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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

ihn dafür,“ unterbrach sie James, ihre sich leise sträubenden Hände fester fassend, „was kann es denn noch für Rücksichten geben, die Sie so unruhig machen?“

Es rauschte im Gebüsche, und Heinrich sprang plötzlich in Beider Weg, einen finstern Blick auf Mary und einen zweiten voll flammender Drohung auf ihren Begleiter werfend. „Was haben Sie hier mit meiner Schwester zu thun, Sir, hier, entfernt von der Gesellschaft im Walde?“ rief er mit bebender Lippe. „Lassen Sie ihre Hand los,“ fuhr er fast schreiend fort, „oder bei Gott, es geht nicht gut!“

Mary hatte in der ersten Ueberraschung ihre Hände aus denen ihres Begleiters ziehen wollen, aber dieser hielt ihre Rechte fest in seiner Linken. „Sind Sie ein Gentleman, Henry, daß Sie sich in Gegenwart der jungen Lady so gehen lassen?“ erwiderte der letztere mit völliger Ruhe, obgleich sein Auge einen seltsamen Glanz annahm und das Blut dunkel in sein Gesicht stieg. „Ich denke, Sie werden nicht verwehren wollen, was mir und Miß Mary recht scheint?“

Das Gesicht des jungen Kreuzer nahm den Ausdruck eines tödlichen Hasses an. „Was den Osborne’s recht scheint?“ stieß er hervor, „haben sie denn nicht bewiesen, daß Lüge und Unrecht bei ihnen zu Hause sind? Die Hand von dem Mädchen, sage ich zum letzten Male!“

„Heinrich, um Gotteswillen!“ rief Mary, welche die Hand des jungen Amerikaners plötzlich an der ihren zucken gefühlt, James aber war, ohne sie loszulassen, todtenbleich einen Schritt vorwärts getreten und stand dicht, Aug’ in Auge, vor seinem Beleidiger. „Wärst Du ein Mensch von Ehre,“ sagte er mit einem eigenthümlich heisern Klange der Stimme, „so würdest Du Deine Beschimpfungen bis zu einer Zeit aufgespart haben, wo mich nicht die Gegenwart einer Lady abhält, Dich nach Verdienst zu züchtigen –“

„Züchtigen – Du?“ brach es in einem schrillen Laute aus dem Munde des Andern, „da nimm es!“ und ein voller Faustschlag fiel in Osborne’s Gesicht.

Mary war mit einem Aufschrei zurückgefahren – einen einzigen Moment nur stand der Getroffene wie betäubt, im nächsten hatte er des Mädchens Hand losgelassen, den Burschen gefaßt und ihn zu Boden geschmettert, daß dieser, ohne auch nur noch ein Glied zu regen, liegen blieb, wie er den Boden berührt.

James blickte eine Secunde lang auf den bewegungslosen Körper, dann wandte er, sichtlich seine Aufregung niederdrückend, sich nach dem Mädchen.

„Kommen Sie, Miß, und entschuldigen Sie mich, er hat nur, was er verdiente. Ich werde dann nach ihm sehen.“

„Aber um Gotteswillen, er regt sich nicht!“ rief Mary, wie von Entsetzen gepackt, ihre Hände nach dem Niedergeworfenen ausstreckend.

„Er wird zu sich kommen, seien Sie ohne Sorge, und es ist besser, er findet sich allein,“ erwiderte er, ihren Arm unter den seinigen nehmend, „kommen Sie, der Ort taugt jetzt nicht für Sie!“

„Ich kann nicht, ich kann nicht!“ stöhnte das Mädchen, die Augen starr auf Heinrichs bleiches Gesicht geheftet, „gehen Sie zu ihm, sehen Sie, ob er Schaden genommen, um Gottes Barmherzigkeit willen lassen Sie ihn nicht so liegen!“

Mit finster zusammengezogenen Augen trat James an den Daliegenden heran und faßte ihn bei beiden Schultern, ihn heftig rüttelnd, aber nur eine todte Masse schien seiner Anstrengung zu gehorchen. Jetzt faßte er den Oberkörper und richtete ihn auf – schwer fiel der Kopf zurück und zwischen den Haaren hervor träufelte Blut; ein rascher Blick Osborne’s traf eine aus dem Grase hervorragende mit Blut gefärbte Felsenecke. Langsam legte er den Körper zurück und richtete sich auf. „Ich werde Wasser holen und bin auf der Stelle wieder hier,“ sagte er in einem eigenthümlich klingenden Tone. Mary aber sah in ein verstörtes, aschenfarbiges Gesicht, und als ihr Begleiter, ohne sich umzublicken, davon geeilt war, überkam sie in voller Macht das Entsetzen, dessen Anfänge sie eben erst empfunden. Er war todt, sie wußte es, sie hatte es in des Davoneilenden Zügen gelesen, und nur ihrem fast die Besinnung überwältigenden Schrecken folgend, flog sie den Weg zurück, um den alten Farmer zu suchen.

Nur wie eines Traumes entsann sie sich später der aufgeregten Menschengruppen, welche nach den ersten Worten, die sie zu reden vermocht, sie umgaben, entsann sich des verstörten Gesichts des herbeigestürzten Kreuzer, sah sich wieder neben Heinrichs leblosem Körper, um welchen die Menschen in vergeblichen Belebungsversuchen beschäftigt waren, bis er aufgehoben und davongetragen ward, und fand sich endlich von dem Sohne des Festgebers mit beruhigenden Worten nach einem der wartenden Wagen geführt. „Nehmen Sie alle Kraft zusammen, Miß,“ sagte der junge Mann, „es ist nöthig, daß die alte Lady auf das Unglück vorbereitet wird, ehe sie es durch Unberufene erfährt, und auch für Sie ist es am Besten, wenn Sie den Neugierigen aus dem Wege gehen.“

Damit hatte er die Widerstandslose in den Wagen gehoben, ihr Hut und Tuch eingehändigt und fuhr mit ihr davon.

Mary kam erst wieder zu rechter Besinnung, als sie das heimathliche Farmhaus erblickte; zugleich aber erwachte in ihr auch ein eigenes Gefühl von Angst, wenn sie sich den ersten Schmerzausbruch ihrer Pflegemutter vorstellte. Fast wollte es sie überkommen, als trage sie einen Theil der Schuld an dem entsetzlichen Unglücke. „Lassen Sie mich hier absteigen,“ sagte sie, als der Weg sich nach dem Thore der Umzäunung wandte, „Mutter muß gleich etwas Besonderes vermuthen, wenn sie mich in einem fremden Wagen ankommen sieht!“

Sie sprang zu Boden und folgte dem Gefährte langsam. Sie sah ihren Begleiter an der Hausthür absteigen und im Eingange verschwinden. Eine Minute stand sie harrend und glaubte jeden Augenblick einen Schrei aus dem offenen Fenster hören zu müssen, aber kein Ton wurde laut um sie her, und eine peinigende Unruhe trieb sie vorwärts. Mit hochklopfendem Herzen ging sie dem Hause zu und war nur wenige Schritte noch davon entfernt, als die Thür sich öffnete und die Frau, gefolgt von dem Farmerssohne, rasch heraustrat. Ihr Haar saß so glatt und fest am Kopfe wie gewöhnlich, und nur der krampfhafte Griff, mit welchem sie den Sommerhut in der Hand hielt, verrieth eine ungewöhnliche Aufregung. Ihr Gesicht war fast steinern, und der starre Blick suchte den Wagen. Mary fühlte, als solle ihr das Herz zerdrückt werden. „Mutter, Mutter!“ rief sie, ehe es noch der junge Mann mit einem Winke verhindern konnte. Die Frau aber schien sie nicht zu hören und schritt auf das Gefährt zu. „Ich weiß, daß er meine Stimme vernehmen wird, und hätte auch sein Geist schon halb den Körper verlassen,“ sagte sie, als der junge Farmer ihr beim Einsteigen behülflich war; „nur rasch, und es muß noch Alles gut werden!“

Das Mädchen sah die Beiden davonfahren, sie betrat das Haus, in welchem sich keine lebendige Seele außer ihr zu befinden schien, und wirre Bilder dessen, was die nächsten Stunden bringen würden, schossen durch ihren Kopf. Fast erschrak sie, als die Nase des zottigen Haushundes, der ihre Kleider beschnopperte, ihre Hand berührte. Mit einem Gefühle, als sei jeder Theil in ihrer Brust zusammengeschnürt und gepreßt, setzte sie sich an das offene Fenster, um die Heimkehr ihrer Pflegeeltern abzuwarten. Der ganze verhängnisvolle Vorfall trat in einzelnen Bildern noch einmal vor sie, bis ihre Gedanken an dem jungen Osborne hängen blieben – er war, seit er den Erschlagenen verlassen, nirgends wieder zu erblicken gewesen. Die Worte, welche er zu ihr gesprochen, klangen noch einmal in ihren Ohren wieder, sie sah sein klares Auge auf sich ruhen und fühlte noch einmal den Eindruck, welchen sein inniger Blick auf sie gemacht – dann trat es wie ein Gespenst vor sie, daß gerade Einer der Osborne’s es hatte sein müssen, durch welchen das Unglück herbeigeführt worden. Sie meinte den alten Kreuzer zu sehen, wie er im Schmerze um den Sohn den versöhnlichen Sinn verfluchte, welcher die erste Ursache zu dem Geschehenen gewesen – zwei große, schwere Thränen begannen sich aus ihren Augen loszuringen. Bald aber folgten deren mehr; sie legte den Kopf auf den Arm, und in heißem Weinen fing ihre gepreßte Seele an sich Luft zu machen, es war ihr, als müsse sie jammern über ein ganzes verlorenes Lebensglück.

Es war dämmerig geworden. Mary hatte langsam ihre Ruhe wiedergewonnen und ihre augenblickliche Lage ins Auge gefaßt. Sie war sich in keiner Weise bewußt, einen Vorwurf verdient zu haben, und doch, wenn sie an ihre Pflegemutter dachte, konnte sie die Ahnung von einem bösen Sturme, welchen sie zu bestehen haben werde, nicht von sich weisen, wenigstens aber wollte sie jeder Pein, welche die nächste Stunde für sie bringen konnte, standhaft entgegentreten. Jetzt sah sie eine Gestalt auf das Haus zukommen; es war die Magd, die, als sie das Mädchen am Fenster bemerkte, einen auffallend scheuen Blick nach ihr warf und dann nach der Küche am hintern Ende des Gebäudes eilte. Dieser eine Blick fiel wie ein Stich in Mary’s Herz, aber er befremdete

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 659. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_659.jpg&oldid=- (Version vom 23.5.2019)