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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

der Stegreifstücke zu langsam ging, hielt die lustige Person, den Hanswurst, für den Mittelpunkt des ganzen alten Komödiantenwesens und war der Meinung, daß die Willkür auf der Bühne nur mit der Vertreibung des Spaßmachers von derselben enden werde. Die Neuber war auch darin mit ihm einverstanden und so nahm sie sich vor, den wichtigen Schritt unter einer feierlichen theatralischen Demonstration zu thun.

Es war in der Michaelismesse (im Oktober) 1737, in ihrer Theaterbude vor Bosens Garten der jetzigen Königsstraße zu Leipzig, als sie ein von ihr selbst verfaßtes kleines Stück aufführen ließ, in welchem dem Hanswurst wegen seines theatralischen Unfugs der Proceß in aller Form gemacht, dann eine Puppe in dem buntfarbigen Hanswurstkleide auf einem Scheiterhaufen feierlich verbrannt und sein Name für immer von der Bühne verbannt wurde. Damit übernahm die Neuber zugleich die moralische Verpflichtung, den Hanswurst auf ihrer Bühne nie wieder erscheinen zu lassen, und sie hat getreulich Wort gehalten. Somit war aber auch der Anfang gemacht zur Beseitigung aller herkömmlicher stehender Masken, welche die Bühne beherrschten, und zugleich die Möglichkeit gegeben, dem frischen vollen Leben der Wirklichkeit Eingang zu verschaffen.

So groß nun, so bedeutungsvoll und ruhmreich alles dies für die ausgezeichnete Frau war, so ist doch das Wichtigste aus ihrem Leben noch zu erwähnen: die Neuberin war es auch, welche den großen Mann in das theatralische Leben einführen sollte, den das Schicksal ausersehen hatte, der eigentliche Begründer der deutschen Literatur und der deutschen Bühne zu werden, und beide unzertrennlich miteinander zu verbinden – Gotthold Ephraim Lessing.

Als siebenzehnjähriger Student war Lessing - am 20. September 1746 – nach Leipzig gekommen, ein schlanker, aber kräftiger Jüngling mit regelmäßigen Zügen, geistvollen, blitzenden, lachenden Augen und einem Munde, der kecke frische Lebenslust ausdrückte und um den Anmuth und Schalkhaftigkeit spielten.

Er bezog – was auf sein ganzes Leben entscheidend einwirkte – eine Universität, wo man, wie er selbst in der Lebensbeschreibung eines seiner Freunde sagt, nichts so zeitig lernte als – ein Schriftsteller zu werden. Und es wurde nicht nur ein Schriftsteller aus ihm, er brachte den Schriftstellerstand zu Ehren. In Leipzig herrschte damals unter den jungen Leuten ein sehr reges geistiges Leben. Gottsched’s literarische Betriebsamkeit nicht nur zog einen Kreis junger Männer an; es rührten sich bereits in seiner Nähe Gegner, die seine pedantische Geschmackstyrannei zu bekämpfen anfingen und sich zu diesem Zwecke eng an einander schlossen. So die Gesellschaft, welche die „Bremer Beiträge“ herausgab und zu der Klopstock, welcher wenige Monate vor Lessing nach Leipzig gekommen war, Zachariä, der Verfasser des „Renommisten“, Cramer und die beiden Schlegel gehörten. Ferner der Kreis, der sich um den damals ebenfalls noch jugendlichen, durch seine beißenden Epigramme bekannten Professor Kästner sammelte, welcher mathematische und philosophische Vorträge hielt. Gottsched konnte seiner Natur nach Lessing unmöglich zusagen; die Gesellschaft der „Bremer Beiträger“, wie sie hieß, war ihm als Anstalt zu gegenseitiger Beräucherung zuwider, dagegen sprach ihn der geistreiche, scharf denkende, mathematisch geschulte Kästner an, dem er sich denn vorzugsweise anschloß und bei dem er einen gewissen Mylius kennen lernte, der bereits eine populär-naturwissenschaftliche Zeitschrift, „der Naturforscher“, herausgab, für das Theater kleine Stücke geschrieben hatte, mit Schauspielern viel verkehrte und auch seinen jungen Freund in die Gesellschaft derselben einführte. Lessing besuchte in der That nicht nur die Vorstellungen der Neuber’schen Truppe sehr fleißig, sondern machte auch bald Besuche hinter den Coulissen, besonders da eine junge Schauspielerin, die Lorenz, sein Herz gewann, um deren willen er beinahe selbst die Breter betreten hätte. Die Vorliebe für das Theater führte ihn ferner mit Christian Felix Weiße zusammen, der später durch seinen Kinderfreund sich so berühmt machen sollte und auf der Schule schon ein Lustspiel entworfen hatte. Da nun Beide nichts weniger als Ueberfluß an Geld besaßen, so übersetzten sie in Gemeinschaft verschiedene französische Stücke, welche die Neuberin aufführen ließ und den jungen Autoren mit einem Freibillet lohnte. Diese Beschäftigung Lessing’s mit dem Theater sagte freilich Manchen nicht zu, namentlich seinem Stubenburschen Jos. Fr. Fischer, der später Rector der Thomasschule in Leipzig wurde und dem bekannten Rochlitz, als derselbe von der Schule abging, seinen ehemaligen Jugendfreund in einer donnernden Rede als warnendes Beispiel vorführte. Rochlitz hatte nämlich in dem schrecklichen Verdacht gestanden, deutsche Bücher zu lesen und sogar deutsche Gedichte zu machen, und der Rector sagte zu ihm: „Laß Er sich retten vom Verderben, denn dahin führt’s doch, und das dauert mich um so mehr, weil ich bei solchen Vergehungen allemal an ein Exempel denken muß, an ein Exempel aus meiner Jugend, das mir noch heute durch die Seele geht. Wie ich nämlich von Coburg hierher auf die Universität kam, da zog ich mit Einem zusammen, der guter Leute Kind war, ein Predigersohn aus der Lausitz. Wir wohnten in der Burgstraße drüben in der alten Baderei. Was hatte Gott dem Menschen für Gaben verliehen! Wie konnte der Griechisch und Lateinisch! Was hätte aus dem werden können! Aber er hatte auch so einen Hang. Er hatte schon vorher viel deutsch gelesen, nun gewöhnte er sich auch deutsch zu schreiben und machte deutsche Verse. Nun ging’s immer weiter und war kein Haltens mehr. Er war mein bester Freund, er war mein einziger auf der ganzen Universität, aber – ich zog von ihm, denn ich konnt’s nicht mit ansehen. Er fing sogar an Komödien zu schreiben. Und nun – nun wurde er nach und nach – ach! ich mag’s gar nicht sagen! Frag’ Er nur die Leute, die ’s verstehen. Der Kerl hieß – Lessing.“

Die Veranlassung, die Lessing vermocht haben soll, ein eigenes Stück auf die Bühne zu bringen, erzählt man in folgender Weise: Es hatte ein Stück aus der Gottsched’schen Schule sehr gefallen oder war doch wenigstens höchlich gerühmt worden. Nur der junge Lessing wußte viel daran auszusetzen. Da entgegnete man ihm, wie gewöhnlich, tadeln sei leichter als besser machen, und sofort nahm Lessing den Entwurf eines Lustspiels vor, an dem er bereits auf der Schule in Meißen gearbeitet hatte, vollendete dasselbe, legte das Stück dem Professor Kästner vor, ging es mit seinen Freunden Mylius und Weiße durch und begab sich dann mit dem Letztern zu seiner Gönnerin, der Principalin Neuber, um es auch ihr vorzulegen und ihr Urtheil einzuholen. Die erfahrene Frau erkannte sofort in dem Dichter des „jungen Gelehrten“ – denn dieses Erstlingswerk Lessing’s war es – den ungewöhnlich begabten Geist. Sie begrüßte ihn als theatralisches Genie und nannte ihn prophetisch die aufgehende Sonne der Nationalbühne. Diese Scene ist es, welche unser Künstler im vorstehenden Bilde dargestellt hat. Im Januar des Jahres 1748 wurde das Stück in Leipzig zum ersten Male aufgeführt und es fand mit Recht den größten Beifall. War es doch – und man bedenke, daß der Dichter erst neunzehn Jahre zählte! – das erste echt deutsche Lustspiel, ein Bild aus dem frischen Leben, mit scharfgezeichneten, treu durchgeführten Charakteren und einem geistvollen, pointirten Dialoge, wie man ihn bis dahin auf der Bühne nicht gehört hatte. Daß ihm noch Spuren der Zopfzeit anhängen, daß es Mängel mancher Art hat, wer wollte es leugnen? Gewiß und unbestritten ist es aber das erste moderne deutsche Lustspiel, das allen nachfolgenden die Bahn vorgezeichnet hat.

Dem Dichter sollte indeß der glänzende Sieg zunächst sehr bittere Früchte tragen. Seine Eltern hatten schon von seinem Theaterbesuche, ja von seinem Umgange mit Komödianten gehört und sie kamen in große Besorgniß um das körperliche und Seelenheil des Sohnes, den sie am liebsten so bald als möglich auf der Kanzel gesehen hätten. Um sich von der Wahrheit oder Unwahrheit der Gerüchte zu überzeugen, gaben sie einem die Leipziger Neujahrsmesse von 1748 besuchenden Kamenzer Kaufmann einen Weihnachtsstollen für ihren Ephraim, aber auch die Weisung mit, sich über dessen Leben genau zu unterrichten und ihnen Bericht zu erstatten. Der gute Mann mußte nun allerdings melden, daß der junge Lessing nicht nur eine Komödie geschrieben habe, nicht nur mit Komödianten umgehe, sondern sogar den ihm gesandten Weihnachtsstollen in Ausgelassenheit mit denselben verzehrt habe. Das war für die frommen Eltern zu viel. Der Vater ließ alsbald einen Brief abgehen, in dem er den Sohn aufforderte, augenblicklich nach Hause zu kommen. Lessing that es, blieb bis Ostern in der Heimath und söhnte sich mit den Eltern aus, wenn er auch nicht Prediger, nicht Professor geworden ist. Und daß er dies nicht geworden, ist ein Glück für Deutschland gewesen, das viel ausgezeichnete Prediger und Professoren, aber nur einen Lessing zählt.

Diezmann.



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