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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Ludwig lag in Bann und Interdict, und die Kirche wurde auf dem Gebiete und unter dem Schutze eines geistlichen Fürsten erbaut. Es durfte also öffentlich nicht davon gesprochen werden.

Heideloff hat in einer Broschüre die nähern Umstände angedeutet; die ausführlichen Beweise, der Architektur und Sculptur und den heraldischen Verzierungen der Ritterkapelle entnommen, verspricht er in einem Prachtwerke vorzulegen, welches unter dem Titel: „Das Fürsten- und Ritter-Album der Ritterkapelle unserer lieben Frau und des Ritters St. Georg in Haßfurt, ein kaiserliches Denkmal der deutschen Einigkeit und Bruderliebe“, in der Ebner’schen Kunsthandlung in Stuttgart erscheinen wird. Die 248 Wappen werden darin in Farbendruck wiedergegeben und die Geschichte der Fürsten- und Adelsgeschlechter, welchen sie angehörten, in möglichster Ausführlichkeit abgehandelt. Nach den Proben, welche von Heideloff mit freundlicher Bereitwilligkeit vorlegt, wird das Werk des Gegenstandes und der Ehre des deutschen Namens vollkommen würdig sein. Der greise Verfasser hat den ganzen Schatz seiner Gelehrsamkeit angewendet, um zu beweisen, daß der Chor der Ritterkapelle zu Haßfurt durchaus nur ein Denkmal der brüderlichen Vereinigung Ludwig des Baiern und Friedrich des Schönen von Oesterreich sein kann. Man darf annehmen, daß Kenner der Geschichte und der deutschen Kirchenbaukunst, welche Gründe zu haben glauben, an Heideloff’s Angabe zu zweifeln, das Erscheinen des Fürsten- und Ritter-Albums abwarten, um seine versprochnen Beweise mit kritischem Scharfsinn zu prüfen und ihnen dann mit gewichtigen, stichhaltigen Gegengründen zu begegnen, und auch dann dürfte man mit Recht voraussetzen, daß jüngere Männer an diese Entgegnung mit aller Pietät, die der greise, gelehrte und verdienstvolle Baukünstler doch gewiß mit vollstem Rechte verdient, gehen werden. Jedenfalls ist also das Erscheinen des v. Heideloff’schen Werkes abzuwarten.

Wir aber geben uns mit voller Seele der schönen Ueberzeugung hin, daß die Ritterkapelle in Haßfurt ein Denkmal der deutschen Einigkeit und Brüderlichkeit gegenüber französischer Herrsch- und Ränkesucht ist, und daß unsere Zeit, in welcher der deutsche Patriotismus so mächtig aufflammt, um den neuen französischen Ränken mit vereinter Kraft und Begeisterung entgegen zu treten, im höchsten Grad geeignet und berufen ist, die Ritterkapelle nach Heideloff’s herrlichem Entwurf zu vollenden, damit sie, analog ihrer alten Bestimmung, auch ein würdiges Denkmal deutscher Einigkeit und Brüderlichkeit des lebenden Geschlechts werde und, am schönen Mainstrom stolz sich erhebend, dem eitlen Franzosenthum jetzt und in Zukunft zurufe, daß wir Deutsche im Süden und Norden, im Osten und Westen

„sind eines Herzens, eines Bluts“,

und

„Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern,
In keiner Noth uns trennen und Gefahr.“

L. St.




Kriegs-Erinnerungen.
Aus dem Tagebuche eines deutschen Officiers der Fremden-Legion in Algier.
III. Eine europäische Dame unter den Kabylen.

Der General-Gouverneur von Algerien, Graf Randon, hatte im Herbst 1856 eine Expedition gegen die Kabylie der Provinz Algier dirigirt und in eigner Person commandirt. Dieser Zug, schnell beschlossen und ebenso schnell ausgeführt, hatte zum Zweck gehabt, die Steuerverweigerungen und Räubereien dieses schwer zu bändigenden Gebirgsvolkes zu bestrafen und mit einem entscheidenden letzten Schlage ihren langjährigen Widerstand zu brechen. Obgleich diese Expedition nur etwa sechs Wochen dauerte, war sie doch reicher an außergewöhnlichen Begebenheiten und wichtiger in ihren nächsten Folgen, als manche ihrer Vorläuferinnen, die oft den größeren Theil eines Jahres in Anspruch nahmen und sehr häufig eben zu nichts führten.

Unsere Soldaten, den französischen es in nichts nachgebend, im Gegentheil diesen oft durch ihre Officiere als Muster in Muth und Ausdauer vorgestellt, kannten nur eine Furcht, und diese war entschieden begründet: die, von den Kabylen gefangen genommen zu werden. – Ein schreckliches Loos erwartete die Unglücklichen, welche lebendig in die Hände dieses unmenschlichen Gebirgsvolkes fielen. Auf unsern Märschen durch die Kabylie hatten wir wiederholentlich die Leichname dieser bedauernswerthen Opfer gefunden: an Baumstämme mit bis zum Eindringen in das Fleisch angezogenen Stricken gefesselt, die Augenlider durch Sperrhölzer geöffnet gehalten und so der versengenden Mittagssonne ausgesetzt; Ohren, Nasen, Lippen etc. abgeschnitten, die Nägel von Fingern und Fußzehen abgerissen, überließ man sie unter den unsäglichsten Foltern dem Hungertode oder den nächtlich auf Raub ausziehenden Löwen, Hyänen, Panthern und Schakals. Derartige Schreckensbilder trafen wir unter anderm dreizehn im Laufe eines Vormittags an. Und wer verübte diese Gräuel? Nicht die Männer, sondern die Frauen der Kabylen! – Erstere, sobald sie ihre Gefangenen sicher gefesselt und vollständig wehrlos gemacht, überließen sie ihren Weibern und zogen wieder davon, sich in den Hinterhalt zu legen, neue Gefangene zu machen oder den französischen Colonnen so viel als möglich in anderer Weise Schaden zuzufügen. Wenn es ihnen an Zeit gebrach, sich mit dem Transport der Gefangenen aufzuhalten, dann wurden dieselben vollständig entkleidet, und die Kabylen nahmen deren sämmtliche Effecten und Waffen, sowie die Köpfe derselben mit sich, die sie mit dem Yatagan vom Rumpfe absäbelten. Nur Tamboure und Musikanten hatten ein besseres Loos zu erwarten, vorausgesetzt, daß sie im Augenblick der Gefangennehmung sich im Besitz ihrer Trommel oder sonstigen Instrumente befanden; ihre Aufgabe in der Gefangenschaft war die, durch betäubende Musik ihre Zwingherren zu belustigen. Ein Tambour hat auf diese Weise fünf lange Jahre bei den Kabylen zugebracht. Während dieser Zeit hatte er fünf Mal den Versuch gewagt, durch die Flucht der Knechtschaft sich zu entziehen. Nur erst der fünfte Versuch gelang; nach dem Mißlingen jedes der vorhergehenden hatte man ihm jedesmal einen Finger abgeschnitten. Als der arme Teufel, mehr todt als lebendig, endlich nach fünfjährigen Schmerzen und Entbehrungen glücklich bis zur französischen Vorpostenlinie gelangte, blieb ihm von den fünf Fingern der linken Hand nur noch der Mittelfinger übrig. Die rechte Hand hatte man verschont, damit er trommeln konnte.

Wir hatten uns einem Punkte der großen Kabylie genähert, den bis dahin noch nie der Fuß eines französischen Soldaten – ausgenommen vielleicht der eines gefangenen – betreten halte. Die himmelanstrebenden Felsen des Djurdjura zogen sich enger und enger zusammen mit jedem Schritt, den die Colonne vorwärts machte. Wilde, reißende Bergwässer, durch die Steinmassen sich mit Getöse hindurchdrängend, bildeten bald Cascaden, bald verschwanden sie auf lange Strecken unter einem für das Auge undurchdringlichen Dome von Schlingpflanzen, welche, sich mit dem von der Höhe herabfallenden Staube und den von unten heraufsteigenden Wasserdünsten mischend, bald sich zu einer soliden Brücke geformt hatten, bald den unvorsichtigen Waghals, der den Uebergang riskirte, in die Tiefe hinabstürzen machten. Man kann sich leicht vorstellen, wie überaus gefährlich auf solchem Terrain ein Kampf sein mußte, und wie leicht der für unsere Truppen unglückliche Ausgang eines solchen das Gelingen der ganzen Expedition in Frage stellen konnte.

Allein der Feind, statt uns, bei der großen Ueberlegenheit, welche ihm das Terrain sicherte, jeden Fuß breit Erde streitig zu machen und unser Vordringen zu verhindern, beschränkte sich darauf, seinen Heerd entweder nur schwach zu vertheidigen, oder, seine Heerden – den größten und gewissermaßen einzigen Reichthum dieses Bergvolkes – vor sich hertreibend, seine Dörfer bei Annäherung unserer Truppen zu verlassen und immer höher hinauf und tiefer hinein in die mit jedem Schritt unzugänglicher werdenden Schluchten des Gebirges sich zurückzuziehen. Einmal jedoch gelang es einem dieser zahllosen Stämme nicht, sich zeitig genug in Sicherheit zu bringen; sei es, daß seine Spione unsere Annäherung nicht früh genug bemerkt hatten, oder sei es, daß die Colonne zu plötzlich und aus einer von den Kabylen für uns nicht passirbar geglaubten Richtung heranzog; genug, wir standen hundert Schritte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 760. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_760.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)