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Aufführung er den genauesten Bericht erstatten mußte; außerdem erhielt er Winke und Vorschriften, wie man Menschen bilden, zum Besten leiten und regieren müsse. Wenn er einige Zeit hier gewirkt, so wurde er zu dem „großen Illuminatengrade“ zugelassen, der sich mit der sorgfältigen Ergründung des inneren und äußeren Menschen vorzugsweise beschäftigte, um auf den Grund einer sicheren Seelenkunde eine allgemeine Glückseligkeit herbeizuführen. Die Mitglieder dieser Classe waren noch verbunden, sowohl die kleinen Illuminaten, wie sich selbst sorgfältig zu beobachten, damit kein Unwürdiger sich in die höhern Grade eindränge und auch im Staate und bürgerlichen Leben stets nur der Edelste und Beste an der Spitze stehe, da die Mitglieder des Ordens untereinander die Verpflichtung hatten, sich gegenseitig zu unterstützen, beizustehen und selbst bei Besetzung von Aemtern und Stellen nach Kräften zu fördern. Aus dem Schooße des Ordens sollte eine würdige Beamtenhierarchie mit der Zeit hervorgehen und die Regierung ganz in die Hände der tugendhaften und verdienstvollen Illuminaten gegeben werden.

Hierauf folgte der Priestergrad, der von dem Gedanken ausging, daß alle Lehren des Heilands die höchste Güte und Weisheit enthielten, aber nur dahin zielten, einen für die Menschheit unendlich großen und edlen Plan zu verwirklichen, der mit den Absichten der Illuminaten vollkommen Eins sei. Nach Weishaupt beabsichtigte der Erlöser nichts weiter, als die Menschen zu ihrer ursprünglichen Würde wieder zu erheben, durch weise Aufklärung die Moralität auf den höchsten Grad zu bringen, ein allgemeines Sittengesetz einzuführen, so daß Jeder ohne Zwang, aus der inneren Ueberzeugung, daß nur Tugend Glück gewähren könne, der Tugend treu bleibe, alle Menschen durch ein Bruderband aneinander zu knüpfen, alle engen Verhältnisse, welche Noth, Bedürfniß, Kampf, Verderbniß und Immoralität erzeugt haben, dadurch aufzuheben, daß er die Illuminaten aller Zeiten fähig machen wollte, sich selbst zu regieren und folglich aller künstlichen Anstalten, aller Staatsverfassungen, positiven Gesetze und dergleichen entbehren zu können.

Eine Hauptaufgabe des Illuminatcn-Priesterthums sollte noch die Förderung gemeinnütziger Wissenschaften und Kenntnisse sein; zu diesem Zwecke war ihnen die Aufsicht über alle scientifischen Arbeiten sämmtlicher Zöglinge übertragen. Die Priesterclasse jeder Provinz leitete unter dem Vorsitze eines beaufsichtigenden Decans die literarischen Arbeiten, die nach bestimmten Facultäten vertheilt waren. An der Spitze jeder Facultät stand ein Priester, der über sein Fach einen genauen Realkatalog führen und die wichtigsten Entdeckungen seiner Wissenschaft, so wie die darin sich am meisten auszeichnenden Illuminaten verzeichnen mußte. Forderte dann Jemand Aufklärung und Hülfe bei irgend einem wissenschaftlichen Unternehmen und wendete sich deshalb an den Orden, so standen ihm die Erfahrungen und Kenntnisse Aller gleichsam wie ein gemeinschaftlicher Brunnen zu Gebote, aus dem jeder Einzelne nach Bedarf schöpfen konnte, so daß nach diesem großartigen Plane Bildung und Wissen in einem vorher nie geahnten Grade fortschreiten und Verbreitung finden sollten.

Dem Priestergrade folgte endlich die höchste Stufe der sogenannten „Regenten“, welche die oberste Leitung des ganzen Ordens führten und zu denen nur die ausgezeichnetsten Mitglieder nach einer Reihe von schweren Prüfungen und mannichfachen Proben ihrer allseitigen Befähigung gelangen konnten.

Weishaupt hatte dies ganze System im Verein mit dem durch sein Buch „Ueber den Umgang mit Menschen“ bekannten Freiherrn von Knigge aus Hannover, der ebenfalls ein eifriger Illuminat war und besonders in Norddeutschland durch seine Schriften für den Orden wirkte, sorgfältig entworfen und ausgearbeitet. Er fand zahlreiche Anhänger und Freunde, selbst der Herzog Ferdinand von Braunschweig, der berühmte Held des siebenjährigen Krieges und einer der eifrigsten Freimaurer, ließ sich aufnehmen, obgleich sonst die Fürsten eigentlich von dem Orden ausgeschlossen waren.

Bald jedoch wurden die Illuminaten, ganz wie die heutigen Lichtfreunde, ein Gegenstand der Furcht für die deutschen Regierungen, und besonders in Baiern verfolgt. Ein evangelischer Prediger, Namens Lange, wurde dort zufällig vom Blitze getroffen und erschlagen. Bei Besichtigung der Leiche fanden die Behörden in den Taschen seines Rockes mehrere wichtige Papiere, welche über die geheimen Zwecke und die Mitglieder des Ordens Aufschluß gaben. Diese Entdeckung war das Signal zu einer allgemeinen Inquisition gegen die Illuminaten, ähnlich den Demagogenverfolgungen der neueren Zeit. Zunächst wurden in Ingolstadt der dortige Stadtoberrichter Fischer, der Bibliothekar Drexel und der Repetitor Duschel ihres Amtes entsetzt und ausgewiesen; fünfzehn Studenten, darunter ein Baron von Frauenburg, relegirt, der Graf Sapoli und der Marchese Constanzo pensionirt und nach Italien verbannt; der Canonicus Hertel, der Professor Bader, die Revisionsräthe Wernher und Berger und der Priester Milbiller in München mit noch vielen Andern in’s Gefängniß geworfen, auf Weishaupt’s Kopf aber ein bedeutender Preis gesetzt, nachdem man ihn zum Tode verurtheilt hatte. Zur rechten Zeit gewarnt, war er jedoch nach Gotha entflohen, wo der freisinnige Herzog ihm ein Asyl und sogar den Hofrathstitel gab.

Ungeachtet dieser Verfolgungen verbreitete sich der Illuminatenorden mehr und mehr durch ganz Deutschland, Oesterreich, selbst in Italien; besonders in Venedig, in Frankreich und Amerika fand er zahlreiche Freunde und Anhänger. Aus seinem Schooße entwickelte sich hauptsächlich auf Anregung des Buchhändlers Joachim Göschen in Leipzig eine neue Verbindung, die unter dem Namen „deutsche Union“ besonders in Preußen große Fortschritte machte und dieselbe Tendenz verfolgte. Vorzugsweise war jedoch das „aufgeklärte Berlin“ ein geeigneter Boden für die Illuminaten; hier galten der bekannte Buchhändler Nicolai, der Freund des unsterblichen Lessing, der königliche Bibliothekar Biester und der Director des Friedrich-Werder’schen Gymnasiums, Gedicke, als die Hauptvertreter einer liberaleren Richtung. In der von ihnen herausgegebenen „Berliner Monatsschrift“ lehrten sie freilich einen nach unsern jetzigen Begriffen flachen Rationalismus, dem sich aber das Verdienst nicht absprechen läßt, manches religiöse und sociale Vorurtheil nicht ohne Erfolg bekämpft zu haben.

Zwischen Illuminaten und Rosenkreuzern herrschte natürlich damals dieselbe Feindschaft, wie zwischen den heutigen Lichtfreunden und Pietisten. Beide ließen es nicht an mehr oder minder gerechten Beschuldigungen fehlen. Die Aufklärer warfen ihren Gegnern vor, daß sie nichts Anderes, als die Verdummung des Volkes, die Knechtung der Geister, die Unterdrückung der Wissenschaft und eine allgemeine Verfinsterung bezweckten; ja, sie gingen in ihren Beschuldigungen, und, wie es scheint, nicht ohne Grund, so weit, ihnen geradezu katholische Tendenzen und ein geheimes Einverständniß mit den allgemein verpönten Jesuiten beizulegen, was besonders der bekannte Prinzenerzieher Leuchsering, den Goethe vielfach erwähnt, zu beweisen suchte.

Dagegen klagten die damaligen Pietisten, ebenso wie noch heute, über die Verderblichkeit der Aufklärung, welche dem Volke jeden Glauben raube, die Stützen des Staates untergrabe, eine freche Zügellosigkeit herbeiführe, jede Sittlichkeit zerstöre und schließlich eine allgemeine Anarchie zur Folge haben müsse.

Die mannichfachen und nicht unbedeutenden Kämpfe der Rosenkreuzer und Illuminaten dauerten bis zu der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm des Dritten fort, der mit dem Pietismus eines Wöllner und Bischofswerder nichts zu schaffen hatte, obwohl er innerlich fromm und auch christlich gläubig war. Seiner gesunden, wenn auch prosaischen Natur widerstrebte alle mystische Schwärmerei und Ueberschwänglichkeit. Auch die Illuminaten wurden durch die gewaltigen Ereignisse und hauptsächlich durch die französische Revolution beseitigt, die zum Theil von dem gleichen Streben nach Freiheit ausging, aber die unpraktischen Träume deutscher Schwärmer sehr praktisch statt durch Wort und Schrift mit Beil und Schwert den Despoten und den Völkern aufnöthigte. Es war eine neue Weltepoche, eine neue Zeit gekommen, der wir zum Theil noch angehören, aber auch in ihr wiederholt sich täglich noch der alte Kampf zwischen Licht und Finsterniß, zwischen Pietismus und Aufklärung, zwischen Glaubenszwang und Gewissensfreiheit. Nur unter andern Namen sehen wir die alten Parteien wiederkehren, aber zugleich erfüllt uns die tröstliche Ueberzeugung immer mehr und mehr, daß die Lüge und Heuchelei unterliegen, daß stets der Wahrheit und der Freiheit der Sieg bleiben muß. [1]



  1. Ausführlichere Mittheilungen über beide Orden finden die Leser in dem binnen Kurzem erscheinenden Roman: „Rosenkreuzer und Illuminaten von Max Ring.“
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 683. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_683.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)