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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Schilderungen aus Amerika.
In den Adirondack-Bergen.
Von Wilh. Heine.[1]
Ein Stück Urwelt – Das Bäumetreiben – Das Flußtreiben – Das Flößen – Cheney, der gewaltige Jäger – Seine Abenteuer mit Panther, Wolf und Bären.

Den Norden des Staates New-York durchschneidet ein Zweig der großen Alleghanykette, die sich von Südcarolina bis hinauf nach Canada erstreckt. Obschon die Landstriche entlang der Meeresküste und entlang den großen Flüssen bis hinauf nach dem Ontario und Eriesee zu den bevölkertsten Gegenden der vereinigten Staaten gehören, so ist dieser Gebirgsstock (allgemein unter dem Namen „Adirondack“ bekannt) aus verschiedenen Gründen beinahe eine völlige Wildniß und Einöde geblieben, die mit Ausnahme von einigen Jägern und im Winter von Holzfällern nur von Bären, Panthern, Wölfen und Hirschen ohne Zahl bewohnt wird.

Ich besuchte während meines Aufenthaltes in Amerika diese wilde romantische Gegend verschiedene Male, und obschon die amerikanische Presse häufig Notizen über dieselbe und Pläne bringt, wie die darin verborgenen Reichthümer am besten auszubeuten wären, so ist dennoch, so viel mir bekannt, in deutscher Literatur dieser Gegend kaum anders als flüchtig erwähnt worden. Die Berge sind reich an Mineralien, und fruchtbare Thäler liegen dazwischen, aber die Einwanderung der Fremden hat sich noch nicht hierhergewendet. Noch liegen die Berge wild und trotzig, von ihrer alten ursprünglichen Urwalddecke umhüllt, von reißenden Wassern durchkreuzt, von Schluchten zerrissen. Ohne gebahnte Wege, nur auf den Führer und den Compaß als Wegweiser verwiesen, ist man genöthigt, Ströme zu durchwaten, Sümpfe zu umgehen und über ungeheuere Strecken vom Winde umgerissener Bäume zu klettern, und zuletzt, wenn die Nacht hereinbricht, hat man sein Lager aus den Zweigen der Fichtenbäume zu bereiten. Dehnte sich nicht eine Kette von Seeen durch die ganze Länge dieser Wildniß, sie wäre vollkommen unzugänglich. Längs dieser Wasserflächen, von der einen zur anderen, und um Wasserfälle oder Stromschnellen herum, rudern die Abenteuerer ihr Boot oder tragen es auf den Köpfen. Nach diesen vorläufigen Bemerkungen möge sich der Leser einen Begriff machen, in was für eine Region wir ihn einzuführen im Begriffe sind.

Unwillkürlich stößt dem Leser die sehr natürliche Frage auf: Was für Leute leben da, und wovon leben sie? Die Antwort darauf dürfte sein: Holzfäller und Jäger. Es ist schwer, sich einen Begriff von der Quantität Holz zu machen, die jeden Winter von verschiedenen Theilen des Plateau’s nach Albany gebracht wird; tausend Menschen befinden sich dann auf derselben Stelle, wo jetzt vielleicht nicht ein einziges lebendes Wesen ist. Speculanten kaufen Land des Nutzholzes wegen und senden im Winter Provisionen für die Arbeiter, die das Holz fällen.

Blockhütten werden in den etwas gedeckt liegenden Schluchten für Menschen und Vieh errichtet, einige Stangen zwischen die Balken der Hütte getrieben, und so gelagert und ausgerüstet erklärt man den Kiefernwaldungen den Krieg. – Ochsen werden getrieben und gewaltige Stämme über ein Terrain fortgeschleppt, wo es kaum möglich scheint, Fuß zu fassen. Oft werden große Strecken der öffentlichen Ländereien nur der Kiefern wegen gekauft, die darauf stehen, und sind diese umgehauen, so läßt man Grund und Boden an den Staat zurückfallen, um nicht die darauf haftenden Steuern zu bezahlen. In den innersten Theilen zwar wird noch wenig Holz gefällt, da es unmöglich ist, dasselbe zu Markte zu bringen; allein so wie die cultivirten Strecken sich jährlich mehr ausdehnen, so nehmen die jetzt obwaltenden Hindernisse allmählich ab, und bald werden Straßen und schiffbare Flüsse jeden Punkt des Adirondack zugänglich machen. –

Hast du, lieber Leser, jemals einen Baum gefällt? Wenn nicht, versuche es; das Experiment ist der Mühe werth, sei es nur des Bewußtseins von Macht wegen, das es verursacht, oder des großartigen Eindruckes, den es hervorbringt, wenn der gewaltige Stamm mit seinen weiten Aesten zuletzt unseren Angriffen zum Opfer fällt und die gehabte Mühe reichlich lohnt. Der erste Hieb verursacht ein leises Zittern bis in den grünen Gipfel; allein wenn Streich auf Streich ohne weiteren Erfolg fällt, scheint es, als ob der alte Waldkönig unserer ohnmächtigen Anstrengungen spotte und sie mit stiller Verachtung ertrage. Endlich jedoch, wenn Fiber nach Fiber getrennt worden und zuletzt das Herz erreicht ist, ertönt ein leises Stöhnen, dann folgt ein Krachen, als ob der innerste Nerv verwundet sei. Der schöne Stamm wankt einen Augenblick, wie um seine gewaltige Masse zu stützen, neigt dann seinen hohen Gipfel und stürzt endlich mit einer Gewalt zu Boden, die Alles rings herum erdröhnen macht. – Da liegt er, seine mächtigen Arme zerbrochen umhergestreut, ein lebloser, zu Boden gestreckter Held. Seine Brüder nicken und zittern einen Augenblick über ihm, als ob sie seinen Fall mitempfänden, und dann ist Alles wieder ruhig.

Doch das Fällen eines einzigen Baumes ist eine Kleinigkeit im Vergleich mit dem Verfahren, das man hier zu Lande „Bäume treiben“ (driving trees) nennt. Man lasse sich durch diese Benennung nicht verleiten, sich gleich einen ganzen Wald von Birnam auf das Schloß Dunsinane vorrückend vorzustellen, wie eine Heerde Schafe, die zu Markte getrieben wird; allein setzen wir uns für einen Augenblick an der Seite dieses Hügels nieder und betrachten wir den gegenüberliegenden Abhang. Gerade über jenem kahlen Flecken in dem dichten Gehölz haben so tüchtige Holzhauer, als je eine Axt schwangen, den Wald während der letzten drei Stunden von ihren regelmäßigen Axtschlägen ertönen lassen, und dennoch ist nicht ein einziger Baum gestürzt. Doch jetzt! seht, einer beginnt zu weichen, krach! krach! krack! krasch! ein ganzer Wald scheint zu fallen, und eine Lücke, so breit wie der Pfad eines Wirbelwindes entsteht. Die Holzhauer arbeiteten den Hügel hinauf und hinab, jeden Baum nur halb anhauend, bis sie zwanzig oder mehr theilweise gefällt hatten. Das thun sie nicht auf gut Glück hin, sondern wählen jeden Baum mit besonderer Berücksichtigung des ihm zunächst stehenden. Wenn nun zuletzt eine genügende Anzahl vorbereitet ist, so fällt man einen Baum, dessen Fall einen andern trifft, der schon angehauen worden, dieser einen dritten u. s. w., bis fünfzehn oder zwanzig auf einmal stürzen. Diese Arbeitsersparniß ohne Maschine nennt man „Bäume treiben“, und tüchtig getrieben werden sie, das muß wahr sein.

Allein nicht nur die Bäume, sondern auch die Flüsse werden getrieben, und dies ist eine der Merkwürdigkeiten des Lebens unter den Hinterwäldlern, wo man Flüsse statt der Straßen und Fuhrwerke benutzt. An den steilen Bergabhängen und längs der Ufer der Bäche, die im Frühjahre zu wilden Bergströmen anschwellen, fällt man im Winter die hohen Kiefern und Tannen und schleppt oder rollt ihre Stämme bis an den Rand des Wassers. Hier schlägt ein Jeder sein Markzeichen auf seine Stämme und wirft sie in den Strom, wenn derselbe vom Regen geschwollen ist. Der geschmolzene Schnee längs der Höhenzüge kommt in einem ununterbrochenen Strom herab, und die Flüsse steigen wie durch Zauberei bis über ihre Ufer hinaus, und eine breite unwiderstehliche Fluth schießt wie ein lebendes düsteres Geschöpf durch den tiefen Wald dahin. Der Schaum zischt und kräuselt sich auf dem dunklen Busen der Gewässer vorbei an den Büschen, die sich vor der Fluth beugen, und den Felswänden, die ernst auf den unten herrschenden Tumult hinabschauen, während die hüpfenden Wellen dahinschießen wie der Pfeil vom Bogen oder vielmehr wie ein sichtbarer Geist, der, in Vollziehung einer geheimnißvollen Botschaft begriffen, die einsamsten und wildesten Pfade der Wildniß sucht. Ich habe die wilden Wogen wie tolle Geschöpfe auf weiter See gesehen und mit fremdartigen Gefühlen die mondbeleuchtete Tiefe beobachtet, als sie gleich der Menschenbrust sich langsam hob und senkte; allein es ist etwas unendlich mehr Geheimnißvolles in der ruhigen und doch blitzschnellen Bewegung eines tiefen dunklen Flusses, ganz allein in seiner Macht und Majestät durch das Herz eines gewaltigen Forstes brausend. Man nimmt ihn kaum eher wahr, als bis man an seinem Rande steht, und dann scheint er ohne Nachsicht auf uns und die Außenwelt ernst vorwärts zu rauschen und einen schrecklichen verborgenen Zweck zu erreichen.

Solche romantische Betrachtungen jedoch beschäftigen das Herz eines Hinterwäldlers selten. Die erste Frage, die er sich stellt, sobald er, seinen Kopf durch die Zweige steckend, den Strom hinauf-

  1. Unser berühmter Reisender befindet sich bekanntlich augenblicklich bei der preußischen Expedition nach Japan.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 606. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_606.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)