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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

das er auf die Bitte Charlottens zur Hochzeit ihrer Pflegeschwester Henriette schrieb. Die Mutter dieses Mädchens, die Frau des Feldscheerers Sturm aus Sangerhausen, war im Jahre 1752 ohne ihren Mann, ganz verlassen, nach Rohr bei Meiningen gekommen und da am 23. Juni von einer Tochter entbunden worden, welche Frau v. Wolzogen, damals noch Freifräulein Marschalk von Ostheim, aus der Taufe hob und später, der großen Noth der Mutter wegen, ganz zu sich nahm und erziehen ließ. Am 3. Febr. 1783 nun wurde dieses Mädchen mit dem Verwalter Schmidt in Walldorf getraut, und Schiller schrieb für sie das lange „Hochzeitsgedicht“, das er leider in seine Werke nicht aufgenommen hat, was um so mehr zu bedauern ist, da man keine lyrischen Erzeugnisse von ihm gerade aus dieser Zeit hat. Darin feiert er nicht blos die Liebe:

Wie schön ist doch das Band der Liebe,
Sie knüpft uns an das Weltgetriebe,
Auf ewig an den Schöpfer an.
Wenn Augen sich in Augen stehlen,
Mit Thränen Thränen sich vermählen,
Ist schon der süße Bund gethan.

Man erkennt auch in anderer Weise darin den Dichter von „Kabale und Liebe“, z. B.:

Gedenktafel am Schiller-Asyl in Bauerbach.

Wie mühsam sucht durch Rang und Ahnen
Die leidende Natur sich Bahnen;
Gefühl erstickt die Ziererei.
Oft drücken ja gleich Felsen bürden
Mit Seelenruh’ bezahlte Würden
Der Großen kleines Herz entzwei.

Dein Herz, das noch kein Neid getadelt.
Dein reines Herz hat dich geadelt,
Und Ehrfurcht zwingt die Tugend ab.
Ich fliege Pracht und Hof vorüber,
Bei einer Seele steh’ ich lieber,
Der die Empfindung Ahnen gab.

Dann unmittelbar in Bezug auf Frau v. Wolzogen:

Die Freundin, die dir Gott gegeben,
Ihr Adelsbrief ist – schönes Leben.
Den hass’ ich, den sie mitgebracht.

Leider gingen die Worte des Dichters:

So gehe denn zum Traualtare,
Die Liebe zeigt dir goldne Jahre,

nicht in Erfüllung, denn Henriette hatte schwere Zeiten der Noth und des Kummers zu ertragen. Ihr Mann verlor seine Stelle als Verwalter und starb, kümmerlich von einem kleinen Kramladen sich nährend, schon drei Jahre nach der Hochzeit. Ihr jüngerer, erst nach des Vaters Tode geborener Sohn, fiel Werbern in die Hände und konnte mit Mühe von einem dänischen Kriegsschiffe wieder losgekauft werden. Henriette selbst kam später, ganz verarmt, in das von den Herren von Marschalk gegründete Hospital und starb da am 3. Februar 1816.

In „Kabale und Liebe“ hat Schiller übrigens Manches benutzt, was während seines Aufenthaltes in Bauerbach in der Nähe vorging. So lernte er einen Kammerherrn von Stein in Nordheim kennen, der mit großem Aufwande lebte, sich gern „Fürst der Rhön“ nennen ließ und dem Kaiser das Grafendiplom mit der Bemerkung zurückgeschickt hatte, er wolle lieber ein alter Freiherr statt ein neuer Graf sein. Dieser Freiherr von Stein war Onkel und Vormund der beiden Schwestern Eleonore und Charlotte v. Marschalk-Ostheim. Beide verkuppelte er. Eleonore, ein junges blühendes Mädchen, mußte zu Ende des Jahres 1782, obgleich sie noch um ihren Bruder Fritz trauerte, der in Göttingen im Duell gefallen war, den alten weimarischen Kammer-Präsidenten v. Kalb heirathen, denselben, von welchem Goethe sagte, er habe sich als Geschäftsmann mittelmäßig, als politischer Mensch schlecht und als Mensch abscheulich benommen. Die jüngene Schwester Charlotte, mit der Schiller später in ein sehr vertrautes Verhältniß treten sollte, gab der Vormund 1783 an einen Officier v. Kalb. Welchen Eindruck solche Verkuppelung auf Schiller machte, sieht man daraus, daß er in seinem Stück Ferdinand ein Fräulein v. Ostheim antragen läßt, wenn wir auch nicht annehmen wollen, daß sein Hofmarschall v. Kalb den Namen von jenem Kammerpräsidenten erhielt. Selbst die Worte des Geigers Miller: „Der Leibschneider … das hat mir Gott eingeblasen – es kann mir nicht fehlen beim Herzog,“ sollen aus dem Leben genommen sein. Der Pfarrer Schmidt in Rohr nämlich hatte einen Bruder, der Leibschneider des Herzogs in Meiningen war. Wenn nun die Bauern in Rohr nicht gehorchen wollten, pflegte der Pfarrer zu sagen: „ich gehe zu meinem Bruder, dem Leibschneider. Es kann mir nicht fehlen beim Herzog.“ Diese Redensart war in der ganzen Umgegend fast sprichwörtlich geworden, und Schiller griff sie auf.

Die für ihn und seine Familie wichtigste Bekanntschaft war die des Bibliothekar Reinwald, welchen er am 13. Januar in Meiningen durch die Frau v. Wolzogen kennen lernte, die er dahin begleitet hatte. Reinwald war gerade noch einmal so alt als Schiller, ein Mann von Geist und vielen Kenntnissen, aber hypochondrisch und verbittert, weil er viele Jahre bei äußerst geringer Besoldung als Kanzlist hatte arbeiten müssen. Schiller schloß sich dem für alles Schöne und Gute leicht begeisterten Mann bald innig an, besprach sich mit ihm über allerlei Angelegenheiten, entdeckte ihm seinen wahren Namen und erhielt von ihm mancherlei Bücher, die ihm durch den strengen Winter leichter durchhalfen, namentlich solche, die er zu den Vorstudien für die neue dramatische Arbeit bedurfte, für welche er sich entschied, die Geschichte des Don Carlos. Die Hauptfolge aber, welche die Bekanntschaft der beiden Männer hatte, war die spätere Verheirathung Reinwald’s mit Schiller’s ällester Schwester Christophine. Reinwald lernte diese Schwester seines Freundes aus einem Briefe kennen, den sie an den Bruder geschrieben und in dem sie ihm in sehr verständiger Weise gute Lehren über Sparsamkeit etc. gegeben hatte. Auf Reinwald machte dieser Brief einen so tiefen Eindruck, daß er sich sofort hinsetzte und an das Mädchen in folgender Weise schrieb:

„Mademoiselle, ein besonderer Zufall macht mich so frei, an die Schwester meines Freundes diese Zeilen zu schreiben. Unter etlichen Papieren, die Herr Dr. Schiller nach einem Besuche bei mir hat liegen lassen, fand ich einen Brief von Ihnen. Es war wohl nicht blos Sorglosigkeit daran Schuld, sondern auch Vertrauen, denn ich glaube, daß er mich liebt. Ich fand in diesem Briefe, den ich gelesen und nochmals gelesen und abgeschrieben habe, so viel reines Denken und so viel herzliche, besorgte Wohlmeinung gegen Ihren Herrn Bruder, daß ich mich gefreut habe und schäme mich nicht, jeden Gedanken, der mir zu seiner Ausbildung und Glückseligkeit einfällt, mit Ihnen zu theilen etc.“

Nach einiger Zeit machte Reinwald eine Reise nach Schwaben, suchte Schiller’s Eltern auf, sah Christophine und bot ihr seine Hand an, die das verständige Mädchen auch annahm.

In den Januar des Jahres 1783 fällt außer dem schon oben erwähnten Hochzeitsgedichte ein politisch-satirisches Bänkelsängerlied von Schiller, zu dessen Verständniß anzuführen ist, daß der Herzog Georg von Meiningen in Folge einer Erkältung auf der Jagd erkrankt war, und mehrere Tage lebensgefährlich daniederlag. An

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 734. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_734.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)