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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Johann Peter Hebel und der Hebel-Schoppen.
Von Berthold Auerbach.

Beim „Hebel-Schoppen“ in Hausen.
Originalzeichnung von Luc. Reich in Rastatt.

Man erzählt von den beiden Brüdern Schlegel, daß sie einstmals eine gar vortreffliche Anekdote vortragen hörten.

Friedrich,“ sagte Wilhelm zum Bruder, als sie allein waren, „Friedrich, laß mir diese Geschichte! Laß mich sie gelegentlich anbringen.“

„Nein, du kannst sie nicht erzählen wie sich’s gehört.“

„Laß mir sie. Du hast schon lange meine silberne Dose besitzen wollen – gut, hier ist sie; behalte sie und laß mir dafür diese Geschichte als mein Eigenthum.“

Der Handel wurde abgeschlossen.

Nicht lange darauf gab sich Gelegenheit, daß Wilhelm die anmuthige Anekdote in einer Gesellschaft erzählte. Friedrich spielte dabei mit der silbernen Dose in der Hand; aber kaum war Wilhelm in der Hälfte der Geschickte, da rief Friedrich: „Da – da hast Du Deine silberne Dose wieder. Du verdirbst die ganze Geschichte! Ich werde die Sache berichten, wie sich’s gehört.“

So geht die Sage von den beiden Brüdern Schlegel, und in der That, es gehört zu den peinlichsten Empfindungen, eine gute Geschichte schlecht erzählen zu hören. Worin aber besteht die eigentliche Kunst, eine Anekdote gehörig zu erzählen? Wir haben in Deutschland sogar große Geschichtschreiber, sie können sehr schöne, sehr tiefe Betrachtungen anstellen über den grobkörnigen Charakter Blücher’s und über den abgefeimten Napoleon’s, aber den einen und den andern schildern, daß sie vor uns stehen, ja nur eine Thatsache aus ihrem Leben ganz plan und schlicht erzählen, daß wir sie mit erleben – das vermögen sie nicht, und weil sie das nicht im Stande sind, thun sie groß und sagen, es sei unter ihrer Würde, Anekdoten zu erzählen.

Allerdings sind das die besten Anekdoten, die sich mündlich weiter verbreiten; sie werden in der Regel bei Flüssigem, sei es Bier oder Wein, genossen, und bleiben selbst flüssig in der mündlichen Tradition, geschrieben werden sie leicht stockig und abgestanden. Es gibt aber doch auch einen geschriebenen Vortrag, in dem man,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 629. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_629.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)