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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Im Jahre 1855 beobachtete Schönbein in Berlin eine ungewöhnliche Menge von Ozon in der atmosphärischen Luft während einer bösartigen Grippe, die alle Personen ergriff, welche nicht lungenfest waren. Dr. Boeckel hat beobachtet, daß gewisse Fieber stets desto mehr wüthen, je weniger Ozon vorhanden ist. In Straßburg stellte sich die Cholera ein, als Ozon ganz ausgegangen war, und nahm in demselben Grade ab, als sich wieder Ozon in der atmosphärischen Luft einfand.

Scoutteten glaubt aus diesen und andern Beobachtungen schließen zu können, daß Cholera, kalte, Sumpf- und andere Fieber aus organischen, sumpfigen Ausdünstungen hervorgehen oder wenigstens dadurch genährt werden, wenn nicht Ozon genug vorhanden ist, sie zu neutralisiren. Je größer die Hitze, desto mehr solche organisch-miasmatische Ausdünstungen. Fehlt es dann an Ozon und ist eine ansteckende Krankheit schon im Laufe, so nimmt letztere mit der Hitze zu, wie an dem heißesten Tage in Paris, als die Cholera-Pest ihre höchste Höhe erreichte. Der Ueberschuß von Ozon während einer epidemischen Grippe in Berlin, beobachtet von Schönbein, erklärt sich leicht aus dem Ueberschusse, da Ozon auf die Lungen wirkt und die geringste Vermehrung desselben Lungen- und Halsleiden bis zur Entzündung hervorrufen kann.

Aus allen Beobachtungen ergibt sich dies Resultat, daß die gänzliche Abwesenheit des Ozon in der atmosphärischen Luft stets ungesund ist, mindestens in bewohnten Häusern, besonders in Krankenstuben und Hospitälern, wo der Luft alle mögliche organisch-miasmatische Partikelchen mitgetheilt werden, daß also Desinfections-Apparate, wie Phosphorstäbchen in Wasser, gute Gegengifte liefern.

Es ist eine treffende, wenn auch harte Wahrheit, daß wir Alle gegen einander giftig sind. Das theuerste Haupt, das neben uns schläft, athmet Tod für uns, und umgekehrt. Liebe ist schön, aber die Kohlensäure, die auch die heißest Liebenden ausathmen, ist Gift. Neue Untersuchungen und feine Experimente haben klar bekundet, daß Städteluft nicht nur viel schädliche organische Substanzen, sondern auch directe Blutgifte enthält; Städteluft röthet das Blut schneller, erregt es mehr, als Landluft. In Manchester, das sechzehn englische Quadratmeilen bedeckt, regnet es mehr, als irgendwo in England, regnet es auch jährlich 20,000 Centner – Vitriol, das der Regen aus der Manchesterer Luft mit herabspült. Die übermäßig mit faulenden organischen Bestandtheilen, Kohlensäure und Schwefelwasserstoffgas erfüllte Luft begünstigt Krankheiten, reizt das Blut, das Gehirn- und Nervensystem – so daß die Städter im Durchschnitt stets blasser aussehen, lebendiger, reizbarer, geweckter und intelligenter sind, also auch eher gebrechlich werden, Verbrechen begehen oder sterben, als die Leute auf dem Lande. Städte athmen dichter, produciren mehr Krankheitsstoffe und Lungengifte, als das dünner bevölkerte Land. Wer weiß, ob wir nicht bereits einem Mittel auf der Spur sind, außer durch öffentliche und Privat-Reinlichkeit, Ventilation, Wasserleitung etc. auch durch Ozon die Luft der Städte zu verbessern?

Vor der Hand liegt in den großartigen, schönen Gesundheits-Polizei-Maßregeln der Natur ein großer Trost. Sie sorgt durch Donnerwetter mit Knalleffect, durch ungeheuere Wasserflächen, die Elektricität frei machen für den Sauerstoff der Luft, auf eine stille, dauernde Weise dafür, daß Elektricität und Sauerstoff sich stets in bedeutenden Massen zu Ozon verbinden können. Und im Ozon haben Naturforscher aller Nationen gleichmäßig die allermächtigste Gesundheits-Polizei-Behörde erkannt. Was dieses feine, unsichtbare Paar von Luftgeistern noch außerdem in wissenschaftlicher, medicinischer, industrieller und lebenverschönernder Beziehung zu leisten im Stande sein mag, hängt von weiteren ernsten, anhaltenden, feinen Beobachtungen, Experimenten und Entdeckungen der Wissenschaft ab, welche in diesem flüchtigen, feinen chemischen Dioskuren-Paare nach jahrelangen Vorbereitungen und Vorstudien nun wenigstens so viel erkannt hat, daß sie in ihren stolzesten, mit der größten Sicherheit auftretenden Hypothesen einen der einflußreichsten Luftgötter ganz übersah, und daß derselbe von nun an desto sorgfältiger beachtet werden müsse.




Blätter und Blüthen.

Südslavisches Familienrecht. In einer Leipziger Zeitschrift wurde vor Kurzem in einem längern Artikel der Beweis zu liefern gesucht, die „Kroaten, Slovaken etc.“ seien noch nicht „constitutionsflügge“ und deshalb der Wohlthat einer solchen Verfassung nicht werth. Der Schreiber dieser Zeilen, ein geborener Südslave, der mit tausend andern Slaven von Kindsbeinen an deutsche Bildung genossen hat und deren Werth für seine Nation zu würdigen weiß, will es aber versuchen, die Kroaten mit wenigen Zügen den Lesern der Gartenlaube zu schildern und ihnen zu zeigen, daß dieses seit dem Jahre 1848 in Deutschland ohne Grund so gehaßte und verachtete Volk dergleichen wegwerfende Behandlung nicht verdient.

Der Grundzug im Charakter der Südslaven, der in allen seinen Lebensverhältnissen sich wiederfindet, ist seine tiefe Anhänglichkeit an die Familie, an das Haus im weitesten Sinne. Der ganze bäuerliche Grundbesitz der Kroaten und Serben in Oesterreich und der stammverwandten Völkerschaften in der Türkei ist nicht Eigenthum der einzelnen Bauern und Bäuerinnen, sondern der ganzen Bauernfamilien. In jüngster Zeit hat man bei Anlegung der Grundbücher in Kroatien und Slavonien die einzelnen Besitzthümer der Bauern deshalb auch als Eigenthum der „Haus-Kommunion N.“ eingetragen. Ein solches Besitzthum gehört oft mehreren Brüdern, Vatersbrüdern, noch entfernteren Verwandten und deren Weibern und Kindern gemeinschaftlich. Es ist keine Seltenheit, daß man in einer solchen Gemeinschaft 50–100 Personen und darüber antrifft, wenn der Grundbesitz entsprechend groß ist. Jedes Ehepaar mit seinen Kindern hat in den Wohngebäuden eine abgesonderte Schlafstätte; alle übrigen Räume werden gemeinschaftlich benutzt. Zur Leitung der Wirthschaft, zur Schlichtung kleinerer häuslicher Zwiste, zur Geldgebarung und zur Vertretung des Hauses gegenüber der Gemeinde und dem Staate wählen die Hausgenossen den fähigsten Mann, der dann auch von der Gemeinde als Hausvater bestätigt werden muß. In allen wichtigeren Angelegenheiten leisten ihm die Hausgenossen nur dann Folge, wenn seinem Gebote die Berathung aller erwachsenen Familienglieder voranging, und er lediglich den hierbei gefaßten Beschluß vollzieht.

Die gewonnenen Erträgnisse werden im Herbste eines jeden Jahres an die Theilfamilien des Hauses mit Berücksichtigung der Zahl ihrer Glieder vertheilt, nachdem voraus Steuern und Hausauslagen bezahlt, und das im Hause für das Jahr nöthige Quantum von Lebensmitteln ausgeschieden worden ist. Kein Hausgenosse kann seinen ideellen Grundantheil veräußern oder verpfänden; er ist eben nur Mitfruchtnießer, die Familie aber ist allein die Eigenthümerin. Stirbt ein Glied der Familie, so werden nur jene Kleider und Geräthe, die zu dessen persönlichstem Gebrauche dienten, unter seine Kinder oder näheren Verwandten vertheilt. Sein Grundtheil aber wächst den Ueberlebenden von selbst zur Nutznießung zu, denn die Familie als eigentliche Grundeigenthümerin ist nicht gestorben.

Will ein Mitglied der Hausgenossenschaft auswärts arbeiten, so steht ihm dies jederzeit frei; nur muß er einen Theil seines Verdienstes in die Hauscasse abliefern. Der Einzelne kann auch das Haus ganz verlassen, er wird bei seinem Austritte wohl auch mit einem Nothpfennige ausgestattet. Sein Wiedereintritt in das Haus wird mit Rücksicht auf den Werth, den die Arbeitskraft in Kroatien hat, gern gestattet. Das Mädchen, das dem Hause von ihrem Bräutigam entzogen wird, erhält eine kleine Ausstattung; sie wird vollberechtigte Hausgenossin in der Familie ihres Gatten.

Das sind die wesentlichsten Rechtssätze des südslavischen Familienlebens. Einem Juristen, der das römisch-germanische Recht mit dem heillosen Grundsatze „societas mater discordiarum“ in sich ausschließlich aufgenommen hat, wird freilich dabei grauen; er möge aber bedenken, daß jedes Volk seinen eigenen Geist hat, so gut, wie jeder Einzelne, und daß die Producte der verschiedenen Nationalideen eben auch verschieden sind. Wer sich über die hier geschilderte tausendjährige Nationalsitte eines Näheren belehren will, dem empfehle ich das treffliche Buch von Utiesenovic: „Die Hauscommunionen der Südslaven“, Wien 1859 bei Manz u. Co. – Das ganze Institut beruht im Wesentlichen auf dem Geiste der Familienliebe, der in dem Südslaven so mächtig ist; es ist der Communismus in der edelsten, praktisch allein möglichen Form. Um die segensreichen Wirkungen desselben nur anzudenken, berühre ich, daß ein Bauern-Proletariat dadurch unmöglich wird, daß die jüngeren Geschwister nicht mit wenigen Gulden vom älteren Erben ungerechter Weise abgefertigt werden und nicht heimathslos umherirren müssen, daß die Zerstückung der Bauerngüter vermieden wird, daß man das Dienstbotenunwesen kaum kennt, daß das obschon unwissende Volk dennoch nicht roh ist, daß die Criminal-Statistik Oesterreichs hinsichtlich der Südslaven eine bedeutend geringere Zahl von Verbrechen ausweist, daß zahlreichere und frühere Ehen geschlossen werden etc.

Aus der oben hervorgehobenen Gewohnheit der Kroaten, im Familienkreise die wichtigeren Angelegenheiten zu berathen, folgt nun, daß dieselben auch zur Selbstverwaltung in größeren Kreisen nicht so unreif sind, als die Leipziger Zeitschrift annimmt. In den Gemeinden und in den Bezirken wissen die Vorsteher sehr gut, daß das Volk für keinen Schulbau, keine Straße etc. gern Arbeiten oder Zahlungen leistet, bevor die Vorsteher in einer improvisirten Volksversammlung den Nutzen der Neuerung dargethan, auch wohl die alten Männer angehört baben. Was dem Volke an Einsicht mangelt, wird durch die Bereitwilligkeit, sich belehren zu lassen und die eigene Ansicht nicht mit Parteihartnäckigkeit auf Kosten des Ganzen durchsetzen zu wollen, reichlich ersetzt.

Das Familienleben, wie es hier geschildert wurde, durchdringt das ganze Bewußtsein des Volkes. Die Dörfer führen oft den Geschlechtsnamen einer Familie in der vielfachen Zahl. Der Wirthshausbesuch ist

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 671. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_671.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)