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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

was ich jetzt thun kann, ist, so lange ich darin stecke, den größtmöglichsten Nutzen daraus zu ziehen.

Ueber das Land selber, in dem ich mich befinde, kann ich allerdings noch nicht urtheilen, denn wir wohnen hier gerade unter einer Dachtraufe. Das soll mich aber nicht abhalten, Dir wenigstens den kleinen Ort so gut als möglich zu beschreiben, und jetzt, wo die Eindrücke noch frisch sind, geht das am Besten.

San Lorenzo liegt am Pailon, etwa 1° 30′ nördl. Breite und circa 78° westl. Länge von Greenwich – denn ich bin einmal nicht mehr gesonnen, mich dem alten deutschen und faulen Schlendrian zu fügen und nach Ferro zu rechnen, das nur noch die deutschen Kartenkünstler kennen. Soweit die Länge und Breite. Sonst liegt San Lorenzo in der Mündung eines kleinen Stromes, der in seinen Biegungen die verschiedensten Namen trägt; die Wasser desselben kommen vom Chimborasso, von Quito und überhaupt den westlichen Hängen der Cordilleren herunter, und es hat den reichsten und fruchtbarsten Boden um sich her, den man sich auf der Welt nur denken kann. Es liegt aber an der Grenze der Manglarensümpfe die seine es vom Meere trennenden Inseln füllen, und am Rand erhöhten ebenen Bodens, der sich nach den nicht sehr fernen Bergen hinüber zieht und mit einer Vegetation bedeckt ist, durch die man weder hinkriechen, noch die man beschreiben kann.

Hier mögen die Leute herkommen, die Urwald zu sehen wünschen oder gar eine Sehnsucht haben im Urwald „spazieren“ zu gehen. Ich bin doch wahrhaftig schon in mancher Wildniß umhergewandert, man kann die Romantik aber auch übertreiben, und so etwas von Wurzeln, Stämmen, Dornen, Schlingpflanzen, Sumpflöchern und Lagunen ist mir noch nicht leicht vorgekommen.

Mein Wohnhaus in San Lorenzo.

Ganz anders soll sich das freilich in den Hügeln und Bergen gestalten, wo der trockene Boden dieser Vegetation schon nicht solchen Vorschub leistet. Außerdem ist jetzt auch gerade das Ende der Regenzeit – wenn ich auch noch kein Ende davon sehen kann – und der Boden deshalb getränkt mit Nässe, die Luft so feucht, daß ich meine Büchse gar nicht geladen unter Dach halten kann, sondern zweimal den Tag mit Oel auswischen muß, um den gröbsten Rost herauszuhalten.

Doch ich wollte ja nur von der Stadt und ihren Bewohnern reden, und die ist interessant genug, eine halbe Stunde einmal darauf zu verwenden – will ich selber doch meinen Aufenthalt hier für Monate nehmen.

San Lorenzo hat etwa 18 Häuser auf einem Plan zerstreut, der mit mäßiger Eintheilung recht gut zweihundert tragen könnte. Dabei ist der Zwischenraum aber keineswegs mit Gärten, sondern nur mit Kühen, Hunden, Schweinen, Hühnern und halb oder ganz nackten Kindern ausgefüllt, die sämmtlich rücksichtslos durch den nassen Boden herüber und hinüber waten. Einzelne Fruchtbäume stehen allerdings hier, besonders viele mit delicaten Früchten bedeckte Orangen. Sonst ist aber nur eine einzige tragende Cocospalme auf dem ganzen Platze zu finden, weil die Leute zu lästerlich faul sind, selbst um eine Nuß in die Erde zu graben; keine Banane wächst dazu um die Häuser, denn dazu müßten sie den Platz einzäunen, die Schweine und Kühe davon abzuhalten, und doch leben die Bewohner fast ausschließlich von Bananen, die hier, noch nicht völlig reif, gebacken zu täglichem Brod, Gemüse und Fleisch verwendet werden.

Die Häuser sind so einfach wie dem Klima angemessen gebaut und stehen alle auf sechs bis acht oder zwölf etwa zehn Fuß hohen Pfosten, und Bambusleitern oder noch viel häufiger nur eingekerbte Stämme, die an dem schwankenden Fußboden lehnen, dienen Menschen, Kindern und Hunden zur Treppe die bel étage zu erreichen. Es ist besonders erstaunlich, welche Geschicklichkeit die Hunde entwickeln, an diesen Beförderungsmitteln nicht allein herauf, sondern auch wieder herunter zu laufen. Ich würde sagen, sie klettern wie die Katzen, wenn eine einzige Katze im ganzen Ort wäre, einen solchen Vergleich zu gestatten. Die menschlichen Bewohner sprechen Spanisch, lassen sich aber sonst von jeder nur erdenklichen Race ableiten, und hätte jeder Farbenton auch einen Klang, so könnte das volltönendste Instrument daraus zusammengestellt werden. Jedenfalls trägt die Kaukasische, Aethiopische und Amerikanische Race die Urschuld an der jetzigen Bevölkerung. Doch auf die Bewohner kommen wir später zurück, und wollen uns jetzt erst einmal eine der Wohnungen etwas näher betrachten.

Vorsichtig auf in den Schlamm festgetretenen Stücken Bambus und Holz, Cocos- und Calebassenschalen und Rindenstreifen haben wir die Treppe – d. h. den eingekerbten Baumstamm erreicht, und singen nun erst unten Ave Maria oder etwas Aehnliches, worauf von oben die Antwort purissima oder eine andere Gebetformel folgt, was theils als Gruß, theils als Erlaubniß gilt, den Platz zu betreten.

Mit der Erlaubniß sind wir aber noch nicht oben, denn der Pfahl ist nichtswürdig schlüpfrig und liegt nicht einmal fest, so daß schon eine Art Turner dazu gehört, glücklich hinauf zu kommen. Oben angelangt steigen wir nun zuerst über zwei oder drei kleine Kinder hinweg, die nackt und ungewaschen überall herum liegen, und hier kann ich nicht umhin zu bemerken, daß ich in meinem ganzen Leben nirgends – selbst nicht im sächsischen Erzgebirge – mehr kleine Kinder gesehen habe als in San Lorenzo. Weniger als fünf findet man in keinem Haus, und das Wunderbare dabei ist, daß sie alle von einem Alter scheinen. Wenn das so fort geht, nicht mehr als die übliche Zahl stirbt, und keine bedeutende Auswanderung stattfindet, so kann man recht gut berechnen, daß in hundert Jahren San Lorenzo etwa 250,000 Einwohner zählen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 745. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_745.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)