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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Jubel, und die Oper mußte den ganzen Winter fast ohne Unterbrechung gegeben werden. Mozart wurde nach Prag eingeladen, mit Jubel empfangen und mit ungemeiner Liebenswürdigkeit behandelt. Was ihn aber namentlich entzückte, war, daß er in den Massen ein so lebhaftes Verständniß des Schönen in der Kunst fand. Begeistert hiervon, beschloß er, durch ein glänzendes Zeugniß den Böhmen seine Erkenntlichkeit und hohe Achtung zu beweisen. „Weil die Prager mich so gut verstehen, will ich eine Oper ganz für sie schreiben!“ rief er aus. Da nahm ihn Director Bondini beim Wort und schloß einen Vertrag mit ihm, in Folge dessen Mozart versprach, zu Anfang des künftigen Winters eine neue Oper zu liefern.

Die neue Oper war „Don Juan“. Wer kennt dieses herrliche Werk nicht? Dieses Werk voll Größe und Erhabenheit! Aber Mozart schwebte auch bei seiner Schöpfung Großes und Erhabenes vor. Seine ganze Seele, sein Denken, sein Fühlen, sein Handeln waren in Musik aufgelöst. Zahlreiche große und prächtige musikalische Gedanken erfüllten seinen Geist, aber das wogte noch Alles chaotisch durcheinander, – es erdrückte ihn fast, und er fühlte, nur die Gestaltung des Werkes könne ihn erlösen. Und sein von schöpferischer Seligkeit berauschter Geist schmachtete nach dieser Erlösung, die im Werden und in der Vollendung Entzücken sein mußte. So kannte er um jene Zeit keine höhere Freude, als in dem engeren Kreise seiner Freunde und Gönner die einzelnen Piecen aus Don Juan, wie sie gerade entstanden, vorzutragen. Zu diesen Freunden zählte Mozart aber vor allen Dingen den alten würdigen Baron van Swieten, den Fürsten Lichnowsky, den Abbate da Ponte, den Grafen und die Gräfin Thun, die Fürsten und die Fürstinnen Galiizin und Esterhazy.

Einen solchen Moment nun, wo Mozart in solcher Begeisterung[WS 1] seine neuen Compositionen aus „Don Juan“ diesem engeren Kreise von Freunden und Gönnern vorträgt, hat der Künstler in dem beifolgenden Bilde aufgefaßt.

In dem Zimmer des Baron van Swieten, dessen Lieblingsgeige an der Wand neben dem Portrait seines Vaters hängt, sitzt Mozart an einem für jene Zeit prächtigen Instrumente. Begeisterung leuchtet aus seinen Blicken; – verloren in musikalische Gedanken, wiegt sich seine Seele auf den Schwingen des Entzückens, und, das Neugeschaffene den Ohren der gespannt Lauschenden kund gebend, strömen ihm neue schöpferische Ideen zu. Still beglückt lehnt Constanze, sein theures Weib, hinter seinem Stuhle stehend, an der Wand, während seine Schwägerin, die berühmte Sängerin Lange, ihm zur Seite sitzt und mit dem Verständniß einer Künstlerin der herrlichen Aufgabe lauscht, die ihr durch dieses neue Meisterwerk des genialen Maestro werden wird. Staunend, tief versunken, ganz Ohr, lauschen die Anderen; nur Salieri raunt – seiner Gewohnheit nach ein Stückchen Zuckerwerk aus seiner Bonbonniere nehmend – dem vor ihm sitzenden vornehmen Gönner eine boshafte Bemerkung zu. Der Italiener erbebt in seinem Inneren vor dem ungeheuren Erfolge, den diese Oper voraussichtlich haben muß.

Die Auffassung des Momentes ist schön und hochpoetisch: in den lichtesten Sphären der Kunst, seines ewigen Sieges gewiß, schwelgt wonnetrunken der Meister. Hohes Staunen, Bewunderung und Liebe zollen ihm die Besseren und Sachverständigen unter den Menschen; aber auch die Schlange des Neides ringelt sich schon und macht sich bereit, – ihrem Opfer den tödtlichen Biß zu versetzen.

Das Schicksal der Oper „Don Juan“ ist bekannt. Mozart ging nach Prag, um sie dort zu vollenden. Ihre Aufnahme war eine enthusiastische. Die Böhmen erkannten sie mit Jubel als die Oper der Opern an, und die Nachwelt hat ihr freudig diesen Rang bewahrt. Aber in Wien – wer sollte es glauben? – siegte abermals der Neid! Salieri untergrub den Boden: schlecht in Scene gesetzt, schlecht einstudirt, schlecht gespielt, schlecht gesungen und noch schlechter verstanden, wurde „Don Juan“ von Salieri’s „Axur“, auf den unendlich viel verwendet worden war, überflügelt! … Freilich nur für den Moment, denn wer spricht jetzt noch von „Axur“, während „Don Juan“ für alle Zeiten ein Stern erster Größe unter allen Opern-Compositionen bleiben wird. Aber dies herrliche Werk war und blieb auch der Schlüssel, mit welchem sich Mozart den Tempel des Ruhmes für ewige Zeiten erschlossen hat. Leider mußten Noth, Kampf und Neid noch gar oft in das Leben des edlen Maestro ihre dunkeln Schlagschatten werfen, so daß auch auf seinem Grabe die Worte stehen könnten:

„Deutsch war sein Lied und deutsch sein Leid,
Sein Leben Kampf mit Noth und Neid;
Der Kampf ist aus! Er flieht den Ort,
Indeß sein Lied tönt ewig fort!

H. R.




Aerztliche Strafpredigten.
Wenn die Badegäste heimwärts ziehen.

Die „Nachwirkung“! wie sehnsüchtig mögen Viele auf diese, beim Abschiede vom Herrn Badedoctor meist für den November verheißene, warten, wenn sie trotz vier- bis achtwöchentlicher Abquälerei bei so und so viel Bechern und Bädern von Mineralwasser doch vom Brunnengeiste (der in den meisten Quellen fixe Luft mit abführendem Salze ist) nicht sichtlich restaurirt worden sind! Uebrigens hätte die Nachwirkung des Bades sicherlich auch das verstockte und der Quellmacht trotzende Leiden noch verjagt, wenn der unglückselige Curgast nur nicht einen halben Tag zu zeitig eine Pflaume zu essen oder einen Schnitt Bairisches zu trinken gewagt hätte. So ist denn nun durch solch ein leichtsinniges Versehen gegen die Nachwirkung die schöne Sommerzeit und das schöne Geld vergeudet worden, und die ganze Badewirthschaft muß im nächsten Jahre wieder von vorne losgehen.

Ja! wenn alle die Badegäste, welche vom Bade keine oder gar eine schlimme Wirkung gehabt und auch auf die Nachwirkung vergeblich gehofft haben, dies ebenso ausposaunten, wie die durch’s Bad wirklich Gebesserten oder Geheilten: auf die Badecuren würden sicherlich die Aerzte, wie die kranken Laien, nicht mehr so erschrecklich viel Hoffnung setzen, als jetzt. Ich sage wohlweislich „auf die Badecuren“ und nicht auf das Bad, weil allerdings das Reisen in’s Bad den allermeisten Menschen, Kranken wie Gesunden, gute Dienste für ihr späteres Wohlbefinden thut, aber weniger in Folge des Mineralwasser-Trinkens und Badens, als vielmehr durch die veränderte Lebensweise, durch die Luft-, Nahrungs- und Beschäftigungs-Veränderung, durch passendere Bewegung und Ruhe, durch eine erquicklichere Umgebung und Unterhaltung. Darum sollte von Seiten der Herren Badeärzte mehr auf diese wichtigen diätetischen Hülfsheilmittel geachtet und die in der Regel ganz einseitige Badecur vielseitiger eingerichtet werden. Ebenso sollten aber auch die Herren Hausärzte bei der Wahl eines Bades für ihre Kranken mehr auf die Gemüthsstimmung und Neigung derselben eingehen und deshalb weit mehr auf die Gegend, die Beschaffenheit der Kost und Gesellschaft des Bades Rücksicht nehmen, als dies zur Zeit geschieht. Denn daran ist wohl nicht zu zweifeln, daß der Gemüthszustand des Kranken den größten Einfluß auf den Verlauf der Krankheit ausübt. Bei Heim- und Liebesweh, bei fortwährender Sorge um die Angehörigen und das Geschäft, bei Aerger und Mißmuth, bei Eifer- und anderer Sucht curirt sich’s schlecht, und es ist geradezu ein Verbrechen, einen schweren Kranken (zumal Brustkranken) in einem Bade fern von der Heimath und den Seinigen voll Sehnsucht im Herzen hinsiechen zu lassen. Auch halte ich’s von Seiten der Aerzte nicht für human, einen Kranken in ein Bad zu schicken, wo er in seinen Mitcurgästen fortwährend zu seinem Schrecken sein erbärmliches Ebenbild sieht und immerfort an seine Leiden erinnert wird, wie dies vorzugsweise Schwindsüchtigen passirt. Denn damit können sich die Aerzte nicht ausreden, daß nur ein ganz bestimmtes Bad für ein gewisses Leiden angezeigt sei. Man braucht nur über einen Kranken mehrere Aerzte Rath halten zu lassen, und man wird sicherlich sehr verschiedene Bäder (zumal eben erst aufgetauchte) empfehlen hören. Auch haben viele der Herren Badeärzte in ihren Schriften schon dafür gesorgt, daß man als Arzt bei der Empfehlung eines Bades keinen Fehlgriff thun kann, da ihr Brunnen in der Regel gegen alle nur erdenklichen, selbst organischen (unheilbaren) Uebel empfehlenswerth ist.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Begeistesterung
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 615. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_615.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)