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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 45. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Husar und Pandur.[1]

Erzählung von Levin Schücking.


1.

In der Hofburg zu Wien, in ihrem Arbeitscabinet, saß die Kaiserin Maria Theresia in dem schweren, auf vergoldeten Löwenfüßen ruhenden Fauteuil, der auf einer Erhöhung in der tiefen Fensternische stand. Geist, Lebhaftigkeit und Wohlwollen waren die Eigenschaften, die aus den noch immer so schönen Zügen der tief in den Vierzigen stehenden Frau sprachen. Heute jedoch war der Ausdruck des mütterlichen Wohlwollens verdrängt durch den einer gewissen strengen Entschlossenheit. Damit warf sie einen kleinen Stoß von Papieren, worin sie eine Weile aufmerksam gelesen hatte, auf ein vor ihr stehendes Tabouret.

„Und jetzt ist’s aus – ganz aus,“ sagte sie dabei – „jetzt duld’ ich’s nimmer! Eine Schande wär’s, und vor meinem Herrgott könnt’ ich’s nicht verantworten, wenn ich ihm nicht ein End’ machte!“

Diese Worte waren an einen jungen Mann in grüner Uniform gerichtet, der vor ihr stand, sich leicht an den offenen Fensterflügel lehnend, denn die Kaiserin saß am geöffneten Fenster, durch das eine kalte Frühjahrsluft hereinströmte; und der junge Mann, dessen hochrother Teint eben nicht andeutete, daß er an Blutleere leide, hatte dennoch sich in seine Uniform enge zugeknöpft und gab alle Symptome, daß ihm fröstelte, zu erkennen. Sein Gesicht, seine hohe Stirn, die stark gebogene Nase, und die von der Jagellonischen Ahnfrau Cimburga ererbte Lippe verrieth, daß er dem Geschlechte Habsburgs angehöre.

Der junge Mann war Joseph II., erwählter römischer König.

„Wenn die gnädigste Frau Mutter nur betrachten wollte, von wem die Anklagen ausgehen,“ erwiderte er in beschwichtigendem Tone. „Die Denuncianten sind beinahe sammt und sonders ehemalige Officiere, die der Oberst von der Trenck, weil sie nichtsnutzige Menschen waren, cassirt und von seinem Corps fortgejagt hat.“

„Nichtsnutzige Menschen, sagt der Herr Sohn, und ich sag’,“ fiel Maria Theresia eifrig ein – „es sind auch Ehrenmänner darunter, die den Gräuel nicht mehr ansehen konnten!“

König Joseph zog die Achseln.

„Man muß einen Mann, der unserem Hause so viel Dienste geleistet hat und noch so große leisten kann …“

„Davor behüt’ mich mein allmächtiger Schöpfer, daß ich in eine Lage komme, wo ich wieder solche Werkzeuge gebrauchen muß,“ unterbrach ihn die Kaiserin, – „und dieser Türke mir seine entsetzlichen Dienste leistet … ich weiß wohl, daß der Herr Sohn sich andere Gedanken macht – aber so lange meine Augen offen stehen, fängt Oesterreich keinen Krieg wieder an!“

„Dann aber wird die gnädigste Frau Mutter berücksichtigen, daß es uns den Vorwurf der Undankbarkeit zuziehen würde, einen Menschen, den wir nicht mehr gebrauchen können und wollen, zu verfolgen und zu beseitigen!“

„Das rührt mich Alles nicht,“ fiel die Kaiserin ein. „Les’ der Herr Sohn die Eingaben selber und dann sprech’ Er: soll noch Gerechtigkeit und Zucht im Lande sein oder nicht?“

„Der Bericht ist vom Hofkriegsrath Weber und von dem General Löwenwalde gemacht – sie sind Beide des Panduren-Trenck Widersacher, und ich fürchte …“

„Was fürchtet der Herr Sohn?“

„Daß in ihren Augen die größten Verbrechen des Obersten die Millionen sind, welche er zusammengebeutet hat, ohne den Federn der Herren vom Hofkriegsrath zu erlauben, auch nur die mäßigsten Procente für sich von den vollen Scheffeln abzustreichen …“

„Verunglimpf’ mir der Herr Sohn die Herren nicht, die ihre Pflicht thun; und wenn’s auch wäre – wir sind alle Menschen – so ist’s eben meine Pflicht, streng die Sache untersuchen zu lassen. Wenn sich der Protégé des Herrn Sohnes dann weißbrennen kann, mich soll’s freuen! Aber ich glaub’s halt nicht. Es ist zu viel, was ihm schuld gegeben wird, und himmelschreiende Dinge sind’s … daß er ein Atheist und ein Freigeist ist, dem auf Gottes Welt nichts heilig …“

„Als seine Kaiserin, seine Ehre und sein Wort als Soldat!“ unterbrach sie König Joseph.

„Auch das schwerlich – aber,“ fuhr Maria Theresia fort, „ich will’s ihm nachgesehen haben, weil er eine alte Kriegsgurgel ist, die nicht weiß, was sie thut: aber in den Papieren da les’ der Herr Sohn – les’ Er die Geschichte von dem armen brustkranken Teufel von Soldaten, der aus dem Spital heraus klagt, der Trenck habe ihm tausend Stockschläge geben lassen, weil er eine Lieferung, die erpreßt werden sollte, aus Mitleid nicht eingetrieben hätte; les’ er die abscheuliche Geschichte von der Müllerstochter in Böhmen, wie der Trenck mit der umgegangen ist – und dann sag Er mir, wenn’s dem Herrn Sohn gefällt, ob das Alles auf sich beruhen soll oder nicht – ob eine christliche und gottesfürchtige Obrigkeit einen Menschen ungestraft lassen soll, den der Großtürk nicht so hausen ließe …!“

„Ew. Majestät,“ fiel Joseph ein, „haben vollständig Recht,

  1. Vergl. die Erzählungen des Verfassers in Nr. 19-22: „In den Casematten von Magdeburg“ und in Nr. 36-39: „Der Arcier“.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 705. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_705.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2020)