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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Mitwissenschaft irgend eines Andern, und bei dieser Gelegenheit war es, wo uns ein ganz in der Nähe des Gefängnisses wohnender Deutscher versicherte, daß nach den Schmerzenstönen, die der am andern Tage mit einem so außerordentlichen Muthe in den Tod gegangene Unglückliche in der Nacht vorher ausgestoßen, er an der Anwendung von Folterwerkzeugen durchaus nicht zweifeln könne.

Aber leider haben wir, um die neapolitanische Justiz und ihre Vertreter und Herren zu richten, weder Daumenschrauben noch Stirnbänder nöthig. Die Enthüllungen, welche uns die Tage nach dem 25. Juni brachten, beweisen zur Genüge, wie scheußlich und elend es damit unter der Dynastie bestellt war, um deren Untergang heute so viele fromme und legitime Seelen selbst im lieben Deutschland noch weinen und wehklagen. Als sich in jenen Tagen die zahlreichen Gefängnisse Neapels öffneten, um „politischen Verbrechern“ aus allen Ständen und von jedem Alter Licht und Lebensluft wiederzugeben, zog man aus einem derselben ein bis zur Unkenntlichkeit entstelltes menschliches Wesen hervor. Mit lang und unordentlich herabfallendem Bart- und Haupthaar, von Ungeziefer und Lumpen bedeckt, stumpf und gleichgültig gegen das, was mit ihm vorging, so fand man ihn, ein würdiges Zeugniß, das die Justiz und Polizei Neapels sich in Lebensgröße ausgestellt zum Beweis dafür, daß sie reif war zur Ernte. Man wußte nicht, wie er hieß, wer er sei und weshalb man ihn hierhin gebracht. Er selbst verweigerte für einstweilen jede Auskunft. In den Polizeiacten fand sich nur, daß er von den römischen Behörden nach Neapel geschickt worden war, weil man ihn in Rom nicht sicher genug glaubte. Man zog ihn an’s Tageslicht, mitleidige Menschen pflegten und kleideten ihn, und spätere Aufklärungen ergaben, daß er ein Genosse und Freund Mazzini’s war und als solcher von den Herrschern der Halbinsel unschädlich gemacht werden mußte. Da keine directen Beweise gegen ihn vorzuliegen schienen, so hatte man es am einfachsten gefunden, ihn in einen probaten Kerker Neapels zu werfen und dort bis auf Weiteres verfaulen zu lassen.

Ein Gefängniß der Polizeipräfectur in Neapel.
Nach der Natur gezeichnet von C. Grob.

Am 10. Juli erließ der liberale Minister Romano eine Bekanntmachung, worin die Abschaffung aller jener Kerkerlöcher angezeigt wurde. Es war nun wohl schon das zehnte Mal, daß diese sogenannten criminali oder segreti abgeschafft und demolirt werden sollten. Schon ein Decret vom 8. April spricht davon, „in Erwägung, daß die Gefängnisse nicht zur Qual, sondern nur zur Haft der Gefangenen dienen sollen.“ Ferdinand II. erließ 1848 eine ähnliche Verfügung, nachdem er schon bei seiner Thronbesteigung durch Rescript vom 11. Juni 1831 befohlen hatte, daß diese „Gräber der Lebendigen, diese Todeshöhlen“, wie gli annali civili del regno di Napoli sie bezeichnen, für immer zugemauert werden sollten. Wie so manches Andere, was die Zeit und ihr Fortschritt so dringend erheischte, so unterblieb auch die Ausführung jener von einem bessern Geiste dictirten Verordnungen, oder wenn man wirklich in dem einen Criminal-Gebäude das alte Uebel hob, so entstand an seiner Stelle dasselbe Uebel in vermehrter und verbesserter Form an einem andern Orte. Die Mittel und Wege, womit die Regierung Neapels und Siciliens ihren Unterthanen die einzig richtigen Begriffe von Staatsrecht und Unterthanenpflicht beizubringen suchte, waren des ganzen Systems würdig, und heute, wo jenes System gestürzt ist und trotz Bomben und Bajonneten in elenden Trümmern der Geschichte zu Füßen liegt, die seine wüsten Züge bereits in ihr unvergängliches Buch eingetragen, heute sehen wir jene Gefängnisse geöffnet vor uns, um Zeugniß abzulegen für das oft und viel angetastete Recht der Selbsthülfe. Dieses Recht steht weder in den Büchern der Sibylle, noch in den Institutionen des Justinian, noch in den Satzungen der Concilien begründet und niedergeschrieben – aber seine ehernen Schriftzüge leuchten uns allenthalben dort entgegen, wo die Nationen von dem Despotismus gelitten haben und noch leiden, und nirgends haben wir sie deutlicher gesehen, als in den politischen Gefängnissen Neapels.

Es macht einen eigenthümlichen Eindruck auf Sinne und Gemüth, wenn man unter diesem schönen, blauen Himmel mit seiner weichen, durchsichtigen Luft auf einmal eintritt in den Hof der Polizeipräfectur von Neapel und in die unmittelbar daran stoßenden Gemächer. Unheimlich, schmutzig und stinkend wie all’ diese Räume sind, so ist auch unheimlich, trüb und erschreckend der Eindruck, den sie auf das Gemüth des Besuchers ausüben. Nur der Eindruck der Gefährlichkeit ist verschwunden mit den Ajossa’s und Campagna’s, die dort herrschten und von dort aus hausten, und wir betreten heute jene Räume, ohne uns fürchten zu müssen, daß auch unser Name bereits dort in den Büchern der allmächtigen Hermandad verzeichnet sei und daß auch uns vielleicht recht bald eines jener Gemächer berge, deren schwere Eisengitter so finster zu uns herüberlugen. Diese Gitter umgeben rundum den Hof, worin sich Polizeisoldaten, Beamte aller Grade, Lazzaroni und Galantuomini von jeder Sorte bunt durcheinander bewegen. Man macht uns ehrerbietig Platz, denn der forestiere (Fremde) gilt in Neapel immer noch sehr viel, und einer der Schließer wendet sich mit devoter Dienstmiene an den uns begleitenden jungen Regierungsbeamten und fragt nach seinem Begehr. Bei der kurz hingeworfenen Bemerkung „i criminali“ überfliegt ein bedeutsames Lächeln sein Gesicht. Er scheint sich darüber zu freuen, Jemanden dorthin führen zu können, wo auch er – so erzählt er wenigstens – als Märtyrer einer trüben Zeit gelitten. Er zündet eine alte Oellampe an, ergreift von der Wand ein mächtiges Bund Schlüssel, es knarrt die erste eiserne Thüre – und wir folgen ihm.

Zuerst in einen langen, luftigen Corridor eintretend, war ich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 653. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_653.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)