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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

schleppt dann die ganze Last nach der Eisenbahn hinauf, und ehe noch die von Wasser gesättigten Planken wieder ganz ausgetrocknet sind, befindet sich das Fahrzeug vielleicht hundert englische Meilen weiter, um daselbst ausgeladen zu werden, oder um auf einem andern Canal eine neue Reise zu unternehmen. So hat man oft Gelegenheit, eine ganze Reihe dieser eigenthümlichen Boote zu beobachten, die auf starken Rädern ruhend der dampfenden Locomotive mit Windeseile folgen.

Für mich hatten die Fahrten auf dem Canalboot noch ihre besonderen Reize, denn es hinderte mich nichts, hier eine schöne Baumgruppe, dort einen malerischen Felsen zu skizziren, und während des Haltens, beim Wechseln der Pferde, oder beim Einnehmen solcher Passagiere, die nur eine kurze Strecke mitzufahren wünschten, irgend eine seltene Blume oder einen schillernden Falter zu erbeuten. Uebte die Hitze während des Tages auch wirklich einen störenden Einfluß, so bot der Abend dafür in doppeltem Grade seine Genüsse, und lange noch, wenn außer dem Steuermann Alles an Bord schlief, saß ich oben auf einer Bank und erfreute mich der zauberischen Ruhe, welche auf den dunkeln Landschaften lagerte. Bald im tiefen Schatten mächtiger Urwälder, bald durch mondbeleuchtete Prairien glitt das Fahrzeug leise dahin; wie umherschreitende riesenhafte Ungeheuer nahmen sich die in den Wiesen zerstreut stehenden Bäume aus, wenn sie in der Ferne sich scheinbar an einander vorbeischoben; den dichten Forst dagegen belebten zahllose kleine Leuchtkäfer, die in schnellem Fluge tausendfache bläuliche Feuerlinien zwischen den schwarzen Laubmassen zeichneten. Das Wasser plätscherte vor dem Bug, gedämpft erklang der Hufschlag der trabenden Pferde, melancholisch ertönte der Ruf des Ziegenmelkers; aber aus der Ferne vernahm ich, je nachdem es durch Wildnisse oder an Ansiedlungen vorbei ging, das Bellen wachsamer Hofhunde oder das Geheul einsam jagender Wölfe.




Aerztliche Strafpredigten.
Bei- und Nachträge zu Knigge’s „Umgang mit Menschen.“

Was das „Gesund- und Krankheitliche“, das „Arzt- und Arzneiliche“ betrifft, da benehmen sich oft auch Gebildete recht ungebildet und zwar ebenso gegen ihre Aerzte, wie gegen ihre anderen Mitmenschen, obschon sie gegen sich selbst das rücksichtsvollste Benehmen in dieser Hinsicht von Andern beanspruchen und die gesellschaftlichen Formen vollkommen zu beherrschen meinen. Sie sollen in diesen Zeilen einmal tüchtig antikniggisch „geknigget“ werden.

I. Urtheile über ärztliches Wissen und Handeln zu fällen, unterstehen sich in der Regel Personen, die keine Idee von den in der Natur und im menschlichen Körper herrschenden Gesetzen haben. Sie sind bei Krankheiten Anderer gleich mit den Redensarten bei der Hand: „ja, der Kranke ist ganz falsch behandelt worden!“ oder: „hätte man nur Blutegel gesetzt und zur Ader gelassen!“ oder: „wäre nur gleich nach dem Herrn Dr. A. geschickt worden, denn der Herr Dr. B. hat die Sache vom Anfange an viel zu leicht genommen!“ oder: „in dem Falle würde gewiß die Homöopathie geholfen haben,“ u. s. f. – Um nun beiläufig auch wieder einmal auf die homöopathische Heilkünstelei zu kommen, so gibt diese die meiste Veranlassung zu albernen Behauptungen und Klugthuereien. Jeder Hans Toffel, der kaum das Wort „Homöopathie“ richtig auszusprechen vermag, maßt sich an, über den Werth oder Unwerth derselben zu urtheilen oder wohl gar selbst an Thier und Mensch herum zu homöopathisiren. Ja sogar den Verfasser, der doch die homöopathische Wirthschaft aus dem Fundamente kennt, erfrechen sich Hahnemaniaci, – Leute, die von Natur- und Heilwissenschaft weder Kix noch Kax verstehen und aberglauben, daß, wenn ein homöopathisch behandelter Jemand gesund wird, jene Behandlung schuld daran sei, – über die Wichtigkeit der Homöopathie aufklären oder gar wegen seiner Beleuchtung dieser Charlatanerie tadeln zu wollen. – Wer ein wirklich gebildeter und gesitteter Mensch sein will, der lasse hinführo sein voreiliges Urtheilen über Aerzte wie über Heilmethoden und behalte seine medicinische Naseweisheit für sich; er rede nur, wenn er in der Heilkunde gehörig zu Hause ist. Es ist und bleibt stets eine unartige Dreistigkeit und Unbescheidenheit, über Dinge zu entscheiden, die man nicht kennt und versteht. Man lasse sich lieber darüber von Sachverständigen belehren; das zeugt von Bildung und Gesittung.

II. Das Benehmen gegen den Arzt ist sehr oft von Seite der Patienten und ihrer Angehörigen ein solch’ ungebührliches, daß wir im Interesse der Arztheit nicht umhin können, uns darüber einmal gehörig auszusprechen. Ueberhaupt scheinen Viele den Arzt den Dienstleuten zuzuzählen, die sie nach Gefallen maltraitiren können. – a) Zuvörderst ist beim Kranken der Mangel an Vertrauen und Offenherzigkeit sehr tadelnswerth. Wir sprechen hier nicht etwa vom Verschweigen solcher Thatsachen, die auf den jeweiligen Krankheitsfall Bezug haben, denn das ist nicht blos tadelnswerth, sondern geradezu unverzeihlich, einfältig und nicht selten gefährlich. Es ist hier das heimliche und heimtückische Gebahren des Patienten hinter dem Rücken des Arztes gemeint. Anstatt nämlich demselben offen und ehrlich zu erklären, daß er einmal andere Helfer und Hülfsmittel in Gebrauch ziehen möchte, läßt er sich ganz ruhig von seinem Arzte tagtäglich besuchen, die Zunge besehen, den Puls befühlen und Recepte verschreiben, während er doch in der That den Rath eines andern befolgt. Ja, wenn sich ein Kranker ohne Vorwissen seines Arztes an einen Charlatan und Wunderdoctor (z. B. in Cöthen, Horburg, Goslar u. s. w.) wendet, dann ist’s allenfalls verzeihlich, wenn er’s verschweigt, denn einer solchen That muß sich allerdings jeder Gebildete schämen! – b) Eine andere Rücksichtslosigkeit, unter welcher der Arzt nicht selten zu leiden hat, betrifft das Bestellen desselben, was freilich bisweilen nur von den dämligen Boten abhängt. Daß bei plötzlich eintretenden und außergewöhnlichen Krankheitserscheinungen das sofortige oder doch baldige Erscheinen des Arztes am Krankenbette gewünscht und sicherlich vom Arzte auch nicht abgeschlagen wird, versteht sich ganz von selbst. Daß aber bei schon längern oder doch einige Zeit bestehenden und nicht eben verschlimmerten Leiden der Arzt zum eiligen Besuch aufgefordert, wohl gar dabei aus seiner Ruhe- und Erholungsstunde, manchmal sogar aus dem Schlafe gerissen wird, das ist unverschämt. Ja, manche Patienten, die sich recht gut selbst zum Arzt hin bemühen könnten, verlangen sogar dessen Erscheinen nach Viertel- und halben Stunden, gerade als ob der Arzt ihrer paar Groschen wegen auf ihre Befehle lauerte. – c) Ebenso verstößt es sehr gegen die Gesetze der Humanität und Artigkeit, wenn der Patient den besuchenden Arzt ohne dringenden Grund lange warten und antichambriren läßt. – d) Geradezu als unzurechnungsfähig und deshalb freilich als entschuldigt muß ein Kranker angesehen werden, wenn er darum seinen Arzt kurz und mürrisch, überhaupt unartig behandelt, wenn das Leiden nicht seinem Wunsche gemäß schnell genug weicht. Findet eine solche Behandlung aber auch von Seiten der nichtkranken Angehörigen statt, dann verdienen diese ihrer Beschränktheit und Ungezogenheit wegen eine derbe Zurechtweisung. – e) Sodann ist es ganz ungehörig, wenn Kranke oder deren Angehörige dem Arzte Vorschläge oder gar Vorschriften in Bezug auf die Behandlung machen. Das sollte doch jeder Verständige selbst fühlen, daß es für den Arzt äußerst beleidigend und ärgerlich ist, wenn er im Krankenzimmer von Laien hören muß: „Wäre nicht ein Dampfbad gut?“ – „Sollten nicht vielleicht Blutegel helfen?“ – „Verschreiben Sie doch etwas Magen- und Nervenstärkendes!“ – „Was halten Sie vom Schwitzen?“ – „Wollen Sie nicht einmal kalte Abreibungen probiren?“ – „Dürfte hier nicht der Magnetismus nützen?“ – In Berserkerwuth möchte der Arzt oft über das Gebahren der kranken und gesunden Laien gerathen, und doch soll er stets liebenswürdig, sanft und geduldig, theilnehmend und aufopfernd sein. Diese Selbstbeherrschung zehrt an der Leber und nagt am Herzen.

III. Eine häufige, nicht selten gefahrbringende Unsitte der Laien ist es, jedem Leidenden irgend Etwas, was Hansen oder Kunzen in einem ähnlichen Falle einmal geholfen haben soll, zu empfehlen oder gar zu verabreichen. Solche unberufene

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 686. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_686.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)