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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Elvire. Beiden folgte der Advocat Rohden. Das Gesicht des Greises war finster wie immer; aber es trug heute noch zugleich den Ausdruck eines herausfordernden Stolzes. Welcher schwere Druck dennoch auf seinenn Innern lastete, das verrieth die unwillkürlich gebeugte Haltung seiner hohen Gestalt. Der Advocat Rohden zeigte die ernstesten, verschlossensten Gesichtszüge; man sah den Mann, der unter allen Umständen sich beherrschen, sich aber auch nichts vergeben wollte. Elvire Krajewska hatte sich so einfach gekleidet, wie sie durfte, ohne den Anstand zu verletzen. Sie war in ihrer Einfachheit doppelt schön. Ihr Gesicht war sehr blaß und sie zitterte, als sie an dem Arme ihres Vaters in den Saal trat. Sie erregte dennoch die Bewunderung Aller, die sie, sahen.

Ein Adjutant des Obersten gab ihr seinen Arm, sie zu ihrem Platze zu führen. An seinem Arme zitterte sie nicht. Das weiche Mädchen war stark, wenn es sein mußte.

„Parbleu, Morel,“ sagte der Herr von Bourquin, „sie ist schön. Man möchte lieber ihre Liebe, als ihren Haß zu gewinnen suchen.“

„Sie haßt uns schon, Bonrquin, mehr als wir glauben. Nur noch auf Rache für unsere Cameraden kommt es an.“

„Sie sprechen von Rache für unsere Cameraden, meine Herren? Sie meinen gewiß die kleine Krajewska? Da bin ich dabei. Der brave Delaparte war mein Freund.“

Ein Dritter, der zu den beiden Officieren herangetreten war, sprach die Worte. Er trug ebenfalls die französische Officiersuniform, auch die des nämlichen Regiments, dennoch war er anders als jene Beiden. Man konnte den Unterschied in der verschiedenen Gesichtsbildung finden; sie war bei ihm keine französische, sie war eine deutsche. Noch mehr zeigte ihn der Ausdruck des Gesichts. Auch die Franzosen trugen Uebermuth im Gesicht, aber einen leichten, frivolen, unbekümmerten. Das deutsche Gesicht des jungen Mannes in der Uniform des französischen Officiers hatte einen gemeinen, zugleich cynischen und kriechenden Uebermuth. Mit diesem cynischen und kriechenden Uebermuthe hatte er die Worte gesprochen. Selbst seine Cameraden sahen ihn mit einiger Verwunderung an.

„Sie wollen gemeinschaftliche Sache mit uns machen, Herr von Aschersleben? Gegen Ihre Landsleute?“

„Diese plumpen Westphalen sind meine Landsleute nicht.“

„Die Dame und ihr Vater sind keine Westphalen.“

„Pah, Polen denn.“

„Auch das wohl nicht –“

„Nun, meinethalben auch Deutsche. Ich gehöre der großen Nation an. Aber lassen Sie uns zur Sache kommen; hatten Sie schon einen Plan gemacht?“

„Noch nicht.“

„So wüßte ich einen.“

„Lassen Sie hören, Herr von Aschersleben.“

„Indeß, wozu noch erst ein weitläufiger Plan? Die Sache ist sehr einfach und macht sich von selbst. Man fordert die junge Dame zum Tanze auf, tritt mit ihr an, und läßt sie auf einmal ohne alle Veranlassung in möglich auffallender Weise stehen.“

„Und wer soll die Rolle übernehmen, Herr von Aschersleben?“

„Ich bin bereit dazu. Warum nicht?“

Die beiden Franzosen sahen sich an. „Er ist ein elender Deutscher,“ sagte der Blick des einen.

„Aber er thut es und nicht wir,“ antworteten die Augen des anderen. –

Die Franzosen hatten Recht. Es war ein elender, einer der elendesten, der verächtlichsten Deutschen, der so handeln konnte. Der elenden, verächtlichen Menschen gibt es viele, in allen Nationen; Deutschland hatte ihrer zu jener Zeit sehr viele, und besonders bekanntlich unter dem Adel. Aber freilich war es französische Nichtswürdigkeit, die an ihnen gearbeitet und verdorben hatte, lange vor dem Jahre 1807 schon an den deutschen Höfen, deren schmachvolle Aufgabe es geworden war, die Sittenlosigkeit des französischen Hofes in möglichst roher Weise nachzuahmen; die französische Fremdherrschaft in Deutschland hatte dann alles deutsche Ehr- und Nationalgefühl systematisch zu unterdrücken und zu vernichten gesucht. Die Renegaten sind überall die eifrigsten Lumpe. Sie werden dafür am meisten von denen verachtet, denen sie dienen.

„Weiter,“ sagten die Franzosen zu dem Deutschen.

„Das Weitere, meine Herren, gibt sich gleichfalls von selbst. Der Liebhaber, der Vater werden Genugthuung fordern. Man wirft sie heute hinaus, und gibt ihnen morgen Genugthuung. Man ist sie ihnen schuldig.“

„Ja, man wäre sie ihm schuldig.“

„Und Sie werden dabei sein.“

„Dabei allerdings.“

„So wären wir fertig.“

„Morgen rechnen Sie auf uns.“

„Da beginnt gerade ein Tanz. Ich gehe die Dame aufzufordern.“

Er wollte gehen, mußte aber seinen Schritt anhalten.

„Was, zum Teufel, ist das?“

„Der Oberst geht zu der Dame.“

„Er selbst scheint sie auffordern zu wollen.“

„In der That. Horchen wir, was er sagt.“

Der Oberst des Regiments war auf Elvire Krajewska zugegangen. Er verbeugte sich mit der vollen Galanterie des französischen Officiers vor ihr.

„Mademoiselle, schenken Sie mir die Ehre dieses Tanzes! Sie hatten mir einst verziehen, zeigen Sie den Ernst Ihrer Verzeihung.“

Elvire wurde verlegen. Sie hatte sich fest vorgenommen, nicht zu tanzen. Jedem Anderen hätte sie es ruhig mit der Festigkeit ihres Vorsatzes gesagt. Auf eine Aufforderung des Obersten war sie nicht vorbereitet. Sie erröthete tief. Aber ihr starkes und muthiges Her; verließ sie auch hier nicht.

„Herr Oberst,“ sagte sie klar und entschieden, „mein Vater und ich haben Ihre Einladung unter den herrschenden Umständen als einen Befehl ansehen müssen, dem man sich nicht entziehen dürfe. Tanzen kann ich aber heute nicht. Ich muß Ihnen danken für die Ehre, die Sie mir erweisen wollten.“

„Wenn ich Sie nun zugleich gerade um Ihretwillen bäte, Mademoiselle?“

Der schon etwas bejahrte Officier sah sie wohlwollend an.

Sie mußte sich gleichwohl noch besinnen.

„Nur eine einzige Tour, Mademoiselle.“

Sie reichte ihm die Hand. Er eröffnete mit ihr den Tanz.

Er tanzte, wie er versprochen hatte, nur eine Tour mit ihr. Dann führte er sie mit seiner ganzen Höflichkeit auf ihren Platz zurück. Die drei Officiere standen noch beisammen.

„Was hat er denn gewollt?“

„Hat er einen Eigensinn durchsetzen wollen?“

„Oder wollte er sich zu ihrem Beschützer erklären?“

„Gegen wen?“

„Gegen uns. Er war vorher in unserer Nähe, er kann aus unserem Gespräch einzelne Worte aufgefangen, er kann es aus unseren Mienen errathen haben.“

„So wird es in der That sein.“

„Gleichviel.“

„Sie wollen den Obersten herausfordern, Herr von Ascherseben?“ „Ich habe als Tänzer eben so viel Recht, wie der Oberst.“

„Das heißt?“

„Das heißt: Ich werde sie auffordern, wie er that. Sie wird mir den Tanz abschlagen. Was ist dann meine Sache? Und die Ihrige, wenn Sie ferner mit mir halten wollen?“

„Sie wollen die Dame also nicht beschimpfen?“

„Es bedarf dessen jetzt nicht mehr.“

„Wohlan!“

„Zum nächsten Tanz also!“

Sie wollten auseinander gehen. Ein vierter Officier kam auf sie zu. Er war soeben in den Saal getreten. Es war ein Adjutant des Regiments. Er trug das Abzeichen des Dienstes. Er wandle sich an die beiden Franzosen.

„Herr von Bourquin und Herr von Morel, Sie sind auf morgen früh um neun Uhr zum Kriegsgericht commandirt.“

„Zum Standrecht? Was wäre vorgefallen?“

„Ein entwichener Galeerensträfling ist hier eingefangen.“

„Und über ihn sollen wir zu Gericht sitzen?“

„Es ist ein ehemaliger preußischer Ofsicier, der gefangen genommen und zu lebenswieriger Galeerenstrafe verurtheilt war. Vor vierzehn Tagen war er aus dem Bagno entwichen. Er war an der ganzen Grenze signalisirt. Von Paris war der Befehl gekommen, ihn sofort, wenn er ergriffen sei, vor ein Kriegsgericht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 802. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_802.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)