Seite:Die Gartenlaube (1860) 641.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 41. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Mary Kreuzer.

Aus dem deutsch-amerikanischen Leben.
Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)

Es war ein eigenthümliches Leben, was sich von da ab auf der Farm herausbildete. Mary hatte sich schon am dritten Tage in alle kleinen Hausgeschäfte gefunden, und schien instinctmäßig die einzelnen Eigenheiten der Frau zu errathen. Sie hatte jeden kleinen Ausputz von ihrer Kleidung entfernt; um die Mahlzeiten durfte sich die Frau bald kaum mehr bekümmern, und der Eßtisch schien unter den Händen des Mädchens ein ganz neues behaglicheres Aussehen zu gewinnen, wenn es auch schwer gewesen wäre, zu sagen, worin der eigentliche Unterschied zwischen sonst und jetzt bestand. Die Frau hätte wohl mit ihrer neuen Tochter zufrieden sein müssen, die immer freundlich und jedes ihrer Worte gewärtig neben ihr waltete, und doch lag eine stille Kluft zwischen Beiden, die mit jedem Tage sich immer fühlbarer befestigte.

„Sie hat etwas an sich, für das ich kein Wort weiß, wenn ich’s nicht „vornehm“ nennen soll, das mir die rechte Freude an dem Mädchen nimmt!“ äußerte sich die Alte, als sie eine Woche nach Mary’s Ankunft sich Abends neben ihren Mann zur Ruhe legte. „Sie thut ihre Arbeit ordentlich und recht, aber dabei hat sie eine Art, als geschähe das Alles nur zum Zeitvertreib und sie dürfe sich kaum die Hände damit schmutzig machen. Sie ist freundlich und willig, aber zwischendurch sieht immer etwas Fremdes, daß man nie weiß, wie man mit ihr daran ist. Und rede ich ein lautes Wort zu ihr, wie es im Aerger wohl einmal kommt, so sieht sie mich still mit ihren großen Augen an, als hätte ich kaum das Recht, ihr etwas Unschönes zu sagen, so daß es mir oft ist, als gehöre sie eher irgendwo anders hin, als auf eine Farm im Busche!“

Kreuzer hatte sich langsam mit der Hand über das Gesicht gestrichen. „Ich denke, Jeder kann froh sein, der nicht mehr über seine Kinder zu klagen hat,“ sagte er; „mache, daß sie Zutrauen bekommt – Du hast wohl noch nicht ein einziges herzliches Wort zu ihr geredet, seit sie in’s Haus getreten ist - und sie wird auch anders werden!“

Aber es blieb, wie es gewesen, und Mutter und Tochter gingen neben einander her, die Erstere kalt und wortlos das Mädchen gewähren lassend, als wolle sie sich dadurch ein Gegengewicht für Mary’s eigenthümliche Haltung schaffen – die Letztere immer still und emsig, bis die Abendmahlzeit vorüber war; dann aber schweifte sie hinaus in’s Freie, meist von Kreuzer’s Jüngstem, dem kleinen George, begleitet, der sich vom ersten Tage an traulich an sie geschlossen hatte, und hier schien bei dem Mädchen oft im lustigen Tollen der den Tag über unterdrückte Kindersinn zum Durchbruch zu kommen. George war es auch, mit dem sie nach und nach englisch plaudern lernte, und der ihr auf diesen Wanderungen erzählte, da drüben im Walde wohne ein amerikanischer Major mit zwei Söhnen, von welchen der Eine „Advocat“ studire, und der Andere „amerikanischen Officier“ lerne.

Fast noch sonderbarer, als zwischen Mutter und Tochter hatte sich das Verhältniß zwischen der Letzteren und dem ältesten Sohne des Hauses gestaltet. Ihr eigenthümliches Wesen bei ihrem Auftreten hatte dem Burschen imponirt, und er konnte das Gefühl nicht wieder loswerden, so sehr sich auch sein Selbstbewußtsein, das noch niemals in seiner Umgebung etwas über sich anerkannt, dagegen sträubte. Er spottete über des Mädchens Eigenthümlichkeit, erst innerlich, dann mit Blicken und Mienen, und zuletzt laut. Mary hatte wohl im Anfange das Auge nach ihm gewandt, als wolle sie fragen, was sie ihm zu Leid gethan; bald indessen schien sie kein Ohr mehr für seine hingeworfenen höhnischen Worte zu haben – wenn sie aber dann oft an ihm vorüberging, als sei er gar nicht in der Welt, dann zuckte es sonderbar in seinem Gesichte, und seine Augen folgten ihr, als könne er sie von der schlanken Gestalt nicht losreißen.

Es war eines Abends, und Mary hatte sich allein nach dem Walde gewandt, als Heinrich ihr mit einem Arm voll Maiskornstengeln für die Kühe entgegenkam. Sie hatte nur einen Blick nach ihm geworfen, glaubte aber den gewöhnlichen Hohn schon um seinen Mund spielen zu sehen, und wollte eine Seitenrichtung einschlagen, um ihm nicht zu begegnen. Kaum schien er aber ihre Absicht errathen zu haben, als auch seine Last auf der Erde lag und das Mädchen sich an beiden Armen gehalten fühlte. „Darfst Du mir nicht einmal guten Abend sagen, daß Du mir aus dem Wege gehst?“ sagte er, und Mary sah in ein Paar seltsam erregter Augen. „Jetzt gib nur einen Kuß dafür, wie sich das für eine Schwester gehört!“

Mary stand einige Secunden, als wolle sie sich von der Ueberraschung erholen. „Du wirst meine Arme loslassen, Heinrich,“ sagte sie dann, während sich ein Beben in ihrer Stimme geltend machte, als unterdrücke sie mit Macht ihre innere Bewegung.

„Nicht eher, als bis Du thust, was ich will!“ erwiderte er mit einem Lachen der Befriedigung, während seine Augen im dunkeln Feuer auf des Mädchens Gesichte ruhten.

Mary wurde bleich, um ihren Mund legte sich ein Zug unbeschreiblicher Verachtung. „Ein schwaches Mädchen verhöhnen und sich an ihr vergreifen, weil sie sich nicht wehren kann, das sind Deine Heldenthaten, pfui! Zwinge mich doch,“ fuhr sie, den Kopf

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 641. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_641.jpg&oldid=- (Version vom 14.5.2017)