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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

„Ihnen Ihr Kreuz ist’s?“ fragte der Actenmann mit einiger Ueberraschung zu dem hohen Leibgardisten aufschauend.

„Ich wohne im Hause der Eltern des Monsieur Franz Fellhamer; dadurch hat der leichtsinnige Mensch Gelegenheit bekommen, es mir zu entwenden – wahrscheinlich weniger in der bösen Absicht, sich den Goldwerth anzueignen, als um damit vor seinen Gesellen zu prahlen.“

Der Polizeimann schüttelte verdrießlich den Kopf.

„Das muß sich ausweisen,“ sagte er.

„Freilich,“ versetzte Frohn. „Ich bitte Sie um die Auslieferung des Kreuzes.“

„Ist’s denn gar so eilig?“

„Ich habe Gründe, es sofort zurückzuverlangen. Und da es mein Eigenthum ist, werden Sie es nicht verweigern.“

„Es wird halt nicht so schnell gehen. Schaun’s, a kleines Protokoll wird schon zu machen sein, und nachher müssen’s abwarten, was die Behörde resolvirt, und dann wird man den Herrn schon vorladen, es in Empfang zu nehmen, und a Urkund oder a Bescheinigung müssen’s auch beibringen, daß der Orden der Ihrige ist – die Polizei weiß halt nichts davon.“

„Daran fehlt es nicht,“ entgegnete Frohn, indem er seine königliche Verleihungs-Urkunde hervorzog und, nicht ohne eine kleine Gewissensbeängstigung, dem Beamten vorlegte. „Hier ist die Bescheinigung, die Ihnen genügen wird.“

Der Polizeirath überlas das Blatt.

„Sie werden jetzt auch einsehen, weshalb ich den Orden mir auf der Stelle eingehändigt wünschen muß,“ fuhr Frohn fort. „Der römische König hat mir den Orden gegeben, bevor die urkundliche Verleihung vom Kaiser selbst erflossen ist. Ich habe ihn deshalb auch noch nicht tragen dürfen, und wenn die Sache bei Hofe bekannt würde, so könnten die alten Majestäten es dem römischen König als eine Eigenmächtigkeit verübeln, und darum kann ich Ihnen schon unter vier Augen anvertrauen, daß der Herr Polizeirath sich beim römischen König einen großen Stein im Bret verschaffen würden, wenn über den Orden in der Untersuchung kein Lärm geschlagen wird, und besonders, wenn Sie kein Aufhebens davon in dem Polizei-Bericht machen, der am Ende der Woche in’s Cabinet der Kaiserin gesandt wird.“

„Schau, schau, so steht’s?“ fiel der Polizeirath lebhaft ein. „Ja, das ist freilich was Andres; wissen’s was, Herr von Frohn, das Beste ist, ich mach’ gleich nur einen Vermerk in die Acten: „das Kreuz ist dem Inhaber ruckgeb’n worden, sub fide Rath Hinterhuber,“ nachher hab’n wir nichts mehr damit zu schaffen.“

Der kleine Mann war jetzt eben so dienstwillig wie vorher unwirsch.

„Kommen’s nur mit, kommen’s nur mit,“ sagte er und schritt Frohn voran in einen an sein Arbeitszimmer stoßenden Raum von großer Familienähnlichkeit mit dem ersteren, nur daß hier die Actenrepositorien abwechselten mit großen dunklen Schränken, zu deren einem der Polizeirath sich wandte, um ihn mit einem Schlüsselbund, das er aus der Tasche hervorholte, aufzuschließen und dann lange darin herumzukramen. Frohn warf einen Blick in das dunkle tiefe Innere dieses Kastens, das im Kleinen mir frappanter Aehnlichkeit das Bild eines Trödlerladens darbot, nur daß diese amtliche Trödlerbude mit entschiedener Bevorzugung alles dessen angelegt schien, was sich leicht forttragen und unter einen Rockschoß verbergen ließ, während das mehr Raum einnehmende Mobiliar fehlte. Stockuhren, rostige Pistolen, Haufen von Wäsche, Kleidungsstücke, Stiefeln, Pferdezäume, eine Unzahl von Reticüles mit knapp abgeschnittenen Bändern, Gebetbücher, kupferne Casserolen und tausend andere Dinge ruhten friedsam in diesem Mikrokosmos des Culturlebens einer großen Stadt bei einander, und jedes trug auch sein Zeichen, daß es solchem Culturleben angehöre, an der Stirne, einen Zettel nämlich, mit Actenzeichen und Nummern darauf.

Was der Polizeirath suchte, befand sich nun freilich nicht mitten zwischen allen diesen Sachen, sondern in einem besonderen mit einem Vorhängeschloß verwahrten Kasten, worin alle diejenigen Gegenstände untergebracht schienen, die einen größeren Werth repräsentirten; und daraus nahm der Beamte denn bald ein kleines Packet heraus, als dessen Inhalt sich richtig das dunkel emaillirte, in der Form dem Malteserorden sehr ähnliche Stephankreuz zeigte. In den Winkeln waren vier goldne Lilien angebracht, und oben eine goldene Königskrone. Das rothe dazu gehörende Band befand sich noch daran.

„Da haben’s Ihnen Ihr Kreuz,“ sagte der Polizeirath, „und nun kommen’s, daß wir’s eintragen.“

Er verschloß den Schrank wieder und ging in sein Arbeitszimmer zurück. Frohn folgte ihm. Hier holte er unter mehreren dicken Actenfascikeln ein Heft hervor, welches sein noch jugendliches Alter durch eine außergewöhnliche Dünnleibigkeit verrieth, schlug es auf und nachdem er auf den weißen Rand eines der Schriftstücke seinen „Vermerk“ gemacht, deutete er aus die Stelle darunter und sagte:

„Hier, da schreiben’s hin, daß wir’s Kreuz Ihnen obruck geb’n hab’n.“

Frohn faßte die Feder und malte mit möglichst ungeschickter Führung des Kiels, der unter dem Druck seiner schweren Hand ganz entsetzlich ächzte und knirschte, die Worte hin:

„Obiges Kreuz des Ordens vom heiligen Stephan habe ich zurück erhalten.
Joseph von Frohn.“

„Ist das Ihre Hand?“ fragte der Beamte.

„Wie Sie sehen.“

„Aber sogn’s, wie hoßt’s denn, der Namenszug da?“

Der Namenszug war freilich so verschnörkelt, daß eine hellsehende Somnambule nicht aus diesen verwirrten Haken Joseph von Frohn gelesen hätte.

„Das geb’ ich Ihnen zu rathen auf,“ antwortete lachend der Arcier. „Ein wenig wüst aussehen thut’s schon, man verlernt das Schreiben eben im Felde, und besonders’dann, wenn man schon vorher nicht stark darin war.“

„Ja, mag schon sein,“ versetzte der Polizeirath.

„Und nun danke ich Ihnen für Ihre Gefälligkeit,“ fuhr unser Arcier fort, „es wird dem römischen König schon zu Ohren kommen, verlassen Sie sich darauf. Aber ich darf Sie nicht länger aufhalten, es ist längst Essenszeit …“

„Ja, freilich längst ist’s Essenszeit,“ fiel der Beamte mit einem elegischen Tone ein. „Aber warten’s noch, wir sind halt noch immer nicht fertig.“

„Was ist denn jetzt noch zu thun?“

„Ja, schaun’s, unterschrieben haben’s freilich, aber etwas habn’s vergessen.“

„Und was ist das?“

„Das manu propria habn’s ausgelassen. Ich muß gar schön bitten.“

„Ein m. p. noch – nun darauf soll’s mir nicht ankommen,“ versetzte Frohn lachend und ergriff die Feder wieder, um hinter seinen Namen noch den verlangten Zug zu machen.

„Jetzt können’s gehn,“ sagte der Beamte, „für alles Andre sorg’ ich schon selbst.“

„Küß die Hand, Herr Polizeirath,“ erwiderte Frohn und eilte mit viel leichterem Herzen, als er gekommen, und mit raschen Schritten aus den dunklen, unheimlichen Räumen hinaus.


6.

Im Besitze seiner Beute gab unser Arcier sich zunächst der Erfüllung der moralischen Obliegenheit hin, die der Sterbliche in Beziehung auf sein eigenes Wohlbefinden hat und welche der tugendhafte Polizeirath deshalb so stark durch die wiederholte Bemerkung: „es ist Essenszeit“ betont hatte.

Nachdem er diese Pflicht erfüllt und sein Mahl in einem nahen Speisehause zu sich genommen hatte, trat er den Heimweg zu seiner Wohnung an und ließ sich nun sofort bei Demoiselle Thereserl melden.

Die junge Dame trat ihm sehr bewegt entgegen. Sie sah wo möglich noch niedergeschlagener aus, als am Tage vorher. Sie hatte auch in der That Grund dazu … sie gestand Frohn ein, daß sie ihren Ordensritter seit gestern gesprochen, daß er sein Kreuz gebieterisch zurückverlangt habe, daß sie gar keine Ausflucht gewußt, daß sie ihn ja auch viel, viel zu sehr lieb habe, um ihn durch falsche Vorwände hintergehen zu können, und daß er bei ihrem aufrichtigen Bekenntniß sehr, sehr ernst und sehr unwillig geworden.

„Und hat er beschlossen, sofort etwas in der Sache zu thun?“ fragte Frohn eifrig.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 595. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_595.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)