Seite:Die Gartenlaube (1860) 635.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

souverainen Volks erwarteten. Etwa um 1 Uhr passirt der Garibaldi-Zug – zwanzig Equipagen, Soldaten, Nationalgarde, Volksmasse – durch die Castell-Straße vor mir vorbei. Er sitzt im Wagen des französischen Gesandten, umtobt, umklettert von heißen, brennenden Gesichtern und Händen, die nach ihm drängen und greifen, als wollten sie ihn zerreißen. Er sitzt ruhig und schaut mit unbewegtem, melancholischem Ausdruck in dieses tobende Meer von braunen Köpfen, Armen und Händen. Die regnenden Blumen fallen zum Theil auf seinen staubigen, zerdrückten Hut und eine volle, üppige Blüthentraube weißen Oleanders trifft ihn in’s Gesicht. Er lächelt hinauf zu dem Balcon, aber nur wie ein flüchtiger Sonnenblick durch den bewölkten Himmel. Der traurige Ausdruck seines rasch alternden Gesichts kehrt wieder und bleibt. Ich wußte, daß er durch die Toledo hinunter fahren und im Palazzo della Regina di Savoia, gegenüber dem „realen Palaste“, auf dem großen Platze am Ende der Toledostraße aussteigen würde. So sichere ich mir auf Umwegen einen Platz, dem großen Balcon des Palastes gegenüber, und sehe ihn aussteigen. Wie klein, wie armselig sieht er aus in seinen grauen Beinkleidern, dem rothen Hemde, mit dem taschentuchartigen Panuelo lose um die Schultern geknüpft, und dem bestaubten, zerdrückten Hute, unter welchem dünn gewordene, oft graue Locken hervorquellen, wie proletarierhaft in Front des stattlichen alten Königspalastes! Die Türr’s, Bixio’s, Carini’s und sonstige Helden neben ihm fallen mehr in’s Auge; das beispiellos Malerische von Costümen und Menschen um ihn her verdunkelt ihn. Aber er wird auf den großen Balcon herausgeschrieen und kann hier zum ersten Male in seiner schmucklosen Heldenwürde, in seinem eigenen solarischen Gotteslichte gewürdigt werden. Welch eine Beseligung quillt und strahlt aus dem Antlitze eines edlen Menschen! Wir Maler haben sehen gelernt! Auch das Sehen ist eine Kunst. Ich bin überzeugt, daß wenige Menschen, daß alle diese Tausende mit ihrem betäubenden Jubelgeschrei nicht diesen innigen, erhebenden Genuß gehabt haben, wie ich beim Anblick meines Helden in seiner einfachen Glorie, wie er so allein da stand in der Mitte des langen Balcons und sich ruhig, wehmüthig herabbeugte auf die tobenden Wogen des brüllenden, maßlosen, unerschöpflichen Jubelgeschreis.

Er war mit einem reichen Gefolge herausgetreten. Aber Alle zogen sich zurück und ließen ihn allein. Er läßt sie toben und blickt mit festem, ruhigem Auge vorgebeugt herab. Keine Muskel bewegt sich, fest ruht der Ausdruck des – Mitleids, der Wehmuth in seinem Auge. In einer antiken Versammlung von Menschen hatten sich Götter incognito eingefunden. Niemand erkannte sie; aber Einer – wer war’s doch? entdeckte sie an dem ruhigen, festen, unblinkenden Blick des Auges. Auch Garibaldi’s Auge hatte einen solchen Blick. Und was ist die Stirn des berühmten Vaters der Götter und Meuschen von Phidias gegen den Vorderkopf Garibaldi’s? Wie er den Hut abnahm, leuchtete mir diese Stirn, so oft ich sie auch bewundert, in nie geahnter Glorie und eigenster Majestät. Welche edle Gehirnmasse drängt sich hervor von einem Schlafe zum andern! Welche gewaltige Wölbung der obern Stirn! Ueber den Augen tritt sie schon ungewöhnlich hervor, dann folgt eine Art Thal, das durch die majestätische, gewaltige Aufwölbung oben beschattet wird. Das ist der Olymp seines Heroismus. Man würde erschrecken vor diesem Felsen der Kraft und des Entschlusses, wäre das Auge darunter nicht so mild, so weich, so menschlich, und sein Lächeln – trotz der gewaltigen Furchen von Sorgen und Arbeit – nicht so süß, seine Stimme nicht so musikalisch melodiös. Er läßt sie toben. Der Ausdruck melancholischer Wehmuth verläßt ihn nicht. Er kennt die dämonische Unhaltbarkeit des Volks-Enthusiasmus: heute breiten sie Palmenzweige und ihre eigenen Kleider auf seinen Weg, morgen schreien sie vielleicht: Kreuzigt ihn! Er weiß, welch ein erbarmenswerthes, planmäßig verwahrlostes entadeltes Volk da unten tobt und jauchzt! Er weiß auch, was noch vor ihm liegt. Die Feinde im Felde fürchtet er nicht, aber wie allein, allein, allein steht er zwischen brütenden, feigen, tückischen, zitternden, habsüchtigen dynastischen Interessen und Diplomaten! – Was auch daraus werde, ewig im Sonnenglanze der Höhen unserer Weltgeschichte steht der Augenblick, als er schweigend, wehmüthig, ruhig herabsah auf die ersten Feuerwogen der Begeisterung eines von ihm beispiellos befreiten Volks. Endlich sprach er. Seine Rede wird in den Zeitungen zu finden sein. Goldene, feurige Worte, aber das können andere Leute auch. Mir war der schweigende Mann der That die höchste Glorie des Bildes. Auch was folgte, hatte wenig Werth für mich. Uebermüdet floh ich Abends aus den brillantenen Excessen der Illumination, wobei sich auch Dirnen als Freiheitsgöttinnen herumtrieben.




Schloß Stolpen und die Gräfin von Cosel.

„Anno 1708, den 16. Julii,“ heißt es in Gercken’s Historie von Stolpen, „langten Ihro Königliche Majestät von Polen und Churfürstliche Durchlaucht von Sachsen, Fridericus Augustus, Vormittags nach 9 Uhr glücklich allhier an. Bald darauf folgten auch die Frau Gräfin von Cosel und einige Herren Cavalliers. Ihro Königl. Majestät nahmen die hiesigen Vestungswerke zu Pferde in Augenschein und belustigten Sich sodann, nebst der Frau Gräfin von Cosel, mit Wildpretschießen im Thiergarten. Am folgenden Morgen 8 Uhr gingen Sie wieder nach Pillnitz zurück.“

Acht Jahre später, am 25. December 1716, brachte eine verschlossene Kutsche, von vier kursächsischen Dragonern escortirt, die Gräfin Cosel von ihrem Lustschloß Pillnitz nach derselben Veste. Mit unbedecktem Haupte empfing der damalige Commandant, Obrist-Lieutenant von Wehlen, die Gefangene, die mit gleich ungebeugtem Stolze, als schritte sie noch zur Seite ihres fürstlichen Geliebten, dem alten Soldaten die Fingerspitzen ihrer linken Hand reichte, um den St. Johannisthurm zu betreten. Hier blieb sie, wenn auch nicht in enger Haft, bis zu ihrem Tode, der sie erst 1761, in ihrem einundachtzigsten Jahre erlöste.

Fräulein Anna Constantia von Brockdorff[WS 1], aus Holstein gebürtig, war Hofdame bei der Erbprinzessin von Wolfenbüttel. Der Ruf ihrer ausgezeichneten Schönheit und ihrer Talente hatte den kursächsischen Minister von Hoymb veranlaßt, sich um ihre Hand zu bewerben, die er auch erhielt, da sie ehrgeizig und ein armes Fräulein war.

Bei einem lustigen Gelage des Königs von Polen und Kurfürst von Sachsen, gewöhnlich „August der Starke“ genannt, rühmten seine Höflinge ein jeder seine Geliebte; nur der Graf Hoymb stimmte nicht in diesen Ton ein, sondern rühmte[WS 2] vielmehr die Schönheit und Liebenswürdigkeit seiner Gemahlin, wodurch sie alle Andern verdunkeln würde, sobald sie am Hofe erschiene. Der König äußerte Zweifel, und der Fürst von Fürstenberg bot sogar eine Wette von 1000 Ducaten an, daß die Gräfin von Hoymb bei Hofe gar nicht bemerkt werden würde, es sei denn durch ihre linkische Haltung und ihren geschmacklosen Anzug. Der Minister Hoymb nahm die Wette an und ließ seine Gemahlin, welche er bisher sorgsam auf seinem Landgute zurückgelassen hatte, nach Dresden kommen. Mit gutem Bedacht hatte er sie nicht bei Hofe vorgestellt, jetzt ließ er sich dazu durch seine Eitelkeit und durch eine Wette verleiten, und hatte bald genug Ursache, diesen Schritt zu bereuen. Kaum erschien die Gräfin am Hofe, als nicht nur der König, sondern der Fürst von Fürstenberg selbst sich sogleich für besiegt erklärten und die Wette bezahlten. Allein damit war auf der Stelle ein neues Abenteuer begonnen; der König fühlte sich unwiderstehlich angezogen und bot Alles auf, um zu seinem Zweck zu gelangen. Niemals hat ihm ein Sieg mehr gekostet, zumal da er zuletzt doch immer der Besiegte blieb. Die Bedingungen, unter welchen die Gräfin Hoymb sich entschloß, mit dem König zu leben, waren anmaßend im höchsten Grade, allein um seine Leidenschaft zu befriedigen, war dem Könige Ehre, Krone, Freiheit und was man sonst verlangte, feil. Er mußte versprechen: 1) für immer der Fürstin von Teschen, frühern Gräfin Lubomirska, zu entsagen; 2) die Scheidung der Gräfin Hoymb von ihrem Manne zu bewirken; 3) durch einen eigenhändigen Contract die Versicherung geben, im Fall die Königin sterben sollte, sie an ihrer Stelle zur Königin zu erheben und ihre Kinder als legitime Prinzen und Prinzessinnen von Sachsen anzuerkennen. 4) auf der Stelle ihr eine jährliche Pension von 100,000 Rthlrn. anzuweisen! Alles dies gestand der König zu; die Scheidung wurde

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Burgsdorff; vergl. Berichtigung in Heft 42.
  2. Fehlstelle ergänzt aus Google
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 635. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_635.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)