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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Zur Geschichte der geheimen Polizei im Königreich Westphalen.

In einer Zeit, wo man in Frankreich den Schülern der Lyceen befiehlt, Lobgedichte auf den Prinzen Jerome zu fertigen, und wo deutsche Höfe – artig genug sind, um den einstmaligen Räuber deutscher Fürstenthümer acht Tage Trauer anzulegen, dürfte es wohl nicht ganz unangemessen erscheinen, wenn wir uns der Thaten dieses Herrn erinnern, dessen Tod jetzt so tief betrauert wird. Wir beginnen heute mit der Polizei der damaligen Zeit und bemerken ausdrücklich, daß wir dabei aus authentischen Archivquellen schöpfen und nur erzählen, was dort actenmäßig niedergelegt ist. Später werden wir uns den Bruder „Immer lustick“ selbst „kaufen.“

Unter der Leitung Bongars’, des westphälischen Gensd’armeriegenerals und Polizeidirectors in Kassel, stand ein Heer von vielen tausend Spionen und 900 Gensd’armen, von denen leider sehr viele Deutsche waren. Dieser geheimen Polizei war nichts heilig, weder Kirche, noch Schule, weder Familienbande, das Glück der Ehe, noch Privatbriefe. Man konnte mit Gewißheit darauf rechnen, daß in jeder Gesellschaft, mochte sie groß oder klein sein, wenigstens ein Mitglied dieses teuflischen Bundes sich befand und nur auf die Gelegenheit lauerte oder sie mit den Haaren herbeizog, Jemand anklagen und in’s Unglück stürzen zu können. Die deutsche Gemüthlichkeit, sowie der freie, gesellige Ton, hatte in dem neugebackenen Königreiche aufgehört, wenigstens in den Städten desselben. Einer mußte in dem Andern einen Verräther erwarten, deshalb war das gegenseitige Vertrauen geschwunden, blieben Herzen und Mund verschlossen. Man nahm sich wohl in Acht, in seine Worte einen zweideutigen Sinn hineinzulegen, sowie überhaupt von Politik zu reden. In den geselligen Kreisen entstanden daher aus Mangel an Stoff, oder weil die Worte abgewogen werden mußten, oft langweilige Pausen. Wehe demjenigen, der über die Schmach und Schande des Vaterlandes, über den unerträglichen Druck, über die Demüthigungen, denen man tagtäglich ausgesetzt war, auch nur geseufzt hätte! Körper und Geister lagen in Ketten, und der Zornesröthe im Antlitze der Patrioten allein war es gestattet, sich zu äußern.

Bongars war ein Mann von hohem, stattlichem Wuchse und ausdrucksvollen Zügen, aber von großer Magerkeit. Was die Natur nur immer Falsches, Herzloses, Heimtückisches, Grausames und Arglistiges in den verschiedenen Menschenseelen geschaffen hat, das fand sich in diesem Teufel in Menschengestalt vereinigt. Er wußte seinem Gesichte stets eine huldreiche, freundliche Miene zu geben, so daß er selbst hinter dem grünen Tische der peinlichen Verhöre Zutrauen einflößte, so sehr hatte er die Kunst der Verstellung sich angeeignet. Er war buchstäblich ein reißender Wolf im Schafspelze. Er wußte seine Beute immer um so gewisser zu erhaschen, als er den unglücklichen Opfern gegenüber die bittersten Vorwürfe und schrecklichsten Drohungen stets im wohlmeinenden Tone und in sanfter Stimme aussprach. Seine Krallen sah man nie.

Er war ein geborner Franzose und sprach nur gebrochen deutsch. Genauere Beobachter wollen bemerkt haben, daß er nur die in sein Fach schlagenden unumgänglich nothwendigen Ausdrücke, die den Mann allein schon kennzeichnen würden, mechanisch auswendig gelernt habe, wie z. B.: „Schlechter Unterthan – Verräther – falsche Nachricht – feindliche Proclamation – Spion – hart bestrafen“, und dergleichen mehr. Seine Verhöre waren sehr einfach. Hatte er die Beschuldigung mühsam herausgestottert, so folgte die Verurtheilung gleich hinterdrein, die nur in dem einen Falle nicht ausgeführt wurde, wenn der Verurtheilte mit bedeutenden Geldmitteln dagegen protestirte. Er wurde dann in Freiheit gesetzt, aber unter die „Surveillance“ der geheimen Polizei[WS 1] gestellt, so daß fortan jeder seiner Schritte beobachtet und jedes seiner Worte aufgezeichnet wurde.

Waren intelligente Leute oder Männer von Geistesgegenwart und Muth im Verhör, so waren mehrere seiner Unterbeamten zugegen, die im Augenblicke der Vertheidigung im Zimmer auf- und abschritten, den Beklagten streng in’s Auge fassen und ihn aus der Fassung bringen sollten. Diese mehr als boshafte Art und Weise des Verhörs übte er nicht nur in Kassel, sondern auch auf seinen inquisitorischen Reisen. In diesem letztern Falle bediente er sich besonders der Vagabonden, Glücksritter und vornehmlich der Juden, deren sehr viele in seinen Diensten standen.

Bongars strebte nur danach, sich zu bereichern. Jedes Mittel war ihm recht. Von den unzähligen Schmeißfliegen des Königreichs Westphalen war er zweifelsohne die giftigste und gefährlichste. Er machte sich kein Gewissen daraus, ganze Familien zu Grunde zu richten, Glück, Freiheit und Leben Anderer auf’s Spiel zu setzen – wenn er nur einen Gewinn davon hatte. Ob der Angeklagte unschuldig war, galt ihm gleich. Daher wagte man in Kassel bei der niederträchtigen Justizverwaltung auch gar nicht einmal daran zu denken, Recht und Gerechtigkeit zu finden, selbst wenn die Anklage auf einer bloßen Verleumdung oder böswilligen Beschuldigung beruhte.

Es war also nicht zu verwundern, daß die geheimen Spione, die, ich muß es noch einmal wiederholen, leider! vielfach aus Deutschen bestanden, ihr Augenmerk ganz besonders auf Wohlhabende richteten und diesen Schlingen und Fallstricke legten, während die Armen weniger berücksichtigt wurden und für ihr Vergehen höchstens geringe Freiheitsstrafen zu verbüßen hatten, wie folgendes Beispiel zeigen mag.

Ein Schneider, der überall öffentlich eine baldige Aenderung der Dinge vorhersagte und das Morgenroth der Erlösung und Freiheit vor seinem geistigen Auge in nächster Zukunft erstehen sah, besonders wenn der Branntwein ihn begeistert hatte, trotzte, wo er nur immer konnte, der Polizei, verhöhnte und verspottete sie, als ob es seine Absicht sei, sich eine Märtyrerkrone zu verschaffen und seinen Namen unsterblich zu machen. Von Tag zu Tag wurde er kühner. Weil er aber ein armer Teufel war, ertrug die Polizei lange und mit seltener Geduld seine Schimpfreden und Prophetenworte. Endlich aber machte er es zu arg. Er wurde in’s Gefängniß geworfen, wo er die Festwoche von Weihnachten bis Neujahr Zeit hatte, die Zukunft in Hessen sich so schön wie möglich auszumalen.

Diese Strafe hatte indessen nicht den geringsten Einfluß auf seine Sehergabe und deutsche Gesinnung ausgeübt. Er schimpfte auf die Franzosen nach wie vor und ärger als je; er scheute sich sogar nicht, der Polizei in’s Angesicht zu lachen und sie zum allgemeinen Ergötzen der Zuhörer zu verwünschen und zu verfluchen. Er bedankte sich auch bei ihr, daß sie durch seine Gefangennahme dafür gesorgt hätte, ihm seinen Verdienst zu erhalten, den er in den Festtagen sicherlich verausgabt haben würde. Den Steuerdienern pflegte er bei ihren Mahnungen und Zwangsbefehlen zu erwidern: „Unser allergnädigster König ist ein Bettelbube, der mir nicht einmal vier Wochen die Steuern creditiren kann, sondern mich nach wenigen Tagen schon auspfänden laßt; ich würde mich schämen, mit ihm zu tauschen, denn ich kann meinen Schuldnern Jahre lang borgen.“

Es würde ihm übel ergangen sein, wenn er ein vermögender Mann gewesen wäre. Wohlhabende Leute wurden ausgepreßt wie ein Schwamm, wie unter Tausenden folgendes Beispiel lehren mag. Ein Kaufmann in Marburg kehrte eines Abends mit einem Freunde aus dem Schauspielhause zurück. Es hatte lange und anhaltend geregnet, und die Gassen waren daher mit Koth bedeckt. Der Kaufmann that einen Fehltritt und gerieth hinein. Aergerlich rief er aus: „Seitdem wir Westphalen sind, müssen wir im Kothe stecken bleiben.“ Der Freund bat ihn, still zu sein, weil auch die Nacht Ohren habe. „Wer in aller Welt will mir etwas thun, wenn ich die Wahrheit rede?“

„Sie sollen aber die Wahrheit nicht reden, wie Sie wohl wissen.“

Während dieses Gesprächs vernahmen sie leise Schritte hinter sich, und als sie sich vor der Hausthüre des Kaufmanns trennten, sahen sie in ihrer Nähe einen Menschen umherschleichen, der aber nicht weiter von ihnen beachtet wurde. Acht Tage später wurde der Kaufmann in der Mitte der Nacht aus dem Schlafe geklopft. Arglos öffnete er die Thür und erblickte zu seinem Entsetzen drei Gensd’armen vor sich. Auf seine Frage, was sie in so später und ungewohnter Stunde von ihm wollten, baten sie ihn, mit ihnen zu gehen, weil sie den Auftrag hätten, ihn zu verhaften.

„Mich verhaften!?“ rief er. „Was für ein Verbrechen habe ich begangen?“

„Darüber sind wir nicht im Stande, Ihnen Auskunft zu geben. Wir thun, was uns befohlen ist, und unser Befehl lautet dahin, Sie mit uns zu nehmen, wenn nicht mit Güte, so mit Gewalt.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Polzei
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 569. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_569.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)