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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

wohl mit einer Anzahl Treiber zu Holz und eröffnete unter solennem Anblasen die Jagd. – Die flüchtigen Sauen wurden auf der Waldblöße von den gelöseten Fanghunden gepackt und „gedeckt“ (gehalten), worauf der Jäger hinzueilte, die gefangene Sau bei den Hinterläufen und mit Beihülfe des Hatzmanns „aushob“, d. h. mit dem Hintertheil vom Boden hob, wodurch ihre Kraft gebrochen und weitere Beschädigungen der Hunde vermieden wurden. – In dieser Stellung wurde die Sau so lange gehalten, bis auf das mit Hifthorn oder halbem Mond gegebene Signal (der „Fürstenruf“) der Jagdherr herankam, welcher die Sau dann mit dem Hirschfänger hinter dem rechten Blatte abfing. Die Jägerei lüftete während dieses Actes die Hirschfänger mit entblößter Rechten und stieß den dreimal wiederholten Ruf: „Wallo!“ (an einigen Orten „Hillo!“) aus. Nach dem Abfangen steckte der Jägermeister dem Jagdherrn, wie auch dem Jäger, dessen Hunde die Sau gefangen hatten, ein grünes Tannenreis („Bruch“) auf. Außer dem Rüdemann und den die Hatzen führenden Personen war die ganze Jägerei zu Pferde, um die oft weiten Distanzen rasch zurücklegen zu können. An einigen Höfen war es Sitte, die gefangene Sau zu knebeln und dem Fürsten entgegen zu tragen, welches Experiment allerdings seine Schwierigkeiten gehabt haben mag.

Diese Jagdart erfordert natürlich ein reichlich mit Sauen besetztes Revier und kann daher heutzutage nur noch im Park Anwendung finden, wodurch der eigentliche Charakter der freien Hatze verloren geht. Man hat daher im nördlichen Deutschland schon seit langer Zeit die Streifjagd in einer Weise abgeändert, welche nicht allein im Park, sondern auch bei den unergiebigern Jagden im Freien sich vortheilhaft bewährt hat. Es werden hier nämlich gar keine Hatzen außerhalb des abzujagenden Districtes postirt, sondern man stellt statt deren eine Schützenlinie auf. Der Rüdemann, nur mit Horn, Peitsche und dem kurzen „Couteau“ ausgerüstet, zieht von der entgegengesetzten Seite zu Holz. Ihm folgen unter Aufsicht eines Gehülfsjägers etwa 12–15 Hatzleute, deren jeder 2 rasche, scharfe Hunde, die Saufänger, am Hatzriemen führt. Sobald die Finder laut werden, löset man die Saufänger nach und nach, welche die Sau entweder einholen und decken, oder bis an die Schützenlinie treiben. Im erstern Fall wird die Sau sofort vom Rüdemann abgefangen, andererseits wird sie beim Passiren der Schützenlinie todt oder fehlgeschossen, wo der betreffende Schütze dann suchen muß, die nachjagenden Hunde mit Hülfe der Peitsche zu „stoppen“ oder anzuhalten.

1. und 2. Hirschfänger aus dem 16. und 17. Jahrhundert.     3. Der moderne
Hirschfänger oder das „Couteau“.     4. Fangeisen oder die „Saufeder“.
5. Dasselbe von der Schneidseite.     6. Lederscheide für das Fangeisen.
7. und 8. Hifthorn und Zinken aus dem 16. Jahrhundert.
9. Der „halbe Mond“.     10. Das Signal- oder C-Horn.

Für einen rüstigen Jagdfreund in jüngern Jahren ist es gewiß interessant, zur Abwechslung einmal den Schützenstand zu verlassen und den Rüdemann auf seinem Zuge zu begleiten. Während man an der Schützenlinie oft auf einem verlornen Posten stundenlang vergebens ausharren muß, ohne etwas von der Jagd zu hören oder zu sehen, bleibt man hier in fortwährender Spannung und Bewegung. Ernste und komische Scenen wechseln oft ebenso rasch, wie die Scenerie der Landschaft, denn ist die Jagd einmal im Gange, so geht’s unaufhaltsam, oft in raschester Gangart, vorwärts.

Da stehen wir am frühen Wintermorgen mitten im weiten, stillen Bergwald, am Rande einer eingeschneiten, unabsehbaren Kieferndickung und harren mit Ungeduld der Minute, in welcher, der Verabredung gemäß, die Suche beginnen soll. In einiger Entfernung vom Rüdemann hält der bunte Haufen der Hatzleute, meist Bauernbursche aus der Umgegend, im drolligsten Costüm. In langen blauen oder weißen Leinwandröcken mit einer oben im Nacken beginnenden Taille, hohen Stiefeln, mit Zipfelmützen, Filzhüten und Capuzen angethan, stehen sie da und trampeln mit den Füßen im hohen Schnee oder schlagen zur Erwärmung die in ein Paar riesige Fausthandschuhe auslaufenden Arme um die Rippen. Jeder trägt über der linken Schulter den vollgestopften, weißleinenen Proviantbeutel, über der Rechten den breiten Hatzriemen und die kurze Peitsche. Eine wahre Aesopsfigur ist in der Regel der „Brodträger“, welcher an jeder Seite einen Pack Hausbackenbrode als Hundefutter für den heutigen Tag aufgeschnallt hat. Fünfundzwanzig bis dreißig Hatzhunde mit wahren Galgenphysiognomien und in allen möglichen Farbennüancen vollenden das Pittoreske dieser Gruppe. Sie stehen zitternd vor Kälte und Ungeduld mit eingeklemmter Ruthe und gekrümmtem Rücken und nagen sich die Schneeballen aus den zottigen Pfoten.

Endlich zieht der Rüdemann seine große Taschenuhr und steckt sie langsam wieder ein. Doch nein, es geht wirklich los, denn er hantiert bereits mit dem kupfernen Signalhorn und gibt seinem Gehülfen einen Wink, die beiden Finder zu lösen. Eilfertig rennen die kleinen struppigen Köter dahin und verschwinden lautlos in der Dickung. Nun schmettert und jubelt das Horn die lustige Anjagdfanfare durch den schweigenden Wald; weithin erschallen die vollen, runden Klänge, und dem letzten wirbelnden Triller folgt, in höchster Tonart ausgestoßen, der altwaidmännische Jagdruf: „Ho, Ridoh! Juch Suh!“ – Die Jagd ist eröffnet.

Langsam folgen wir den Findern in’s Dickicht, vorauf der Rüdemann, hinter uns in langer Reihe die Hatzleute mit den Hunden, einer hinter dem andern, wie die Enten. – Der Zugführer steht und horcht, und Alles steht unbeweglich, nur die Hunde winseln vor Ungeduld und Erwartung. Da hört man weit in der Ferne den Laut des Finders, und um ihn zu ermuthigen, läßt der Rüdemann sein: „Wallo! mein Hund, Juch Suh!“ erschallen. Da wird auch der andere Finder laut, und wir setzen uns in Trab, um näher zu kommen.

Es ist wieder still, die Hunde haben augenscheinlich die Fährte verloren, und wir machen einen Augenblick Halt auf einer kleinen Blöße, wo zahlreiche Saufährten den blendend weißen Schnee durchkreuzen. Weiterhin hat eine Sau über Nacht „gebrochen“, jedenfalls ein starker Keiler, denn die Fährte ist breit, und in dem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 587. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_587.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)