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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 38. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der Arcier.

Erzählung von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)

Nachdem Frohn voll Spannung eine Weile beinahe athemlos in dem Alkoven gelauscht, hörte er lebhafte Schritte; sie wurden laut jenseits der großen Flügelthüre, welche zur Rechten des Schreibtisches aus dem königlichen Zimmer hinausführte.

Frohn zog eben seinen Flügelrock und seine scharlachrothe Uniform aus; er warf sie auf einen Fauteuil, der zu Häupten des Bettes stand. Die Thüre ging auf, und zwei Männer traten fast zu gleicher Zeit in das Wohnzimmer des römischen Königs; Einer in dunkler Civiltracht, der Andere in einer schwarzen, mit gelben Garnituren besetzten Hofuniform.

Frohn stand in der Dämmerung des Alkovens, halb von der Draperie der Portière verborgen, so daß er den beiden Männern den Rücken zuwandte; um die Größe seiner Gestalt zu verbergen, hielt er sich ein wenig vornübergebeugt, als ob er an einer Tuchnadel seines Jabots nestele oder doch mit seiner Kleidung beschäftigt sei.

„Majestät halten mir zu Gnaden,“ sagte der Mann, welcher zuerst eingetreten und in Civiltracht war, „der Hoffourier von Echtern verlangt im Auftrag Ihrer Majestät der Kaiserin durchaus noch eingelassen zu werden.“

Frohn räusperte sich, um eine gewisse Heiserkeit seiner Stimme hervorzubringen, dann sagte er möglichst gedämpft:

„Was gibt’s?“

„Die Kaiserin,“ nahm jetzt Herr von Echtern das Wort, „läßt Eurer Majestät vermelden, daß der Courier statt morgen früh noch in der Nacht abgehen soll. Wenn Ew. Majestät sollten ihm ein Schreiben mitzugeben …“

„Auf dem Tisch da! Nehm’ Er’s!“ sagte Frohn so lakonisch und so gedämpften Tones wie möglich.

Die beiden Männer hatten sich bis jetzt respektvoll an der Thüre gehalten. Des Königs Kammerdiener trat nun an den Tisch, nahm das fertig liegende Schreiben und übergab es dem Herrn von Echtern, der sich nach der Gegend des Alkovens hin demüthigst verbeugte und dann Augenblicklich damit abzog, um seiner Gönnerin, der Frau von Lederer, sofort den befriedigendsten Bericht abzustatten.

„Haben Majestät etwas zu befehlen?“ fragte unterdeß der Kammerdiener.

„Nein, geh Er!“ lautete die Antwort.

Der Mann wandte sich zum Gehen.

„Majestät haben heut Abend eine etwas belegte Stimme,“ dachte er im Stillen, während er die Flügelthüre hinter sich schloß. „Es ist gut, daß sie sich so ungewöhnlich früh zu Ruhe legen!“

Dann zog er sich in seine Stube zurück; er wußte, daß der König beim Auskleiden nie seine Hülfe wollte, und war sehr zufrieden, daß er nicht gescholten worden, weil er den strengsten Befehl hatte, nach zehn Uhr des Königs Zimmer nicht mehr zu betreten.

Sobald Frohn sich allein sah, eilte er auf den Schreibtisch zu; er ergriff eine Feder und auf den nächsten vor ihm liegenden Bogen weißen Papiers zeichnete er rasch die Figur eines Briefen, daneben einen Mund und auf den Mund einen Finger.

„Er wird’s verstehn,“ sagte er sich dabei, „ohne daß wir hier ein schriftliches Document unserer Anwesenheit hinterlassen, das morgen früh vielleicht der Kammerdiener eher bemerkte, als der König.“ Dann wollte er von dem königlichen Schreibsessel, den er eingenommen hatte, aufspringen und sich eiligst zurückziehen, als sein Blick auf einige Papierbogen fiel, die auf dem Tische lagen, unter einer als Briefbeschwerer gebrauchten zierlichen Bronze-Lacerte von römischer Arbeit. Diese Bogen trugen oben als gedruckten „Kopf“ die Worte:

„Wir, Joseph, Erwählter Römischer König, Erzherzog von Oesterreich, Königlicher Prinz von Hungarn und Böheim etc. etc.“

Darunter stand von der Hand eines Secretairs mit groben Kanzleizügen geschrieben:

„lassen hiermit, als Divisionär der zweiten Division des ersten Armeecorps, die vom Kaiserlichen Hof-Kriegsrath an uns zurückgelangten Kostenabschlüsse Eurer Bataillonscasse nebst den Belägen nach erfolgter Dechargirung für das dritte Jahresquartal hieneben ohnbeanstandet zurückerfolgen.“

Die Hand König Josephs hatte diesen Erlaß unterzeichnet. Unten stand, von der Hand des Abschreibers:

„An das kaiserliche Commando des ersten Bataillons des Infanterie-Regiments Lobkowitz-Grenadiere.“

Dies war der Inhalt des obenliegenden Blattes. Das nur zur Hälfte darunter verborgene zweite zeigte Frohn nichts als den gedruckten „Kopf“ und den Namenszug des römischen Königs an derselben Stelle, wo er auf dem ersten Blatte stand. Dasselbe war mit etwa einem Dutzend folgender Blätter der Fall. Es waren Blankets, die alle gleichmäßig für die verschiedenen Bataillone der Division des Königs ausgefüllt werden sollten, und die der letztere eben unterschrieben zu haben schien, um die Arbeit zu erledigen, ohne weitere Hin- und Hersendungen aus der Kanzlei nöthig zu machen.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 593. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_593.jpg&oldid=- (Version vom 14.5.2017)