Seite:Die Gartenlaube (1860) 599.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Krankheit verdankte. Aber auch jetzt fand er nicht die gewünschte Ruhe, da ihn die veränderten Zeitereignisse in den Strudel der damaligen religiösen und politischen Bewegung fortrissen. Zunächst betheiligte er sich an dem Kriegszug des sogenannten schwäbischen Bundes gegen den alten Feind seines Geschlechtes, Herzog Ulrich von Würtemberg. Hier lernte er im Lager den edlen Franz von Sickingen, das Haupt der Ritterschaft, genauer kennen, „einen Mann,“ wie er an Erasmus schreibt, „wie Deutschland lange keinen gehabt hat, und von dem ich hoffe, daß er dieser Nation noch einmal zum großen Ruhme gereichen werde. Nichts bewundern wir an den Alten, dem er nicht eifrig nachstrebte. Er ist klug, ist beredt, greift Alles rasch an und entwickelt eine Thätigkeit, wie sie bei einem Oberanführer erforderlich ist – Gott möge den Unternehmungen des tapferen Mannes beistehen!“

Bald wurden Beide die innigsten Freunde, sie schliefen in demselben Zelte, sie aßen an demselben Tische und tranken aus demselben Becher. Ihre Herzen waren von derselben Liebe zum Vaterlande, von demselben Hasse gegen seine Unterdrücker und Tyrannen erfüllt. Auf Sickingen’s Burg fanden die Freunde der Wahrheit sicheren Schutz, sein starker Arm war stets bereit, die verfolgte Unschuld zu vertheidigen.

Unterdeß war in Deutschland durch Luther’s Auftreten die Reformation herbeigeführt worden. Anfänglich erblickte Hutten in dieser neuen Bewegung nur ein eifersüchtiges Mönchsgezänk, bald aber begriff er die hohe Bedeutung des gewaltigen Gottesmannes. Sogleich mit Luther Gemeinschaft zu machen, hinderte ihn wohl die Rücksicht auf seinen bisherigen Wohlthäter, den Erzbischof von Mainz. Dagegen bestimmte er seinen Freund Sickingen, dem verfolgten Reformator seinen Schutz anzubieten, und ihn zu sich auf die feste Ebernburg einzuladen, im Falle ihm Gefahr drohen sollte. Hutten selbst schloß sich mit dem ganzen Feuer seiner ungestümen Natur der neuen Bewegung an, indem er eine Reihe von Streitschriften gegen den Papst und die römische Kirche erließ. Eine mächtige Umwandlung war in seiner Seele vorgegangen: der classische Humanismus füllte ihn nicht mehr aus; er erkannte, daß die Gelehrsamkeit und die antiken Formen ohne einen tieferen Inhalt dem deutschen Volke nicht genügen konnten, daß neue Mächte auf dem Schauplatze der Weltgeschichte erschienen waren. Je tiefer er aber diese Wendung des Zeitgeistes erfaßte, desto ernster wurde sein Streben, desto gediegener seine Schreibweise, desto mehr näherte er sich wieder der heimischen, vaterländischen Auffassung, indem er seine ursprünglich deutsche Natur walten ließ und den Spielereien mit dem Alterthum entsagte.

Für diese große Umänderung legte zunächst sein erster Brief an Luther Zeugniß ab. „Es heißt,“ so schrieb ihm Hutten, „Du seiest in den Bann gethan. Wie groß, o Luther, wie groß bist Du, wenn es wahr ist! Denn von Dir werden die Frommen sagen: „Sie suchten die Seele des Gerechten, und das unschuldige Blut verdammten sie; aber Gott wird ihnen ihre Missethat vergelten, und in ihrer Missethat wird Gott der Herr sie verderben.“ Das sei unsere Hoffnung, das unser Glaube. Verfechten wir die gemeine Freiheit! befreien wir das unterdrückte Vaterland! Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein? Franz (von Sickingen) läßt Dir sagen, zu ihm zu kommen, falls Du nicht gehörig sicher bist; er wird Dich Deiner Würde gemäß ehrlich halten und gegen alle Feinde männlich vertheidigen. Grüße Melanchthon, Fachus und alle Guten dort; lebe freundlich und in Christo wohl.“

Aber noch lebte Hutten in dem Irrthume, daß die Reformation von den Fürsten ausgehen und bei ihnen Schutz suchen und finden müsse. Zu diesem Zwecke reiste er nach den Niederlanden, um den Bruder des neu erwählten deutschen Kaisers, Erzherzog Ferdinand, durch seine Schriften und mündliche Unterredungen dafür zu gewinnen, indem er ihm den gefährlichen Einfluß des Papstthums auf die weltliche Herrschaft des Kaisers darzuthun suchte. Wie vorauszusehen, wurde er mit seinen wohlgemeinten Vorschlägen nicht gehört.

Auf dem Rückwege begegnete ihm ein komisches Abenteuer. Wie er mit zwei Knechten heimwärts ritt, begegnete ihm der berüchtigte Ketzerrichter Hochstraaten in der Nähe von Löwen.

„Endlich,“ schrie ihm Hutten mit gezogenem Degen zu, „endlich fällst Du in die rechten Hände, Du Scheusal! Welchen Tod soll ich Dir nun anthun, Du Feind aller Guten und Widersacher der Wahrheit?“

Zitternd sank der feige Pfaffe ihm zu Füßen und bat um sein Leben.

„Nein,“ entgegnete der edle Ritter, indem er sein Schwert wieder in die Scheide stieß, „nein, mein Degen soll sich nicht mit so schlechtem Blut besudeln, das aber wisse, daß viele Schwerter nach Deiner Kehle zielen, und Dein Untergang eine ausgemachte Sache ist.“

Während seiner Abwesenheit von Mainz waren seine täglich sich mehrenden Feinde nicht unthätig geblieben. Sie hatten einen Erlaß des Papstes an den Erzbischof bewirkt, worin demselben aufgegeben wurde, Hutten aus seinen Diensten zu entlassen und wegen seiner Schmähschriften gegen die römische Kirche zur Verantwortung zu ziehen.

Die Ebernburg seines Freundes Sickingen bot ihm jetzt eine Zuflucht vor den drohenden Verfolgungen. Dort benutzte er die unfreiwillige Muße, um den tapfern Ritter vollends für die Sache Luthers und die Reformation zu gewinnen. In dem hohen Söller las er ihm die Schriften des Gottesmannes mit lauter Stimme vor, keine Mahlzeit ließ er vorübergehen, ohne ihn in die neue Lehre einzuweihen. Schweigend und in tiefen Gedanken hörte ihm der mächtige Krieger zu, bis er nach und nach dafür gewonnen wurde.

„Wie?“ fragte er anfänglich staunend, „das wagt Jemand erschüttern zu wollen, oder wenn er es wagt, hofft er es zu können?“

Aber Luther’s Muth fand in seiner eigenen tapferen Seele bald den mächtigsten Wiederhall; bedächtig folgte er dem stürmischen Eifer seines gelehrten Freundes, mit dem er fast täglich über das Wesen der Reformation sich besprach. Während draußen der Nordwind um die feste Burg stürmte und heulte, wurde es Frühling in des Ritters Brust, und die junge Saat begann zu keimen.

„Traun!“ rief er bewundernd aus. „Das Mönchlein ist ein starker Riese, und sein Geist gewaltiger denn hunderttausend gewappnete Krieger, dieweil Gott mit ihm ist.“

Endlich, da er überzeugt war, blieb er fest bei seinem neuen Glauben stehen, wie ein Fels von wilden Wogen umtobt.

„Luther’s Sache,“ sagte er, „ist die Sache Christi und der Wahrheit; überdies fromme es dem deutschen Gemeinwesen, daß Luthers und Hutten’s Mahnungen Gehör finden und der neue Glaube geschirmt werde.“

Von nun an war Sickingen der eifrigste Freund und Verfechter der Reformation, die ihm zu großem Danke verpflichtet ist. Wie es aber Hutten klar geworden war, daß nicht die Großen und Mächtigen der Nation, sondern das Volk zumeist die gewaltige Bewegung zu fördern und glücklich durchzuführen im Stande sei, so fühlte er auch jetzt die innere Nothwendigkeit, nicht die Sprache der Gelehrten, welche die lateinische war, sondern die deutsche des Volkes zu reden und zu schreiben. Darum sang er auch:

Latein ich vor geschrieben hab,
Das war ei’m Jeden nit bekannt;
Jetzt schrei ich an das Vaterland,
Teutsch Nation in ihrer Sprach’,
Zu bringen diesen Dingen Rach’.

Entschieden hatte auf diesen Entschluß Luther’s Beispiel einen großen Einfluß ausgeübt. Jetzt erst wurde Hutten ein wahrhaft populärer Schriftsteller; seine Worte und Lieder drangen in das Volk, während er früher nur von einigen Gelehrten gelesen und gepriesen wurde. In demselben Maße aber wuchs seine Bedeutung und sein Einfluß im gesammten Vaterlande. Jetzt erst wurde er einer der wirksamsten Förderer und Träger der deutschen Reformation. Seine Schriften zu Gunsten der neuen Lehre, seine Satiren gegen das Papstthum waren von einer unbeschreiblichen Wirkung für die gute Sache der religiösen Freiheit. Ohne Menschenfurcht und Scheu rief er: „Ich hab’s gewagt!“

Die Wahrheit muß herfür, zu Gut
Dem Vaterland, das ist mein Muth.
Kein ander Ursach ist, noch Grund,
Darum ich aufgethan den Mund,
Und mich gebracht in Armuths Noth,
Das weiß von mir der liebe Gott.
Der helfe mir bei der Wahrheit Sach’,
Laß gehen aus sein göttlich Rach’,
Damit das Bös’ nicht triumphir’
Und daß auch werd’ vergolten mir,
Ob ich vielleicht ohn’ Fug und Glimpf
Hätt’ gefangen an ein’ solchen Schimpf,
Der Niemand größern Schaden bringt,
Dann mir, als noch die Sach’ gelingt,
Dahin mich Gott und Wahrheit dringt.
 Ich hab’s gewagt!

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 599. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_599.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)