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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

den farbigen Schimmer, der sich um die Anwesenden ausbreitete wie eine Glorie. Ich schildere das Alles nicht, weil ich keinen Beweis zu führen vermag, daß diese Erscheinungen nicht das Resultat unserer erregten Phantasie waren; ich gebe nur das Factum, über das wir uns nicht zu täuschen vermochten, obwohl wir es nur in einem dunkeln Raume beobachteten.“

Daß die Geister, welche mit Mr. Home in finstern Zimmern spielen, wie mit einer Puppe, einen unüberwindlichen Widerwillen gegen helle, erleuchtete Räume zu haben scheinen, könnte sie leicht in Mißcredit bringen, und wir fügen zur Ehrenrettung jener unsichtbaren, klopfenden, zupfenden, schlagenden, stoßenden, musicirenden und tischrückenden Mächte einige nicht weniger wunderbare, bei hellem Tageslicht erlebte Thatsachen bei, die unser Berichterstatter als Augenzeuge verbürgt.

Daß sich Möbel aus freien Stücken, ohne von Menschenhänden berührt zu werden, in Bewegung setzen, daß schwere Sophas ihre Plätze verlassen, um im Zimmer umher zu spazieren, daß sich tanzende Tische auf die Seite legen, ohne daß die darauf befindlichen Gegenstände, wie Blumenvasen, Bücher etc., herunterfallen, sind nach seiner Versicherung Dinge, die in England Jedermann täglich beobachten kann. Merkwürdiger erscheint ein Fall, wo sich ein großer schwerer Säulentisch mehrere Fuß über den Boden erhebt und einige Minuten in dieser Stellung bleibt, bis er sich endlich sanft wieder auf den Teppich niederläßt, und noch erstaunlicher ist ein anderer umständlich mitgetheilter Fall.

Unser Mann hatte sich bei zwei Damen seiner Bekanntschaft Morgens gegen 11 Uhr zum Tischrücken eingefunden. Die Klopfgeister schienen sehr gut aufgelegt, denn der Tisch beantwortete alle Fragen zur Zufriedenheit durch ein sanftes, fast schüchternes Klopfen bald mit dem einen, bald mit dem andern Fuße. „Plötzlich,“ so fährt der Erzähler fort, „nahmen seine Bewegungen einen andern Charakter an. Die Füße schlugen mit Heftigkeit gegen den Boden, die Platte entschlüpfte in ungestümen Schwenkungen nach rechts und links unsern Händen – es schien, als hätte sich eine wilde, fast möchte ich sagen thierische, Fröhlichkeit des Tisches bemächtigt. Endlich legte er sich auf die Seite, warf sich trotz unserer Bemühungen, ihn zu halten, zu Boden und rollte in dieser Stellung einem Sopha zu, das am andern Ende des Zimmers stand. Wir vermochten bei der Schnelligkeit, mit der dies geschah, nicht, unsere Hände mit dem Tische in Berührung zu bringen, dessenohngeachtet aber setzte er seinen Weg fort, bis er den Fuß eines größern vor dem Sopha stehenden Tisches erreichte. Allem Anschein nach hatte er sich diesen zur Stütze bei seinem Vorhaben, das Sopha zu besteigen, ausersehen. Vorsichtig stemmte er einen seiner Füße gegen die Säule des größern Collegen und drehte sich dann ein wenig, um mit dem andern Fuße das Polster des Sophas zu erreichen. Der erste Versuch schlug fehl – der kleine Tisch rutschte wieder herunter; dennoch wiederholte er die Procedur und glich dabei genau einem Kinde, das sich bemüht, einen hohen Gegenstand zu ersteigen. Endlich krönte der Erfolg seine Bemühungen. Er erreichte den Sitz der Ottomane, stand einige Minuten aufrecht und gelangte dann auf die Weise, wie er hinaufgekommen war, auch wieder hinab auf den Boden. Das Alles natürlich ohne die mindeste Unterstützung von unserer Seite.“

Das schreibt im neunzehnten Jahrhundert ein vernünftiger Mensch, und tausend Andere acceptiren diesen Blödsinn als wahr. Der Erzähler selbst bezweifelt allerdings in gerechter Selbstkritik, daß Leute, die dergleichen nicht mit eigenen Augen gesehen haben, seinem Berichte Glauben schenken werden, aber er meint, daß Dinge, die man bisher schlechthin für unmöglich gehalten, dennoch passiren könnten, und nach diesem Grundsätze bleibt uns freilich nichts übrig, als es zu glauben, wenn uns nächstens Jemand erzählt, er sei unterwegs von einem Eichbaume angeredet worden. Die Thatsache wäre um nichts wunderbarer und unmöglicher, als daß Tische aus eignem Antriebe und ohne Anwendung anderer Kräfte, als ihrer eigenen, auf Ottomanen steigen.




Johann Peter Hebel und der Hebel-Schoppen.
Von Berthold Auerbach.
(Schluß.)

In Hebel’s Dichtungen drängt und treibt die Sehnsucht nach einem bestimmt faßbaren Dasein, das in seiner eigenen Jugend lag; in Burns drängt es gewaltig und klagend nach einem Zustande der Befreiung, der vor ihm liegt und, wie alles Zukünftige, nicht so bestimmt faßbar ist. Burns ließ sich hineinziehen in die Kreise der sogenannten vornehmen Welt, die eine Zeit lang Gefallen finden mochte an dem Wildwuchs eines Naturells, das einen Athem der Berge in die geschlossenen Räume brachte und einen vollen Brustton, wie ihn das Leben unter freiem Himmel erheischt und duldet. Aber Burns verlor dabei das natürliche Selbstgenügen und den innern Halt; er wollte und konnte eine gewisse Geltung in der großen Welt und ihre Genüsse nicht mehr entbehren. Und wie er nun bei längerem Verweilen seine Urnatur in die gewohnte Ordnung einfügen sollte, wie er es erfuhr, daß die geistigen Genießlinge die Schmerzensthräne und das Herzblut des Dichters nur als Schaustücke betrachten – da fühlte er sich verstimmt und erbittert zurückgestoßen, und doch immer wieder angezogen, wo bei einfacher Betrachtnahme nichts als Enttäuschungen ihm werden konnten.

Hebel dagegen ließ sich aus seinem stillen, gelassenen Selbstgenügen nicht herausführen. Selbst die Gunstbezeigungen des Hofes – und war es auch ein kleiner Hof, es war doch der Hof seines Landes – nahm er mit Lächeln hin, mit jener Ruhe, in der man sich morgen, wenn die Gunst ausbleibt, als derselbe weiß, der man gestern war, bevor sie eintraf. Hebel war politisch viel zaghafter und unterwürfiger als Burns, aber menschlich war er freier. Er ließ sich seine Unabhängigkeit in menschlicher Selbstschätzung, seinen innern Halt, nicht rauben, so daß Lob und Huldbezeigungen ihm nicht zum Bedürfniß werden, ja nur etwas zu seiner Geltung vor sich beitragen konnten. In Hebel war auch nicht der entfernteste Hang zur Gefallsucht, und das gibt auch seinen Dichtungen den so reinen und im Gedankenfortgange so rhythmischen Verlauf. Wie in seinen kleinen Erzählungen keine sprichwörtlichen Wahrheiten eingesetzt sind, so sind keine Schönheiten in seinen Dichtungen angebracht, nur die Schönheit, die das Ganze mit sich bringt, kommt zum natürlichen Ausdruck. Für Burns ward seine hohe Dichterkraft Qual und Untergang, für Hebel war sie eine Quelle innersten Segens und stiller Befriedigung. Die Friedsamkeit, die auf den Hebel’schen Dichtungen liegt, ist nicht in den idyllischen Stoffen an sich gegeben; rein in der Seele des Dichters lag diese idyllische Friedsamkeit, und sie ging auf seine Stoffe über. Hebel hat nie nach dem ersten Ausgang seiner staatlichen Lebensbahn seinem Dasein selbstwillig eine neue Wendung und Gestalt gegeben. Er war keine kämpfende Natur, er war ein treuer Vollführer der übernommenen Staatspflichten, aber im eigentlichen Kern seines Wesens war er der wohlwollende und wohlthätige Privatmensch, wie ihn nur Deutschlands Boden trägt.

Hebel glaubt an die Güte der Menschen, trotzdem er Falschheit und Lüge oft vor sich gesehen hat. Er hegt die unverwüstliche Freude des Herzens, trotzdem Elend und Ungemach weit verbreitet in der Welt sind; und weil er an Güte glaubt und die Freude erkennt, erweckt er sie beide, wohin sein Blick dringt und wohin sein Wort tönt. Die vornehmthuerischen Menschenverächter, die ewig Klagenden, die traurige Verkommenheit der Welt Bejammernden, die dann ihre Lässigkeit und Lasterhaftigkeit damit bemänteln, daß die Welt doch ewig nichts nutz bleibe, und es sich nicht der Mühe verlohne, irgend Etwas zu thun und zu hoffen – alle diese sind in der Regel in geschützten, sorglosen und wohlbehüteten Verhältnissen erwachsen. Wer aber in seiner Jugend barfuß den rauhen Boden betrat, wer die Güte und Wohlthätigkeit der Mitmenschen in Armuth und Bedrängniß erfahren hat, der kennt das hülfreiche und wohlwollende Herz der Menschen – der sogenannten Niederen wie der Höheren – und vergißt es nie. Hebel hat eine Jugend voll Armuth und Verlassenheit durchgelebt, und er blieb ein Menschenfreund bis an sein Lebensende.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 650. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_650.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)