn voran!
  Julius Mosen.

In einer kleinen Residenzstadt unseres an diesen Marksteinen äußerer und innerer Zerklüftung so überreichen armen Vaterlandes, in Oldenburg, steht freundlichen Ansehens ein bescheidenes Haus, auf dem eine besondere Weihe zu ruhen scheint. Mittag ist’s; die Rosen unten im Garten schauen wie sehnsüchtige Bräute zu den geöffneten Fenstern und senden grüßend ihre zartesten Düfte hinauf; in der Laube lagern zwei blühende Jünglinge, auch sie wenden sich zuweilen erwartungsvoll empor; oben im Wohnzimmer bereitet die Hausfrau den Tisch zum Mahle. Emsig waltet sie und geräuschlos, wie in der Nähe eines Krankenbettes; plötzlich unterbricht sie sich, ein dumpfer Ton hat unhörbar fast ihr geübtes Ohr berührt, schon ist sie im Nebengemach. Zusammengekrümmt sitzt dort die abgezehrte Gestalt eines Mannes, machtlos ruht das Haupt auf der Brust, in unheimlicher Weiße erglänzt die gewaltige Stirne, bis zur Unsichtbarkeit sind die Augen von den schweren, müden Lidern überhangen, die farblosen Lippen zucken wie im Krampfe. Vor ihm auf dem Tische liegt ein Zeitungsblatt. Behutsam neigt die Frau sich über ihn und wendet es um, seine unablässig zitternden Hände versagen jeden Dienst. Unhörbar, wie sie gekommen, ist die treue Helferin schon wieder entschwunden, er liest weiter. Was liest er? Vielleicht von dem frevelhaften Spiele, das ein nachbarlicher Gewaltherrscher bedrohlich an unseren Grenzen treibt, und dem Proteste, den einzig das kleinste und freieste Volk dagegen erhoben, kühn aber fruchtlos, da die Mächtigen unthätig zuzuschauen sich begnügten. Und der Feuergeist, der in der schlackenhaften Hülle des Lesenden unversehrt sich erhalten, lodert zürnend empor, und sein Unmuth kleidet sich in die Worte eines Liedes, seines Liedes: „Gott sei mit euch, mit dem verrathnen deutschen Reich!“ Er liest weiter. Vielleicht von den armen deutschen Brüdern, die angesichts der Uebrigen der höhnende Uebermuth fremder Rohheit mit den Geißeln der Knechtschaft peitscht, oder von Anderen, die im eigenen Vaterlande vergebens nur ihr Recht begehren. Ein wildes Weh ergreift ihn, ein Weh, wie er es vor langen Jahren bereits hinausgesungen in die weite Welt mit den zündenden Lauten: „Es blutete der Brüder Herz, ganz Deutschland, ach, in Schmach und Schmerz!“ Vielleicht aber auch weht ihm aus den Spalten des Zeitungsblattes der Flügelschlag eines frischeren, freieren Geistes entgegen, der im Vaterlande jetzt mächtig sich zu regen beginnt, und sein Schmerzenslager umleuchtet gleich freundlichem Abendrothe die Hoffnung, daß auch er nicht umsonst gelebt, gekämpft und gelitten, daß der Same, den auch er mit treuen Händen ausgestreut, noch Früchte tragen werde weit über sein nahes Grab hinaus.

Vielleicht auch erfährt er, wie unter Vielem, was man endlich zu begreifen anfängt, auch die späte Einsicht gekommen, daß ein der Freiheit entgegenstrebendes Volk nicht länger dem Soldaten der Freiheit den Ehrensold versagen dürfe, daß es seiner Dichter und Schriftsteller werkthätig sich annehmen müsse. Und wenn vor seinem Blicke das überraschende Ergebniß freudiger Anstrengungen sich berechnet, überschleicht ihn bei aller Befriedigung sicher auch ein leises Gefühl zweifelnder Verstimmung. Er weiß und fühlt es wie kein Anderer, daß der Dichter höhere Ansprüche hat, als nicht zu verhungern, daß er vor Allem verstanden und gewürdigt sein will. Er hat im Laufe eines langen Lebens schmerzlich erfahren, wie es um die geistige und sittliche Reife eines Volkes beschaffen, das seine gediegensten Schätze unbeachtet im Dunkel verstauben läßt und, wie der Wilde, an nichtigem Flittertande ein kindisches Ergötzen hat, das die Kanzel des Dichters, das Theater, hartnäckig dem wahren Berufe verschließt und jämmerlichen Gauklern zum Tummelplatze überläßt. Ein freundliches Geschick hat es verhindert, daß mit der Krankheit das Elend sich gegen ihn verbündete, aber vergebens harrt er noch darauf, daß seinem Namen die volle Ehre werde, die ihm gebührt. Julius Mosen, der Sänger des Hoferliedes, der seit mehr denn zehn Jahren langsam stirbt, ist lange schon ein fast Verschollener, nur in einzelnen Liedern lebt er noch

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