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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

und hinabblickt, bleibt: „Ist der Strom tief genug, Stämme zu flößen?“ Ist es so, dann schnell an’s Werk – hinab rollen die Stämme, einer nach dem andern, hinab über Berg und Hang mit Sprüngen, Sätzen und einem Plantsch in’s Wasser!

Heftige Regengüsse hatten einst während meines Aufenthaltes in jenen Gegenden die Flüsse sehr angeschwellt, und durch den Wald wandernd hörte ich bald das unausgesetzte dumpfe Rauschen, das sich aus der blätterüberdachten Einsamkeit erhob. In wenigen Augenblicken stand ich auf einer hervorspringenden Felsenplatte und sah den dunklen schwellenden Strom vor mir, wie er aus dem grottenartigen Blätterdache weit oben hervorbrach, um sich weiter unten in einer ähnlichen Schlucht zu verlieren. Ich stand geraume Zeit in Gedanken verloren und schaute träumend hinab in das großartige Schauspiel.

Wie lange ich in dieser halb träumerischen, halb gedankenvollen Stimmung verharrt haben würde, weiß ich nicht, wäre ich nicht plötzlich durch einen von unten her ertönenden Ruf aufgestört worden. Die Felsenwand hinabklimmend erreichte ich bald ein steiles Ufer, an dessen unterem Rande mehrere Leute beschäftigt waren, Stämme in den Fluß zu rollen. Ich sah ihnen eine Weile zu, und ihre Kaltblütigkeit, womit der Eine, halb unter einem ungeheuren Haufen Stämme verborgen stehend, an denselben herumhieb, um ein ihren Lauf hemmendes Hinderniß zu beseitigen, während der Andere die ganze Masse mittelst eines langen Hebels am Fallen verhinderte, nöthigte mir Bewunderung ab. Nach einigen sehr kräftigen Hieben sah ich die ganze Masse sich in Bewegung setzen, und ein unwillkürliches „Hab Acht, hab Acht!“ entriß sich meinen Lippen in solch erschreckenden Tönen, daß der kaltblütige Holzhauer unter seinen Stämmen hervorsprang, als sei er von einer Natter gestochen worden. Gleich darauf aber, über seinen voreiligen Schrecken lachend, ging er wieder an seinen alten Platz zurück, während der Mann mit dem Hebel nicht einmal seinen Kopf umdrehte, sondern nur ein kurzes Brummen hören ließ, was ungefähr so viel sagen wollte als: „Grün-Nase aus der Stadt!“

Es war ein begeisternder Anblick, diese ungeheuren Stämme wie toll dahineilen zu sehen, und sehr bald darauf lehnte ich meine Flinte an einen Baum, zog den Rock aus und einen Hebel ergreifend stand ich hinter einem großen Stamme und schob und arbeitete an demselben herum, bis ich ihn in Bewegung gesetzt hatte, und er mit dumpfem Getön, von Felsen zu Felsen hüpfend, mit einem gewaltigen Sprung in die Mitte des Flusses fiel. Einen Augenblick verschwand er unter Wasser, tauchte wieder auf und stand einen Augenblick still, sich nur um seine eigne Achse drehend, und dann allmählich der Macht der Strömung nachgebend, schoß er dahin, einem unten befindlichen Felsblock zu. Gegen denselben anrennend schwang sich das obere Ende in die Mitte des Wassers hinein und jetzt, von der vollen Macht desselben ergriffen, schoß er, wie plötzlich belebt, schnell dahin.

Ist der Fluß sehr voller Stämme, so bleiben dieselben manchmal an Felsen oder in dem Strauchwerk und den Wurzeln der Ufer hängen und sammeln sich oft bis zu mehrern Hunderten auf einer Stelle. Diese liegen dann still auf der steigenden und fallenden Fluth, während einer der Arbeiter langsam und vorsichtig von einem auf den andern schreitend mit seinen Füßen und einer langen Stange umherfühlt, zu sehen wo das Hinderniß sich befindet. Ist dieses entdeckt, so sucht er es zu beseitigen, was ihm oft mit wenigen Axthieben gelingt, und die ganze verworrene Masse setzt sich oft auf einmal in Bewegung. Jetzt hab Acht, du kecker Waldgesell, dein Pfad ist ein unsicherer, und ein wilder tückischer Strom unter dir! Doch seht, wie ruhig er das Chaos überblickt! Die geringste Eile oder Verwirrung würde ihm vielleicht das Leben kosten, allein er schreitet ruhig und unbesorgt dahin, jetzt einen Augenblick sich auf einem Stamme balancirend, der schnell mit ihm dahin schießt, dann schnell auf einen andern springend, wenn der erste unter ihm zu rollen beginnt, und so nähert er sich allmählich dem Ufer. Er hat dasselbe beinahe erreicht, als plötzlich die ganze schwimmende Masse eine so weite Kluft öffnet, daß er nicht länger von einem zum andern schreiten kann, worauf er jedoch nach einem Augenblicke ruhigen Umhersehens sich auf einen Stamm „à cheval“ setzt und so auf seinem seltsamen Roß den Fluß hinabtreibt, bis sich ihm eine günstige Gelegenheit bietet, das feste Land wieder zu erreichen.

Die Stämme werden auf diese Weise oft zwanzig bis dreißig Meilen weit geflößt, aus den kleinen Flüssen in die größern, über Seeen und durch Ströme, und zuletzt an Ort und Stelle aufgefangen, indem man lange Stangen über den Fluß steckt, die ihren weiteren Lauf hemmen. Gewöhnlich vereinigen sich mehrere Eigenthümer zu einer gemeinschaftlichen Flöße, und ein Jeder sucht sich dann die ihm gehörigen Stämme nach den Markzeichen, die er darauf geschlagen hat, so wie die Bauern ein jeder die ihm gehörigen Schafe aus der Heerde heraussuchen.

Dieses „Flußtreiben“ (driving the river), wie man es hier zu Lande gewöhnlich nennt, bildet im Frühjahr eine der Hauptbeschäftigungen der Hinterwäldler, und es ist merkwürdig zu beobachten, wie der Fluß ein Gegenstand voll des höchsten Interesses wird; sein Steigen und Fallen bildet den Hauptgegenstand der Unterhaltung.

Erzählt man vom Walde, so erwartet der Zuhörer ohne Zweifel auch einige Jagdabenteuer, denn der Schall der Axtschläge hat noch nicht alles Wild hinweggetrieben, und selbst in der Mitte der Civilisation werden noch manchmal wilde Kämpfe mit Bären, Panthern und Elenthieren ausgefochten. Im Herzen des Adirondack lebt noch „ein gewaltiger Jäger vor dem Herrn“, dessen tolle Abenteuer und Kämpfe seinen Ruf weit und breit verbreitet haben. Einige derselben theile ich Dir, lieber Leser, mit, so weit ich sie aus seinem eigenen Munde gehört habe.

Vor nunmehr länger als zehn Jahren gewann Cheney (damals ein junger Mann) eine so große Neigung für das Waldleben, daß er Ticonderoga verließ und mit der Büchse auf der Schulter in die unbekannte, unbetretene Wildniß eindrang. Dort lebte er Jahre lang von dem Ertrag seiner Jagd. Da er aber fand, daß die schwere und lange Büchse in den oft fast undurchdringlichen Dickichten eine überflüssige Bürde sei, so ließ er sich ein Pistol, etwa zwölf Zoll lang, mit einem Büchsenschaft machen; diese Waffe, sein Hund und sein Jagdmesser bildeten seine einzigen Gefährten. Ich sowohl als andere Besucher jener Gegend bedienten sich seiner häufig als Führer, wozu ihn seine genaue Bekanntschaft mit der Localität vortrefflich geeignet machte. Elenthiere, Hirsche, Bären, Panther, Wölfe und wilde Katzen haben zu ihrer Zeit häufig seine Bekanntschaft gemacht. Einst stieß er plötzlich auf einen Panther, der fertig zum Sprunge wenige Schritte von ihm lag. Er hatte nichts als seine Flinte und sein Messer, während die funkelnden Augen und die zusammengezogene Form des Thieres ihm verkündeten, daß ein Augenblick Verzug, ein Fehlschuß, ein schlechtes Zündhütchen eine jähe Umarmung, vielleicht einen Todeskampf zur Folge haben würde; allein unerschrocken und bedächtig brachte er die Büchse an die Schulter und feuerte just, als die Bestie im Begriff war zu springen. Die Kugel fuhr ihr in’s Gehirn, und mit einem wilden Sprung lag sie zuckend auf den grünen Blättern. Neugierig, zu erfahren, ob es ihn nicht etwas überrascht habe, sich plötzlich in so großer Nähe eines Panthers zu sehen, fragte ich ihn, wie es ihm zu Muthe gewesen sei, als er das Thier so nahe und zum Sprunge fertig gesehen. „Mir war zu Muthe,“ erwiderte er ruhig, „als ob ich es tödten würde!“ Ich war von der Einfachheit der Antwort, die nichtsdestoweniger ganz mit dem Charakter des Mannes übereinstimmte, vollkommen überrascht.

Sein Zusammentreffen mit einem Wolf war noch gefährlicherer Natur. Er stieß plötzlich auf das vor Hunger wüthende Thier, riß seine Büchse an den Backen und feuerte; allein da der Wolf im selben Augenblick einen Sprung machte, so traf die Kugel keine tödtliche Stelle, das wüthende Thier ward noch mehr gereizt und griff ihn mit fletschenden Zähnen grimmig an. Seine einzige Waffe war die abgeschossene Büchse, die er als Keule brauchte; allein der Kolben brach ab, und die ganz toll gewordene Bestie packte den übrig gebliebenen Lauf zwischen die Zähne, um ihn dem Jäger zu entreißen, der, da es jetzt einen Kampf auf Leben und Tod galt, gleichfalls wie ein Verzweifelter focht. In diesem Kampf trat der Wolf auf seine Schneeschuhe und brachte ihn zu Falle. Jetzt dachte Cheney, es sei Alles vorbei, wenn er nicht etwa seine Hunde, die den Wald durchstöberten, herbeirufen könnte, und in der That folgte auch bald einer derselben, ein junger Hetzhund, seiner Stimme; allein kaum hatte dieser die gefährliche Lage seines Herrn wahrgenommen, als er, den Schwanz zwischen den Beinen, wieder in den Wald zurückfloh. In diesem kritischen Augenblick jedoch sprang der andere Hund unter wüthendem Gebell auf die kämpfende Gruppe, und den Wolf im Genick packend, riß er ihn von seinem Herrn hinweg und gab diesem Gelegenheit, seine letzten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 607. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_607.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)