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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

selbigen Tage, unser Herr war eben erst zur Regierung gekommen, hier ein festlicher Ball veranstaltet zu Ehren seines Geburtstages. – „Gottlieb,“ sagte meine Mutter zu mir, „Gottlieb, jetzt gehst Du hinauf auf den Rauhenstein und ladest die gnädigen Fräulein von Schleppengrill auf den Ball.“ – Dazumal wohnte nämlich auf dem Rauhenstein ein alter lahmer Baron von Schleppengrill mit Familie, sie sind jetzt alle ausgestorben; an wen ist wohl das Gut verkauft?“

„An einen Herrn Oswald, glaub’ ich,“ antwortete Eugenie, die es sehr wohl wußte, zögernd und hocherröthend.

„Also die Fräulein von Schleppengrill sollt’ ich holen,“ nahm der Onkel seinen Faden wieder auf. „„Frau Mutter, das thu’ ich nicht,“ sagt’ ich. – Das braucht Ihr nicht nachzumachen, Buben, es war das ein Ausnahmsfall. – „Das thu’ ich nicht, die Fräulein sind alt und wüst, und die ganze Familie hat mich immer hochmüthig behandelt.“ – „Ei was, jetzt werden sie höflich sein,“ meinte meine Mutter, „der alte Herr hat von Deiner Preisarbeit gehört, und daß Du so geschickt seiest, er hat selber den Vater nach Dir gefragt, gib nur Acht, sie sind diesmal gewiß artig.“ – „Ist mir eins,“ sagte ich, „jetzt will ich erst nicht, warum sind sie nicht vorher höflich gewesen, – seien Sie nur ruhig, Mama,“ damals war’s noch nicht der Brauch, daß man die Eltern ohne Weiteres duzte, ist erst mit der Revolution aufgekommen, – „seien Sie nur ruhig,“ sagte ich, „ich will schon eine Tänzerin bringen.“ –

„So hetzt’ ich denn meines Vaters Amtssubstituten hinüber auf den Rauhenstein, – dem war’s noch eine Ehre, und ich wußte, wenn die Fräulein gern tanzen wollten, so gingen sie auch mit dem. Ich aber ging hinaus in die Vorstadt, Hagenau zu.

„In der Vorstadt da wohnte in einem kleinen Häuschen der Herr Vetter Extraprobator. Wie wir eigentlich verwandt gewesen sind, weiß ich so genau nicht, ich glaube, seine Mutter war ein zugebrachtes Kind aus der ersten Ehe meiner nachmaligen Stiefgroßmutter; – genug, man hieß ihn eben Herr Vetter. Der Herr Vetter war von jeher etwas schwach im Geiste gewesen, seit dem Nervenfieber, wie seine Frau behauptete, war er immer noch schwächer geworden, und lebte nun von einem kleinen Ruhegehalt allhier, wo es damals wohlfeil zu leben war und wo sie den Genuß eines Bürgerstückchens hatten.

„Die Frau Base, des Herrn Vetters Frau, war eine grundgescheidte Frau, sie erhielt ihren Mann in Ehren, so dumm er war, und machte ihm seine alten Tage behaglich mit sparsamen Mitteln. Ihr einzig Kind, die Gertrud, war fort gewesen als Hausjungfer, im Dienen, sagte man dazumal noch, heutzutage würde man sagen in einer Stelle zur „Unterstützung der Hausfrau“. – Wie dem auch sei, die Gertrud war mir und auch andern Leuten so respectabel, wie eine Königin. Daheim bei uns hatte gar Niemand an sie gedacht, da die Frau Base in noblem Stolz sich immer zurückhielt von den vermöglichen Verwandten. Ich aber dachte an sie, ich hatte sie schon etlichemal im Vorbeigehen gesehen, seit ich in der Vacanz war.

„Hinter des Herrn Vetters Hause war ein ganz kleines Gärtchen, so schön gepflegt und erhalten, wie ein Paradiesgärtchen, es blühte da prächtig zusammen mit späten Nelken, Levkoy und Herbstrosen. Gertrud aber ruhte nicht in einer Geisblattlaube, wie’s in den Romanen der Brauch ist, nein, sie stand an einem Waschzuber, den sie, weil’s im Häuschen so eng war, herausgestellt hatte, in einem allen Barchentkleidchen und wusch. – Das that aber nichts zur Sache, – nichts für ungut, Mädchen, aber so Eine kommt nur alle hundert Jahr einmal auf die Welt, – eine prächtige Gestalt, wie eine Herzogin, solche wundervolle Haare, Augen wie Sonnen, und Gott weiß, wie sie’s angegriffen hat, daß sie mit all dieser hellen Pracht von Schönheit doch so sanft und so demüthig ausgesehen hat!

„Sie wandte sich um, als sie mich kommen hörte, und blickte mich an. – So kann Einen Niemand mehr grüßen auf dieser Welt, wie sie. „Gertrud,“ sagte ich, „heute Abend ist Königsball, und Du mußt meine Ballkönigin werden.“ – „Ist’s Dein Ernst?“ fragte sie und gab sich gar keine Mühe, ihre helle Freude zu verbergen. Das arme Kind war achtzehn Jahre alt und hatte noch selten erfahren dürfen, daß sie jung war. Mit der Mutter hatten wir einen schweren Stand, bis sie’s erlaubte; „ich zweifle wirklich,“ sagte sie endlich nach ihrer klugen Weise, „ob’s der Papa zugibt, er ist so eigen in diesen Sachen.“ Der Papa, du lieber Gott, der war froh, wenn man ihn in Ruhe ließ. Als ich ihm den Fall vortrug, sagte er sehr bedächtig: „ich habe über die Sache bereits der Mutter meine Ansicht mitgetheilt,“ – nun kurz und gut, sie mußten nachgeben.“

„Aber, Onkel, wie war’s möglich, daß die Gertrud noch einen Ballanzug herrichten konnte?“

„Das war ihre Sache; ich sage Euch, wenn Ihr heut in dem Euren nur den zehnten Theil so schön ausseht, wie sie ausgesehen, so dürft Ihr Gott danken.

„Kam also der Abend; ich ließ die Mama auf dem Glauben, daß ich die Fräulein Schleppengrill abhole, und putzte mich.“

„Recht schön, Onkel?“

„Will’s meinen; anders als die Bursche heutzutage, die sich nicht entblöden, im Ueberrock zu tanzen; da hätte zu meiner Zeit ein Frauenzimmer mehr auf sich gehalten, als daß sie mit so Einem getanzt hätte. Milchweiße, seidene Strümpfe hatte ich an und kurze Suwarowstiefeln mit rothen Kappen und kurze Hosen von echtem Nanking; Eure Bursche jetzt, die Waden haben wie eine kranke Lerche, die können freilich so etwas nicht riskiren – und eine gestickte Weste nebst einem blauen Frack vom feinsten Tuch, die Elle hatte neun Gulden gekostet, und ich hatte mir ihn selbst angeschafft von dem Preis.“

„Aber die Gertrud?“

„Nun, ein weißes Kleid brauchte damals keinen solchen Umstand und war nicht so weit wie ein Kirchenrock; aber schön gestickt war das Kleid der Gertrud von ihrer eignen fleißigen Hand, sie hatte es mit grünen Epheublättern garnirt, und grüne Epheublätter trug sie in ihren prächtigen Haaren, die griechisch aufgewunden waren, dazwischen eine echte Perlenschnur, und Perlen um den Hals – so ein Schmuckstück fand sich damals in jeder honnetten bürgerlichen Familie – es kann gar nichts Schöneres mehr geben als diese Jungfrau …“ Der gute Onkel mußte wieder eine Prise nehmen und konnte lange nicht mehr fortfahren; er bemerkte auch nicht, wie bei seiner langen Erzählung mit den vielen eingeschalteten Sätzen da und dort Eins von seinen jungen Zuhörern sich fortgeschlichen, nur Eugenie hörte ihm noch mit wahrem, lebendigem Interesse zu.

„Meine Eltern und Schwestern waren schon im Saal,“ hob er endlich wieder an, „auch die Schleppengrillen mit dem Substituten waren bereits angerückt in unmäßigem Staat mit Schäferhütchen und Turbanen – wie aber die Thür aufging und ich hereintrat mit meiner Dame in all der hellen Pracht ihrer Jugend und Schönheit, da hättet Ihr sehen sollen, wie sie aufschauten!“

„Wie in dem Märchen von der Aschenbrödel, Onkel?“

„Meinetwegen ja, – „ist das des Extraprobators Gertrud?“ – fragte Eins das Andere. Ja, die war’s! Und wir tanzten Menuet und Ecossaise, nichts Schöneres, und die Mama hatte auch nichts mehr dagegen …“

Eugenie bemerkte jetzt, daß Jeannette sich weggeschlichen, um den Anfang ihrer Toilette zu machen; da trat die Mutter mit sehr ernstem, trübem Gesicht herein, das nicht aussah, wie eine Ballvorbereitung. „Es ist keine Hoffnung mehr,“ sagte sie, als sie den Onkel kurz und herzlich begrüßt hatte, und brach in Thränen aus, „es kann heute Nacht noch zu Ende gehen; die armen Kindlein, der arme Mann!“

„O, ist’s möglich?“ sagte bestürzt Eugenie, deren Gedanken eben wieder von dem Ball aus alten Tagen zu dem heutigen Balle gewandert waren, und die so ziemlich der kranken Frau vergessen hatte.

„Es ist gewiß,“ sagte die Mutter traurig, „ich werde die Nacht bei ihr wachen.“ In dem Augenblick kamen Hedwig und Jeannette, um mit Vorsicht den Ballstaat zu holen, die Mutter theilte ihnen den traurigen Stand der Krankheit mit. „Daß von uns aus nicht die Rede sein kann auf einen Ball zu gehen, so lang eine Hausgenossin in den letzten Zügen liegt, werdet ihr natürlich finden,“ fuhr sie fort. „Frau Lenz war so freundlich mir anzubieten, daß sie Euch mitnehmen wolle; ich stelle es Euch frei; von Dir, Eugenie, nehme ich an, daß Du selbst nicht daran denkst zu gehen.“

„Ich würde sehr gern zurückstehen, Tante,“ versicherte Jeannette geläufig, „ich kann Dich versichern, die Freude ist mir eigentlich ganz genommen – nur denke ich – da ich die Frau so garnicht näher kenne – es – es könnte sie alteriren, wenn sie zufällig erfahren sollte, daß sie uns um das Vergnügen gebracht hat …“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 739. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_739.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2022)