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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

und nach wurde es dabei Frohn ziemlich klar, daß er an ein echtes „Wiener Früchtl“ gerathen, das ein für sein Alter sehr beachtenswerthes Maß von Leichtsinn und Verwegenheit in sich entwickelt und vielleicht die Gesellschaft Frohns nur gesucht hatte, weil ihn eine andere nicht mit gleicher Bereitwilligkeit mehr aufnahm. Jedenfalls war er jedoch gutmüthig und Frohn nicht dazu bestellt, ihm Moral zu predigen. So blieben Beide im besten Verständniß, und der Letztere folgte dem hoffnungsvollen Jünger der Equitationskunst, als dieser gegen Abend ihn aufforderte, mit ihm zu kommen, und ihn einlud, in seinem elterlichen Hause das Nachtquartier zu nehmen.

Das elterliche Haus lag nicht weit entfernt, in der Maria-Hilfer-Vorstadt, in einer stillen Nebenstraße; neben dem Hause erstreckte sich eine Gartenmauer mit einem Thürchen darin. Franz klopfte ein paar Mal an dieses letztere; da er jedoch keine Antwort erhielt und Niemand öffnete, schritt er weiter und zog die Klingel der Hausthüre. Diese wurde gleich darauf behutsam geöffnet, und eine behäbige Gestalt in Schlafrock und Zipfelmütze, ein Mann in mittleren Jahren, trat auf die Schwelle.

„Ich bringe dem Herrn Vattern einen Stubenherrn für das leerstehende Quartier oben,“ sagte der junge Mensch mit großer Seelenruhe, und dabei auf Frohn deutend.

„Der Franzl ist’s?“ versetzte der würdige Bürger, wie es schien, nicht angenehm überrascht, und ein wenig ironisch. „’Nen Stubenherrn bringt der Franzl? Nun, der wird halt danach sein … ja, ich seh’s schon, es ist halt a saubrer Stubenherr, a …“

„Vatter, verschwätzen’s Ihna net,“ fiel Franzl warnend ein, „ein kaiserlicher Rittmeister ist’s, der Herr von Frohn, er sieht nur nicht danach aus, weil ihn die Preußen in der Gefangenschaft gehabt haben, und da hat er sich durchschlagen müssen bis hierher zum Regiment; er ist auf morgen in der Früh zum Feldmarschall Aspremont bestellt, und wann er zurückkommt, wird er halt schon anders ausschaun! Wenn Sie ’n aber nicht wollen, den Herrn von Frohn, mir ist’s schon Eins, der Herr Vatter mag thun, was er will – geruhsame Nacht!“

Nach dieser plötzlichen und für Frohn etwas unerwarteten Wendung des Gesprächs wandte sich der Franzl, begann eine Arie aus dem Idomeneo, Re di Creta, zu pfeifen und schritt ruhig davon die Gasse hinab.

„Der Nichtsnutz, der!“ murmelte der Mann im Schlafrock ihm nach; dann, sich zu Frohn wendend, sagte er: „Ist’s denn wahr, was er von dem Herrn da plauscht?“

„Es ist allerdings wahr,“ versetzte Frohn, „nur daß ich nicht in der Absicht gekommen bin, ein Quartier zu miethen, sondern weil der junge Mann, den ich in der Reitschule kennen lernte, mir zuvorkommend anbot, mich als Gast in sein elterlichen Haus zu führen. Ich bin leider in der Lage, eine solche Freundlichkeit nicht abweisen zu können, und bin deshalb ohne Arg mitgegangen. Entschuldigen Sie jedoch die Störung, Sie sehen, es ist meine Schuld nicht. Ich wünsche Ihnen guten Abend.“

„Nein, nein, wenn’s so ist,“ fiel der Bürger hier ein, in die Thüre zurücktretend, die er bisher mit seiner Gestalt verbarricadirt gehalten hatte, „und an Ihrer Sprache hört man’s schon, daß’s was Andern sind, als wonach’s ausschaun; an Unterschlupf auf d’Nacht mögen’s schon haben, treten’n ein, lassen’s Ihnen gefallen!“

Frohn folgte jetzt der Einladung des gutmüthigen Wiener Hausherrn. Dieser führte ihn über den Flur in ein Empfangszimmerchen und ging dann seine Frau zu rufen. Bald darauf erschien ein kleines, rundes, beweglichen Haussmütterchen, das den kaiserlichen Herrn Officier verwundert betrachtete und dann sehr mitleidig und gerührt nach seinen wundersamen Schicksalen auszufragen begann, bis der Herr im Schlafrock sich seines müden Gasten erbarmte und ihn nach oben in ein freundliches, auf die Gasse hinausgehenden Quartier brachte.

„Machen’s Ihna bequem hier,“ sagte der Herr Fellhamer, „und wenn Sie noch etwas wünschen …“

„Nichts, mein bester Herr,“ versetzte Frohn sehr zufrieden, „als daß ich morgen in die Lage komme, Ihnen diese zwei hübschen kleinen Stuben wirklich abmiethen und für längere Zeit Ihr Gast werden zu können!“


2.

Es war acht Uhr am folgenden Morgen. Joseph von Frohn stand in einer Fensterbrüstung der Antichambre im Palais des Feldmarschalls; er war gekleidet, wie er gestern vor den Augen der Excellenz erschienen, im zerfetzten Zwillichkittel und in den zerrissenen Stiefeln, aber trotz dieses Costümes, wie es heute wohl zum ersten Male in diesen reichen Gemächern auftauchte, war er von Portier und Dienern ohne Weiteres eingeführt worden.

In dem Raume befanden sich mehrere Herren, Beamte, Bürger, Officiere, welche bei dem General Anliegen vorzubringen hatten und auf Audienz warteten. Sie alle maßen mit verwunderten Blicken den hochgewachsenen, ernst aussehenden Mann, der hier eingeführt war und doch nur ein Bettler sein konnte.

Eine Flügelthüre öffnete sich, und ein Kammerdiener trat heraus. Die Anwesenden drängten sich ihm rasch entgegen, aber er machte eine abwehrende Handbewegung gegen dieselben, ging auf Frohn zu und sagte:

„Excellenz wollen Sie zuerst sprechen. Kommen Sie!“

Frohn folgte ihm mit hochklopfendem Herzen in das Cabinet des Feldmarschalls. Der kleine Mann mit dem feinen echtfranzösischen Gesichte hatte eben seine Morgenchocolade geschlürft und die Tasse fortschiebend rief er lebhaft Frohn entgegen:

Ah, c’est vous! Bon jour! Näher heran. Ich habe,“ fuhr er fort, wie gestern französische und deutsche Brocken durcheinander mengend, „ich habe Nachforschungen über Ihn angestellt. Er hat mir die Wahrheit gesagt. Er ist als todt aus der Musterrolle gestrichen – eh bien, was kann man dawider machen? Einen Todten kann ich nicht aufwecken, dan kann auch die Kaiserin nicht!“

„Aber, Excellenz,“ warf Frohn bescheiden ein, „einen Irrthum berichtigen, ein paar Worte ohne Sinn durchstreichen.“

Der Feldmarschall zuckte die Achseln. „Das geht nicht, mein Freund,“ sagte er; „solche Correcturen in der Stammrolle würden sehr schlecht aussehen; es ist wider die Ordnung, und man darf da nicht wie in ein Schülerheft hineinpfuschen!“

Frohn sah niedergeschlagen zu dem Feldmarschall auf oder vielmehr auf die kleine lebhafte Gestalt herab.

„Aber,“ fuhr die Excellenz fort, „ist Er denn so versessen darauf, durchaus wieder bei den Dragonern eintreten zu wollen? Wenn ich Ihn nun zu meinem Husaren-Regiment nähme?“

„Wenn Excellenz die Gnade hätten –“ rief Frohn freudig aus.

„Er müßte freilich als Lieutenant eintreten; aber man könnte schon dafür sorgen, daß Er bei guter Dienstführung rasch weiter käme. Mais voyons d’abord, pour ne pas faire des châteaux, wie sieht es mit der Equipirung aus?“

„Excellenz, ich habe nichts und ich kenne auch Niemand, den ich mit Hoffnung auf Erfolg um eine so bedeutende Summe angehen könnte.“

„Das ist schlimm, sehr schlimm,“ fiel die Excellenz ein, „so bleibt nichts übrig, als daß ich ihn in die Arcieren-Leibgarde aufnehme. Er hat da Lieutenantsrang und erhält sofort Alles geliefert, was zur Uniform und Ausrüstung gehört. Wäre Er damit einverstanden?“

„Wenn ich auch in der Lage wäre, wählen zu können, würde ich Ew. Excellenz doch für die Aufnahme in ein so privilegirtes Corps ewig dankbar sein.“

Eh bien,“ antwortete der Feldmarschall, eine Klingel rührend, „so soll gleich für Ihn gesorgt werden!“

Der Kammerdiener trat ein und erhielt den Befehl, den Adjutanten hereinzuschicken. Als dieser kam, gab ihm der Graf den Auftrag, für die Einkleidung de Monsieur de Frohn zu sorgen.

Monsieur de Frohn“, fügte er mit Nachdruck hinzu, „est un officier distingué j’espère que ses camarades de corps le traiteront avec toute la considération qui lui est due, et j’y veillerai!“

Der Adjutant machte gegen den Mann im Bettlerkleide eine höfliche Verbeugung und bat ihn, ihm zu folgen.

Der Feldmarschall entließ seinen Schützling mit freundlichem Kopfnicken.

„Wenn wir eingekleidet sind und den Dienst angetreten haben,“ sagte er, „werden wir uns melden. Er soll mir dann ausführlich seine Schicksale berichten.“

Der neue Gardist beurlaubte sich in militärischer Haltung von seinem wohlwollenden Chef und folgte dem Adjutanten, der ihn nach dem Hotel der Arcieren-Garde in der Vorstadt Landstraße führte und hier dem Premier-Wachtmeister des Corps vorstellte. Dieser gab ihnen einen Diener mit, der sie in eins der oberen Gemächer brachte, wo sich die Montirungskammer der Arcieren-Leibgarde

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