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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

So ging die Schwermuth durch die Seele, und der Camerad auf Vorposten, ein hoher prächtiger Dithmarsche mit wundervollem Goldbart und blauen Augen, theilte sie. Wir blickten Beide auf den Abendhimmel, und Einer machte gleichzeitig den Andern auf dessen seltsame Erscheinung aufmerksam. Im Westen bis hoch hinauf zum Zenirh zogen sich blutrothe Wolkenstreifen, wie ich sie nie wieder gesehen, vielleicht, weil ich nie wieder von so mächtigen Empfindungen solcher Art durchrauscht wurde. Aber bei alledem war es eine eigenthümlich rothe Färbung der Gewölke, deren Blut immer dunkler wurde, jemehr die Abendsonne in ihrem goldenen Wagen den Horizont verließ. Endlich war die Sonne verschwunden, das lichte Gold im Westen verschwand hinter weißem, gesäumten Gewölk – die blutrothen Dünste waren wie durch Zauber mit einem Male in graue Massen verwandelt.

Es kam die Nacht. Ich saß auf der Feldwache und mit an dem Tische, neben dem ein mächtiger Kessel mit warmer Milch stand, welche uns vom nahegelegenen Herrenhause, zu dessen Gebäuden die Feldwache gehörte, geschickt worden war. Wir rauchten und plauderten. Ein Schleswiger hatte vom Ausfall bei Friedericia erzählt, wobei das achte Bataillon ungemein viel Leute verloren; St. Paul, der die Wache hatte, suchte durch Schnurren zu erheitern. Es war drei Uhr, und an mich kam wieder die Wacht. Bereits traten wir an, um die Vorposten abzulösen.

Plötzlich tönten durch die stille Nacht Schüsse, immer mehr und mehr, bis in Zeit von einigen Minuten ein vollständiges Feuern herrschte. Die ganze Kette war mit den attakirenden „Hannemännern“ in Gefecht gerathen. Sogleich ließ St. Paul das Feuerzeichen geben, die ganze Feldwache trat in’s Gewehr und rückte nach der Linie. Schon graute der Tag etwas, aber es regnete fein und Nebel lag auf den Wiesen. Die Schüsse hatten sich wieder vereinzelt, nur seitwärts, vielleicht eine halbe Stunde entfernt, war ein starkes Feuern zu vernehmen. Gleichwohl rückten wir in die Vorpostenkette, die als Tirailleurlinie vorsichtig vorwärts ging bis zum nächsten Knick. Bald rückten auch die Soutiens heran, und die Linie war in Ordnung. Von der Horst selbst mit seinem Stabe sprengte an der Kette hinunter, die augenblicklich unthätig war. Sobald es jedoch Tag war, gegen vier Uhr, setzte sich Alles in Bewegung; die vor uns stehenden Dänen eröffneten, als wir ihnen nahe genug waren, ein lebhaftes Tirailleurfeuer, welches von unserer Seite nicht minder nachdrücklich erwidert wurde. So war ich mit einem Male mitten im Kampf und ich empfand gar nichts dabei, lud mein Gewehr und feuerte, barg mich, wenn es ging, hinter einem Busch, einem Hügel oder was sich sonst vorfand. Ich sah unweit neben mir Cameraden verwundet oder todt zusammenbrechen, oft so schnell, als wenn sie der Schlag gerührt – nachdem ich es einige Male gesehen, sah ich es nicht mehr, und so geht es wohl fast jedem Soldaten – er denkt mitten im Feuer nur an sein Gewehr, nicht einmal an sich selbst, solange der Kampf keine Wandelung erfährt.

Das Gefecht hatte keine Viertelstunde gedauert, als es wieder erlahmte. Das Signal rief uns zurück, der Feind gegenüber, der im Nebel überdies kaum zu sehen gewesen, verschwand und stellte sein Feuern ein. Wir sammelten uns in Colonnen und warteten auf neuen Befehl. Links von uns, im Centrum, vernahm man eine mächtige Kanonade, auch am rechten Ende unsers Flügels währte ein sich steigernder Kampf fort. Als die Sonne auf einige Minuten auf das Feld strich, sahen wir uns zu unserem Erstaunen hinter einer Tirailleurlinie, welche von anderen Bataillonen gebildet worden war, und die langsam nach dem Centrum hinabstieg, ohne zu schießen. Auch wir folgten ihr endlich nach, mit uns wohl noch fünf bis sechs Bataillone, die sämmtlich in Colonne marschirten.

Die ursprünglich gebildete Linie war, das konnte man deutlich sehen, bereits eine schräge Phalanx geworden, deren rechter Flügel weit voraus bis zu einem von Buchenwald umgebenen Edelhof reichte. Dort schien auch ein ungemein heftiger Kampf zu sein, und heftiger Kanonendonner grollte herüber. Plötzlich bliesen die Signale zum Sammeln. Die Tirailleure vor uns stellten sich in Bataillonscolonnen auf – wir selbst hatten Halt gemacht. So standen mit einem Male auf dem zu übersehenden Felde an acht Bataillone echelonartig postirt; die kleinen, weißen, nur mit der römischen Zahl des betreffenden Bataillons gezierten Fähnlein flatterten im Morgenwinde. Die ganze Masse setzte sich alsdann in Bewegung, in zwei Abtheilungen nach einem vor uns liegenden Dorfe zu, welches, denke ich, Becklund hieß. Artilleriefeuer begrüßte uns; die vorderen Bataillone stürmten das Dorf – man hörte ganz deutlich den Schlag der Trommeln herüber. Artillerie jagte seitwärts an uns vorüber, dem Gefechte zu – und bald hörten wir auch ihr Feuern, erwidert von dem der Dänen. Auf der schmalen Fläche, die wir übersehen konnten, begann es sich mehr und mehr zu beleben – Ordonnanzen flogen dahin, der Stab sprengte gen Becklund, Wagen mit Verwundeten rollten vorüber. Endlich hörte das Artilleriefeuer auf, das Kleingewehrfeuer tönte schwächer herüber – die Dänen mußten geschlagen sein. Und so war es in der That; ein herbeisprengender Adjutant rief es uns mit freudestrahlendem Angesicht zu, indem er seinen Säbel lustig schwang. Ein wundervoll seliges Gefühl zog in eines Jeden Brust; blickte man in die Augen des Andern, so spiegelte sich der Blick im thränenfeuchten Freudenausdruck – es wogte ein Murmeln durch die Reihen, anschwellend bis zum Hurrah. „Vorwärts marsch!“ tönte das Commando. Wie lustig ging’s jetzt! Wie ganz anders marschirte sich’s, um vielleicht noch Theil zu nehmen an dem Siege, den unsere Brüder errungen! Den Verwundeten auf den uns begegnenden Wagen riefen wir Worte des Trostes und der Ermunterung zu – sie antworteten uns oft mit Hurrah und die Mütze über dem Kopfe schwenkend.

Abermals tönte jetzt das Signal zum Rückzug. Mißmuthig, betroffen, erstaunt sahen wir uns an, unsere Officiere stutzten. Was sollte das bedeuten? – retiriren mitten im Verfolgen des geschlagenen Feindes? Aber es war in Wirklichkeit so; wir sahen vor uns die im Kampf gewesenen Bataillone als Tirailleurkette langsam zurückgehen. Dieser Befehl mußte vom Oberfeldherru selbst ausgegangen und durch Vorfälle im Centrum hervorgerufen worden sein. Und so war es in der That. Während wir auf dem rechten Flügel den Feind vollständig geschlagen hatten, war der Kampf im Centrum minder glücklich gewesen, und dadurch wurde unser Sieg paralysirt. Bald zeigte sich auch, daß die Schlacht in ein anderes Stadium getreten war. Die am weitesten rechts postirten Bataillone gingen in schräger Linie nach uns hin zurück; wir selbst nebst dem siebenten Bataillon erhielten Ordre, nach Idstedt aufzubrechen.

Es mochte gegen zehn Uhr sein; die Sonne brannte glühend herab, der Staub hatte die Augen entzündet. Vertrauensvoll rückten wir ab, die Musik ließ den frischen Bataillonsmarsch ertönen, die kleine Fahne flatterte lustig voran. Wir vernahmen immer deutlicher ein furchtbares Artilleriefeuer. Nach einer Stunde etwa standen wir hinter den Schanzen bei Idstedt neben mehreren Bataillonen, welche kurz zuvor durch einen Machtangriff der Dänen aus Idstedt bis hierher zurückgedrängt worden waren. Sie begrüßten

    bei Friedericia, worauf am 10. Juli zwischen Preußen und Dänemark ein Waffenstillstand abgeschlossen wurde, dem am 2. Juli 1850 ein definitiver Friede zwischen diesen beiden Mächten folgte. Denn England und Rußland traten wider diesen ungerechten (!) Krieg gegen Dänemark entschieden auf und bewirkten, daß Preußen die Hand aus dem Spiele zog und die schleswig-holsteinische Revolution (!) sich selbst überließ. Die Dänen siegten (?) in einer entscheidenden Schlacht bei Idstedt über die schleswig-holsteinischen (d. h. großentheils aus Angeworbenen von den verschiedensten deutschen Ländern bestehenden) Truppen und schlugen am 4. October auch einen Angriff der letzteren auf Friedrichstadt mit starkem Verlust auf feindlicher Seite zurück. Mittlerweile hatten die seit dem 10. Mai 1850 in Frankfurt vertretenen deutschen Bundesstaaten beharrlich darauf gedrungen, daß Bundes-Executionstruppen abgeschickt würden, um dem heillosen (?!) Zustande der Dinge in Holstein und Lauenburg (denn Schleswig war bereits wieder im vollständigen Besitz Dänemarks) definitiv ein Ende zu machen. Preußen widersetzte sich zwar der Ausführung dieser Maßregel, und es wäre darüber beinahe zu einem Kriege zwischen ihm und Oesterreich gekommen, gab jedoch in Folge der in Olmütz eröffneten Conferenzen und der daselbst am 28. November 1850 abgeschlossenen Punktationen nach, und so rückte im Januar 1851 eine aus österreichischen Truppen bestehende Bundes-Executionsarmee in die genannten Herzogthümer ein, stellte die Autorität der rechtmäßigen Landesregierung wieder her und machte so dem tollen Treiben mit der Schleswig-Holstein-Manie (!) überhaupt ein Ende. Mittlerweile sind dieser Manie und dem ihr zum Grunde gelegenen Revolutionsplane (!) zu Gefallen Tausende von Menschenleben geopfert worden, und die pecuniairen Verluste, welche dadurch nicht nur den Herzogthümern, sondern auch den benachbarten deutschen Nord- und Ostseestädten direct und indirect verursacht worden sind, lassen sich jedenfalls auf mehr als hundert Millionen Thaler anschlagen. Das Volk, nunmehr wieder zur Besinnung gekommen und mit der Heilung der von seinen angeblichen Beglückern ihm geschlagenen tiefen Wunden beschäftigt, wird sich nach den gemachten Erfahrungen schwerlich je wieder bereit finden lassen, zur Ausführung eines Losreißungsprojects die Hand zu bieten.“
    Wir überlassen es unsern Lesern, mit welchem Ehrentitel sie den Verfasser belegen wollen.

    D. Red.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 619. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_619.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)