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Mit der drückendsten Noth kämpfend und nur von einem hochherzigen Gönner, dem Hofgerichtsrath Dr. Wenck, freundlich unterstützt, arbeitete er so unverdrossenen Eifers, daß er schon im nächsten Jahre die Prüfung mit der ersten Censur bestand. Hierauf bildete er sich drei Jahre lang in Neukirchen bei dem Stadtschreiber Schweinitz zum praktischen Juristen aus. Mag es dem jungen Dichter, an dessen Schöpferdrang unablässig neue Pläne und Entwürfe gebieterische Ansprüche erhoben, schon schwer genug gefallen sein, die Flügel niederzuhalten und geduldig in das trockene Formularwesen seiner Beschäftigung und den bureaukratischen Hochmuth eines verknöcherten Pedanten sich zu ergeben, schwerer noch lastete auf seiner freiheitliebenden Seele die Noth und Schmach des Vaterlandes.

In Mosen’s Knabenzeit fielen die herrlichsten Jahre unserer Geschichte: er hatte sein Volk wie einen Mann sich erheben sehen, er hatte es mit erlebt, daß Deutschlands Einigkeit eine Macht, an welcher eine für unüberwindlich gehaltene Gewalt wie an einem Felsen zerschellte; die heilige Begeisterung der Befreiungskriege mit ihrer maßgebenden Wirkung auf die Gegenwart, mit ihren zuversichtlichen Hoffnungen für die Zukunft hatte auch ihn berauscht – er war kaum zum Jüngling herangewachsen, als auch er schon gewaltsam ernüchtert ward. Man hatte die heiligsten Gefühle des Volkes benutzt, und als der Zweck erreicht war, drückte man die erhabenen Regungen, denen man die Erlösung aus der schmählichsten Erniedrigung verdankte, mit eiserner Faust wieder zu Boden; man strafte, um der Verlegenheit zu entgehen, belohnen zu müssen. Man lebte in banger Furcht, daß ein Volk, welches nach außen eine so achtunggebietende Macht entwickelt, auch nach innen mit gleicher Stärke sich geltend machen könnte, und schuf deshalb den Polizeistaat, der jeden Einzelnen ängstlich vom Allgemeinen absperrte und es zum Verbrechen stempelte, sich um die Wohlfahrt des Ganzen zu bekümmern. Männer, die mit Wort und Schwert in den Reihen der Befreier gekämpft, wurden „unschädlich“ gemacht, wenn nicht verfolgt und des Landes verwiesen, die Demagogen-Untersuchungen begannen, die Karlsbader Beschlüsse wurden gefaßt; ja als der so schroff unterdrückte Freiheitstrieb außerhalb der heimischen Grenzen einen Zielpunkt suchte und Alles den Griechen zujauchzte, die das türkische Joch abzuschütteln begannen, wies der Congreß von Verona die philhellenischen Bestrebungen zurück, nur um im Sultan das Princip der Rechtmäßigkeit aufrecht zu erhalten.

Mosen hat ein Jahrzehnt später diesen Congreß als Vorwurf und Titel eines Romanes benutzt, der ein höchst treues und wechselvolles, leider aber auch wenig erhebendes Gemälde des neueren Staatengetriebes entrollt. Während so der Dichter und der Vaterlandsfreund dumpf trauernd in Neukirchen einförmige Tage spann, brach unter gewaltigen Stürmen die Juli-Revolution aus; sie weckte auch Mosen aus seiner Erstarrung, alle Fesseln von sich abschüttelnd, eilte er nach Leipzig. Hier ward ihm endlich an Ambrosius Barth ein Verleger für seinen „Ritter Wahn“, der ein nicht geringes Aufsehen erregte, obschon die allgemeine Aufmerksamkeit damals ganz andern Gegenständen zugewandt war.

Einen wahren Jubel aber erregten einzelne, unter dem Einflusse der herrschenden Stimmung gedichtete Lieder, die seinen Namen augenblicklich in allen Gauen des gesammten Vaterlandes zu einem der beliebtesten und gefeiertsten machten, und gegenwärtig noch als Volkslieder in jedem Munde leben: „Der Trompeter an der Katzbach,“ „Andreas Hofer“ und „Die letzten Zehn vom vierten Regiment.“ Dieses namentlich hallte in Aller Herzen wieder, da das unglückliche Schicksal der Polen allerorten die wärmste Theilnahme erregte. Mosen war nicht nur einer ihrer begeistertsten, sondern auch thätigsten Freunde. Im Herbst 1831 beim Patrimonialgericht in Kohren als Actuar angestellt, unterstützte er von seinem kärglichen Einkommen die Mutter, ließ den jüngsten Bruder auf seine Kosten erziehen und opferte außerdem noch den unglücklichen Flüchtlingen manches Scherflein. In dem benachbarten Altenburg, wo er jener Zeit viel verkehrte, bildete sich unter seiner Anregung eine Gesellschaft von Polenfreunden, die ihre Versammlungen an einem nicht weit von der Stadt gelegenen Vergnügungsorte abhielt, dem noch bis heute der Name „Polen“ geblieben. Natürlich fehlte es nicht an Conflicten mit der Polizei.

Gewissenhaft und treu erfüllte Mosen seine Berufspflichten, die sich stets mehrten, da der Justitiar Schmelzer, ein schließlich in Wahnsinn endender Trunkenbold, dem der Dichter in der Novelle „Vinetus“ ein Denkmal gesetzt, ihm nach und nach alle Arbeitslast aufbürdete. Dabei fand er doch Muße, einen Roman „Georg Venlot“ erscheinen zu lassen, neue Lieder, mehrere Novellen und das Schauspiel „Heinrich der Finkler“ zu dichten, ein herrliches Denkmal seiner schöpferischen Kraft und seines echt vaterländischen Sinnes. Als der Besitzer von Kohren 1834 die Gerichtsbarkeit an den Staat abgetreten, ließ sich Mosen in Dresden, zunächst als Armen-Advocat, nieder. Seine schnell wachsende Praxis versetzte ihn bald in freundliche äußere Verhältnisse, und so begann die glücklichste und fruchtbarste Zeit seines Lebens. Unter den jüngeren Dichtern und Künstlern fand er zusagenden und anregenden Umgang: am innigsten befreundete er sich mit Bähr, Professor an der Maler-Akademie, einer ihm nahe verwandten, selbstständig den eigenen Weg gehenden und zu keinerlei Zugeständnissen sich herablassenden Natur; auch in Tieck’s, des Vielgefeierten, Hause verkehrte er, ohne jedoch über allen Vorzügen des hochbegabten Mannes dessen servile, fortschrittsfeindliche Gesinnung verwinden zu können. Mosen’s „Gedichte“ und „Novellen“ erschienen gesammelt, er vollendete das Epos „Ahasver“, das sich stellenweise bis zu schwindelnder Großartigkeit emporgipfelt, und zu Michaelis 1839 ging sein Drama „Otto III.“ zur Eröffnung der Wintersaison über die Hofbühne. Es wurde mit ungetheiltem Enthusiasmus aufgenommen und der Dichter am Schlusse stürmisch gerufen. Er erschien und, was in Dresden etwas ganz Unerhörtes war, er redete das Publicum an, ungefähr mit folgenden Worten: „Wenn das Schiff glücklich den Hafen erreicht hat, so ist das nicht das Verdienst dessen, der es gebaut, sondern der Piloten, die es so meisterhaft gesteuert haben; dem Zimmermann aber wird der Erfolg den Muth geben, wieder einmal die Axt zu ergreifen, um ein neues Schiff zu zimmern.“ Mit ganz demselben Erfolge wurde das Stück in den nächsten Tagen noch zwei Mal gegeben, um dann unerklärlicher Weise für immer von den Bretern zu verschwinden.

Bald darauf verlobte sich Mosen, und der nächste Sommer vereinigte auf dem anmuthigen Landaufenthalte seiner Schwiegereltern in dem Dorfe Strehlen allabendlich um das glückliche Brautpaar einen Kreis feingebildeter und gefühlswarmer Menschen, der häufig durch fremde Gäste erweitert ward; es gibt fast nicht einen unter den bedeutenderen Dichtern und Schriftstellern unserer Tage, von Uhland an, der nicht einmal an jenem gastfreundlichen Tische gesessen. Dabei verbreitete sich Mosen’s Ruhm immer weiter, und von nah und fern wurden ihm Zeichen der Anerkennung; so ernannte ihn die Universität Jena 1840 zum Ehren-Doctor. Im Winter führte er seine Minna heim, und am Hochzeitstage wurde sein neues Stück „die Bräute von Florenz“ aufgeführt. Gleich den spätern Dramen „Bernhard von Weimar“ und „Cola Rienzi“, die auch noch in Dresden zur Darstellung gelangten, zündete es so mächtig, daß man sich nicht enträthseln kann, wie solch erprobte Dichtungen in dem Archive der Hofbühne ein so frühes, unverdientes Grab finden konnten. In der Fülle seiner männlichen und dichterischen Kraft, die ihn jetzt fast ausschließlich dem Drama zudrängte, im Schooße seines herrlich erblühenden häuslichen Glückes, vermißte Mosen nun nichts weiter mehr, als eine seinem inneren Berufe entsprechendere äußere Thätigkeit. Auch dieser Wunsch sollte sich ihm erfüllen. In Oldenburg war ein Hoftheater errichtet worden, für das ein Dramaturg gewonnen werden sollte. Adolf Stahr schlug Mosen vor, suchte ihn auf und ließ dessen eben vollendetes Trauerspiel „der Sohn des Fürsten“ noch im Manuscript durch den Intendanten Herrn von Gall dem Großherzog Paul Friedrich August vorlegen. Dieser gewann den Dichter daraus lieb und lud ihn zur Probe und Aufführung des „Bernhard von Weimar“ nach Oldenburg ein. Von Hof und Publicum ehrenvoll empfangen wie gebührend gewürdigt, kehrte Mosen, nachdem er die Anstellung als Dramaturg mit dem Charakter „Hofrath“ erhalten, einstweilen nach Dresden zurück. Mosen, ein Dichter von Gottes Gnaden, ehrt diesen Titel, den so Viele, die dieser meist zweifelhaften Auszeichnung ihr Talent und ihre Gesinnung geopfert, einem noch schlimmeren Fluche, als dem der Lächerlichkeit, preisgegeben haben.

Nachdem er der Bevölkerung Dresdens, die ihm bei seinem Scheiden in rührender Weise die allgemeinste Theilnahme kundgab, in dem poetischen und kunstkritischen Werke „die Dresdener Gemälde-Gallerie“ ein werthvolles und dauerndes Andenken

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