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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

„Ich fürchte mich nicht!“ erwiderte sie langsam, als werde ihr das Sprechen schwer, „und ich werde reden, da Ihr es verlangt. Ich bin mit dem jungen Osborne gegangen, weil er das einzige bekannte Gesicht rings um mich her zeigte und Vater mir gesagt hatte, daß ich ihm nicht auszuweichen brauche; ich bin willig mit ihm gegangen, weil er mit Liebe und Achtung von Vater Kreuzer sprach und mir erzählte, daß der alte Mr. Osborne gern schon längst die Hand zum Frieden geboten und das geschehene Unrecht auf irgend eine Weise wieder ausgeglichen hätte, wenn er nicht wüßte, daß hier im Hause die Feindschaft immer wieder neu geschürt würde. Und kein anderes Wort als von dieser Art ist aus seinem Munde gekommen. Da ist der Heinrich, den ich, seit wir auf den Platz gekommen, nicht gesehen, aus dem Gebüsche getreten wie ein Wüthender, hat ihn geschimpft und die Osborne’s von Vater zu Sohn Lügner genannt, und als ihm James gesagt, er werde ihn ein anderes Mal treffen und züchtigen, wo er nicht auf die Anwesenheit einer jungen Lady Rücksicht nehmen müsse, hat Heinrich die Faust gehoben und ihn in’s Gesicht geschlagen. Da hat James den Wüthenden gepackt und ihn zu Boden geworfen – und das ist Alles!“ Ein stiller Schauer schien ihren ganzen Körper zu überfliegen, aber kein Zug ihres Gesichts änderte sich. „Und nun will ich noch Eins sagen, weil ich es Euch schuldig zu sein glaube,“ fuhr sie nach einer kurzen Pause fort, „es wird wohl kommen, daß ich Zeugniß von dem Geschehenen ablegen muß, und so kann ich nicht anders, als nach Wahrheit und Gewissen aussagen, daß James mit Gewalt zu einer That gedrängt worden ist, die er niemals beabsichtigt und an die er nie gedacht –“

„Siehst Du das Kuckuksei?“ richtete sich die Frau mit stechendem Blicke auf, „hörst Du, wie die Sachen stehen? James, James! so weit sind sie schon mit einander! Siehst Du endlich, was Du in’s Haus gebracht, Du alter bethörter Mann? Aber die Mutter wird wohl noch ihr Recht bekommen, und sollte sie meilenweit auf den Knieen rutschen, um die deutschen Männer gegen den amerikanischen Mörder und seine Liebste aufzurufen!“

Kreuzer, der bis zu diesem Augenblicke bleich und still dagesessen, erhob sich jetzt rasch und faßte den Arm der Frau. „Ruhig, Mutter, es wird Alles klar werden, aber ruhig jetzt!“

Durch des Mädchens Züge zitterte es, wie eine mit Gewalt unterdrückte innere Bewegung. „Mutter, wenn ich Dich noch so nennen darf,“ sagte sie, „warum beschimpfst Du mich? Ich weiß, daß ich nicht länger hier im Hause bleiben darf, daß ich Dir den großen Schmerz immer wieder zurückrufen würde; – aber bin ich Dir nicht ein gehorsames Kind gewesen? habe ich etwas gethan, was Du mir vorwerfen dürftest? warum beschimpfst Du mich jetzt, wo ich nur rede, was vor Gott und meinem Gewissen recht ist?“

Ein Pochen an der Vorderthür schnitt die weitern Worte ab. In dem langsam geöffneten Eingange erschien eine hohe, stattliche Männergestalt, in die leichte Tracht der amerikanischen Farmer gekleidet. Das volle, gebräunte Gesicht war von eisengrauem Haar umwallt, und die wie aus Gewohnheit leicht zusammengezogenen Augen schienen mit einem Rundblicke Alles, was das Zimmer bot, erfassen zu wollen.

„Mister Kreuzer!“ wandte er sich in ruhiger, wohltönender Stimme an den alten Farmer, „erlauben Sie, daß ich für einige Minuten Ihre Schwelle übertreten darf?“

Die Frau hatte sich bei seinem Anblicke langsam, als sähe sie ein Gespenst, aufrecht gesetzt. „Laß ihn nicht herein, Kreuzer!“ rief sie plötzlich, abwehrend die Hand ausstreckend, „das Unglück ist da, wo sie hintreten, er und was zu ihm gehört! Laß ihn nicht herein; was will er noch in dem Hause des Gemordeten?“

Ein Ausdruck von Trauer überflog die Züge des Angekommenen, ohne daß ihn indessen der gewordene Empfang zu überraschen schien; Kreuzer aber hatte mit einem bestimmten „Mutter, sei ruhig!“ von Neuem den Arm der Alten gefaßt und wandte sich dann mit einem Gesichte voll tiefen Ernstes nach dem Fremden. „Treten Sie ein, Major!“ sagte er.

„Ich danke Ihnen,“ erwiderte der Eingetretene herzlich, die Thür hinter sich schließend. „Mr. Kreuzer, ich weiß,“ fuhr er dann fort, „daß heute Ihr ganzes Haus mit schwer verwundetem Herzen, mit doppelt feindseligem Auge auf die Osborne’s blicken muß, und dennoch hat es mich gerade heute getrieben, zu Ihnen zu gehen, Ihnen meinen tiefen Schmerz über das entsetzliche Unglück, das Sie betroffen, auszusprechen und Ihnen die Versicherung zu geben, daß meinerseits keine Hand gerührt werden soll, um den vollen Lauf der Gerechtigkeit zu hemmen. Es ist mein Sohn, den ich seiner Sache und seinem Schicksale überlasse, wie Heinrich der Ihre war, – es ist Alles, was ich Ihnen jetzt als freilich trostlose Genugthuung bieten kann. Wollte doch Gott, Mr. Kreuzer, was so viele Jahre zurück zwischen uns gestanden, wäre christlich vergeben und nicht verpflanzt worden auf das junge Geschlecht –“

„Das ist es, das ist der Fluch, der jetzt über uns gekommen!“ sagte Kreuzer dumpf, die Augen auf den Boden heftend.

„O ja!“ fuhr die Frau mit einem unheimlichen Lachen auf, „und wer hat das junge Kreuzer’sche Geschlecht niederschießen wollen, wenn es sich auf fremdem Boden zeige? und das junge Geschlecht hätte nicht einmal wissen sollen, daß es sich zu wahren habe? O, die Redensarten sind jetzt schön, jetzt, wo es an den Hals des eigenen Fleisches zu gehen droht – aber“ fuhr sie mit gehobener Stimme und stier blickendem Auge fort, „der Heinrich ist gemordet worden, und so muß sein Mörder hängen! Der Deutsche ist nicht mehr der Fußschemel des Amerikaners – Leben um Leben heißt es! – Gehen Sie, Sir, das Reden hilft Ihnen nichts!“ rief sie und stieß die Hand ihres Mannes, der sich nach ihr gewandt, zurück; „gehen Sie, und nehmen Sie auch gleich diese da, die den Advocaten für die Osborne’s machen wird, mit!“

Der Eingetretene hatte, so lange die Frau sprach, keine Miene bewegt, als habe er sich vorgenommen, durch nichts seine Fassung stören zu lassen; bei den letzten Worten aber wandte er das Auge nach dem Mädchen, und ließ es angeregt über die ganze feine Gestalt laufen.

„Ich werde allein gehen, Mutter,“ erwiderte Mary, langsam den Kopf hebend, „und eine Waise, die arbeiten will, wird wohl ein Unterkommen finden, das sie frei von Verdacht hält. Vergib mir, wenn ich Dir irgendwo eine unzufriedene Stunde gemacht, wie ich Dir vergeben will, was Du mir jetzt gethan!“ Sie wandte sich zum Gehen, aber Kreuzer, der sichtlich unruhig dem Gespräche gefolgt, ließ ein hastiges: „Warte noch eine Minute, Mary!“ hören und wandte sich dann nach dem alten Osborne.

„Ich will die gute Gesinnung erkennen, die Sie hergeführt haben mag, Major,“ sagte er mit trübe zusammengezogenen Augen, „Sie werden aber einsehen, daß es jetzt die schlimmste Stunde ist, zu niedergebrochenen Elternherzen zu reden –“

„Ich gehe, Mr. Kreuzer,“ unterbrach ihn Osborne, die Thür in die Hand nehmend, „ich habe nur das erfüllen wollen, was ich Ihnen schuldig zu sein glaubte, selbst auf die Gefahr hin, anders behandelt zu werden, als Sie es jetzt, wie nur der Gentleman es konnte, gethan! Gott tröste uns Beide in unserm Unglück, Sir!“ Er warf einen Rückblick auf das Mädchen und schritt dann langsam hinaus.

„Wo willst Du hin, Mary?“ fragte Kreuzer, als sich die Thür geschlossen.

„Ich weiß es noch nicht, Vater, aber ich denke irgendwo für die nächste Zeit wohl einen Schutz zu finden!“ erwiderte sie ruhig.

„Natürlich! wenn das auch unter einem deutschen Dache hart halten sollte!“ warf die Frau ein. „Was fragst Du noch, Kreuzer? was kümmerst Du Dich darum? sie weiß selbst, wohin sie gehört! Denk’ an Deinen Sohn, den sie noch im Grabe beschuldigen will – er ist ja stumm und kann sie nicht Lügen strafen!“

Das Mädchen fuhr auf, als habe sie ein Stich in’s Herz getroffen. Der Alte aber faßte mit einem raschen Griffe ihren Arm und führte sie mit einem: „Sei ruhig und komm mit mir!“ nach der Küche. Dort saß George in eine Ecke gedrückt und sah den Eintretenden mit scheuen Augen entgegen. „Geh zur Mutter und bleibe bei ihr,“ sagte Kreuzer weich, „sie wird Dich heute mehr als jemals brauchen,“ und als der Knabe mit einem scheuen Blicke auf Mary davon gegangen, wandte jener das gedrückte Auge wieder nach dem Mädchen.

„Ich mag nicht in Dein Gewissen reden, ich will Dir glauben,“ begann er, „wenn es auch dreifach schmerzt, gegen sich zu haben, was einem an’s Herz gewachsen ist. Du mußt gehen, Mary, das ist so, denn die Mutter hat das erste Recht. Aber Du sollst trotz Allem, was geschehen ist, nicht verlassen sein. Geh hinüber nach dem „Point“, dorthin will ich Deinen Koffer schicken und Dir weitere Botschaft senden. Warte jetzt einen Augenblick!“

Er wandte sich wieder nach dem Zimmer und kam bald mit einem der ledernen, auf dem Lande gebräuchlichen Geldtäschchen zurück. „Hier ist der Schein über Dein Vermögen, und ein paar

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 674. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_674.jpg&oldid=- (Version vom 23.5.2019)