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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Hebel’s Lebensgeschichte ist kurz und einfach. Von arbeitsamen Eltern geboren, früh verwaist, von der Wohlthätigkeit der Menschen gefördert, blieb er während seines ganzen Daseins im engen Kreise seines Heimathlandes, fand darin die ganze Welt, alle Tiefen und Höhen des Erdendaseins und wußte sein inneres Leben und das seiner Heimath zu reinen, edeln und unvergänglichen Bildern auszuprägen. Johann Peter Hebel wurde geboren zu Basel am 10. Mai 1760. Obgleich er in einem Briefe vom 16. Januar 1825 an seine Freundin Gustave das Haus genau bezeichnete und es sich einst zum ruhigen Leben ankaufen oder wenigstens miethen wollte, hat man es doch bei der hundertjährigen Geburtsfeier nicht ausfindig machen können. Die Eltern Hebel’s wohnten in dem Dorfe Hausen im badischen Oberland, der Vater arbeitete im Winter an seinem Webstuhl, im Sommer arbeiteten die beiden Eheleute wiederum in Basel im Iselin’schen Hause, wo sie vordem treue Dienstboten gewesen waren. Schon ein Jahr nach der Geburt Peters starb der Vater, und der kleine Knabe machte schon früh das Leben armer Verwaisten durch, sammelte Holz im Walde und half die Steine zum Schmelzofen in Hausen zerschellen.

Dabei war er allezeit ein aufgeweckter, zu Schalkstreichen aufgelegter Knabe. In dieser Kindheit aber drang der frische Thau des Naturlebens in seine Seele, um später zu Blüthen und Früchten zu reifen. Bald auch verlor er die Mutter, und nun wurde er, da er schon früh besondere Begabung zeigte, von Wohlthätern gefördert. Er bezog die Universität Erlangen, und nach seiner Rückkehr in die Heimath wurde er zuerst Lehrer in Hertingen, einem Dorfe zwischen Basel und Schopfheim. Er wurde hier „umgeäzt“, d. h. er aß wechselweise an dem Tisch der Familien, deren Kinder er unterrichtete. Er bekam hier aber noch eine Nahrung, an die Niemand dachte; denn in seine Seele drang immer mehr die tiefe Kenntniß des Menschenlebens, besonders des Volkes seiner Heimath, und dies, in Verbindung mit den Kindheits-Erinnerungen, sollte später zum dichterisch so lieblichen Bilde werden. Nachdem er die Ordination erlangt und eine Zeit lang Pfarrgehülfe gewesen, wurde er Präceptoratsvicarius am Pädagogium zu Lörrach und blieb daselbst 11 Jahre lang. Das kümmerliche äußere Leben wurde erhöht durch herzliche Pflege der Freundschaft, in der man eine Art Tafelrunde bildete und sich alterthümliche und phantastische Namen gab. Auch die Liebe zog bei ihm ein: Gustave Fecht, eine feinsinnige und wohlgebildete Pfarrerstochter, gewann und erwiderte die Neigung des Dichters. Hebel wurde 1791 als Subdiaconus an das Gymnasium nach Karlsruhe berufen, wo er die alten Sprachen und die Naturwissenschaften lehrte und zugleich auch in der Kirche zu predigen hatte. Seine Schüler bewahren ihm noch ein freudiges Angedenken, und besonders hat Friedrich Giehne ein schönes Erinnerungsbild mit mancherlei anmuthigen Charakterzügen in der deutschen Vierteljahrsschrift (Jahrgang 1858) aufgestellt.

Hebel stieg von Stufe zu Stufe bis zu den höchsten kirchlichen Ehrenstellen und starb am 22. September 1826. Inmitten seiner ihn oft sehr belastenden Lehr- und Kanzleigeschäfte bewegte ihn stets eine Sehnsucht nach seiner Heimath, dem Oberlande, und aus dieser Sehnsucht, verbunden mit einem tiefpoetischen Sinne und einem durch die classischen Muster erfüllten Geiste, entstanden die allemannischen Gedichte (zuerst anonym erschienen 1802), die eine ganz neue Wendung in Auffassung und Erkenntniß des Volkslebens bezeichnen. Er war nicht so schlimm daran, wie Burns, für den (nach Macaulay’s Ausdruck) „die Welt kein schicklicheres Geschäft zu finden wußte, als daß er sich mit Schmugglern und Gaunern herumzanken, Accise berechnen und Bierfässer visitiren mußte, und ein solcher Geist in solchem Geschäft vergeudet wurde.“ Hebel war durch Wissenschaft so reich ausgestattet, daß er in Kirche und Schule große Dienste leisten konnte, aber das hätten auch Andere gekonnt, und er mußte die Feder führen zu Acten, die in Kanzleien vermodern.

Aus einem innern Drange schuf sich daher Hebel einen außerhalb des Staatsmechanismus stehenden Beruf, dem er freilich nur die Abfälle seiner Zeit widmen konnte. Es war eine naturgemäße Folge seiner Erkenntniß des Volks und seiner Liebe zu ihm, daß Hebel sich auch unmittelbar lehrend und unterweisend an das Volk selbst wendete. So gab er schon vom Jahre 1803 an einzelne Geschichten in den badischen Landeskalender. Vom Jahre 1807–1814 erschien er ganz allein von ihm. In diesem Jahre zog er sich zurück, da die geistliche Censur die bekannte Geschichte „Der fromme Rath“ gestrichen hatte.

Es ist nicht nöthig, Hebel’s unübertroffene, ja unerreichte Eigenthümlichkeit hier nochmals zu schildern, auch nicht den einzigen dunklen Fleck hervorzuheben, wie er sich in einer gefügigen Weise dazu verleiten ließ, die opfermuthige That Andreas Hofer’s zu verspotten. Hebel war der Hausfreund des Volks, ein wohlwollender, treuer, heiterer und schlichter Freund des Hauses; zur Durchdringung des großen Weltlebens, zur richtigen Erkenntniß einer Alles einsetzenden Volkskraft war er bei seinem fügsamen Naturell und noch mehr bei seiner Stellung im Staate nicht geeignet.

In der katholischen Kirche ist es Gesetz, daß erst nach hundert Jahren eine Heiligsprechung vorgenommen werden darf. Bei den heilbringenden Geistern der sogenannten profanen Welt zeigt sich an ihrem hundertjährigem Geburtstage, wie weit ihr Leben und ihr Wirken aufgegangen und gewahrt ist im Leben ihrer Nation, im Leben der Menschheit. Die Jahrhundertfeier Schiller’s hat dies in glänzendster Weise auf der ganzen bewohnten Erde gezeigt. Der hundertjährige Geburtstag Hebel’s wurde seiner bescheidenen, begrenzten Stellung gemäß in bescheidenen und begrenzten Bezirken gefeiert, aber hier nicht minder mit inniger Wärme.

Dabei sind aus dem inneren Leben Hebel’s viele Zeugnisse zu Tage gebracht worden, die das Bild des herzlich Verehrten neu kennen lehren. Es sind dies besonders zwei Schiften:

„Aus Hebel’s Briefwechsel zur Erinnerung an den 10. Mai 1860“ (Freiburg im Breisgau) und „J. P. Hebel, Festgabe zu seinem Geburtstage. Briefe Hebel’s an Freunde und Freundinnen etc., herausgegeben von Friedrich Becker.“ (Basel 1860.) Bisher waren nur dürftige Auszüge aus Hebel’s Briefen bekannt gewesen, nun haben wir gewissermaßen eine actenmäßige Einsicht in sein inneres Leben.

In dem erstgenannten Buche sind besonders die Briefe an die Familie Hausse in Straßburg anziehend. Das innere Leben der Allemannen und seines besten Vertreters hat Straßburg nicht vom deutschen Reiche getrennt. Hebel ist darin heimisch als in einer grunddeutschen Stadt, und die Briefe gehen damals noch durch die Bötin. In diesen Briefen ist ein jean-paulisirender Ton. Es wird nämlich in ein Gefühl noch eine Unterart von Gefühl hineingepfropft oder davon abgezweigt, während Hebel doch sonst so einfach und gradaus ist. Hebel spottet selbst darüber, daß er in diese Manier verfalle, „aber es geht mir auch so, wenn ich Hexameter gelesen oder selbst gemacht habe. Gewöhnlich denke ich noch eine Zeit lang sechsfüßig fort.“ Indem er auf die politischen Verhältnisse zu sprechen kommt, schreibt er den Straßburgern: „Was braucht ihr zu wissen, wo uns arme Barfüßige der Schuh drückt?“ Aus seinem innern Frieden heraus schreibt er doch, daß seine Vorstellung über theologische Dinge „dahinauslaufe, daß wir nicht viel von der Sache wissen und das Ende abwarten müssen. Wie wenn wir zum ersten Male ein Haus bauen, oder einem Schuhmacher ein Paar Stiefel zuschneiden sehen, zumal wenn wir vorher noch keinen Fuß gesehen hätten.“

„Mein Leben stiehlt sich mir unter unangenehmen Geschäften, unwillkommenen Zerstreuungen,“ schreibt er noch ein Jahr vor seinem Tode.

Von umfassenderer Bedeutung ist das zweitgenannte Buch, aber der Herausgeber hätte nicht so ängstlich sein sollen in Ausmerzung des charakteristisch Persönlichen, denn dies gehört zur vollen Farbe eines Zeitbildes. Im Jahre 1791 schreibt Hebel an Gustave: „Am Sonntag habe ich meine erste Predigt gehalten. Hören und Sehen verging mir, als ich mich so von einem Meer von Hauben und Frisuren umfluthet sah. Die Leute sehen alle so kennerisch aus unter den Hauben und Frisuren.“

Er versetzt sich in diesen Briefen immer ganz leibhaftig in’s Oberland, und mitten in einem Gewitter schreibt er an die Freundin: „Während ich mich mit einer so lieben frommen Seele beschäftige, wird doch der Himmel hoffentlich keinen Unwillen an mir ausüben.“ „Wo es Etwas zu arbeiten gibt, muß ich dazu und ärgere mich darüber,“ schreibt er ein ander Mal; dann erzählt er wieder ganz einfach, wie er dem Markgrafen und den Hofleuten die allemannischen Gedichte vorlesen mußte. Er will immer auf eine Pfarrstelle im Oberlande, und als man ihn in Karlsruhe zurückhält, schreibt er: „Es ist mir sehr lieb, daß mich der Großherzog nicht fortlassen wollte, damit es mich nicht reuen kann, daß ich nicht ging.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 651. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_651.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)