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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

zu stellen und zum Erschießen zu verurtheilen. Er ist heute Abend ergriffen. Morgen früh wird das Kriegsgericht zusammen treten.“

„Mit dem Befehle, ihn zum Tode zu verurtheilen?“

„Bis morgen Mittag muß das Unheil vollzogen sein. So lautet der Befehl.“

„Sehr wohl.“

„Und ich bin zu der Sitzung des Gerichtes nicht commandirt?“ fragte der Herr von Aschersleben.

„Nein, mein Herr,“ sagte der Adjutant. Auch er mußte den Mann mit Verachtung ansehen.

Der Renegat sah es nicht.

„Ach,“ sagte er, „da beginnt ein neuer Tanz. Werden Sie bereit sein?“

„Wir werden bereit sein,“ sagten die Herren von Morel und von Bourquin.

Der Adjutant hatte sich wieder entfernt. Elvire Krajewska saß noch auf demselben Platze, zu dem nach ihrem Eintreten der Adjutant sie geführt und nach dem Tanze der Oberst sie zurückgeführt hatte – zwischen Damen, die sie wenig oder gar nicht kannte. Sie hatte sich einsylbig mit ihnen unterhalten. Ihre Aufmerksamkeit war auf ihren Vater und auf Rohden gerichtet, und auf die drei Officiere, die zusammengestanden und angelegentlich mit einander geredet hatten. Die Blicke der Drei waren manchmal verstohlen auf sie gerichtet gewesen; man sprach also von ihr. Es waren keine freundlichen Blicke gewesen. Was sollte ihr auch aus jenem Kreise Gutes oder Wohlwollendes kommen? Besonders von dem deutschen Verräther! Sie wahrte um so sorgsamer und ängstlicher mit ihren Augen den Vater und den Geliebten – denn ihr war Rohden der Geliebte ihres Herzens.

Für den Vater hatte sie eine besondere Sorge. Sein plötzlicher hastiger Einschluß, zu dem Balle zu gehen, hatte sie stutzig gemacht. Er war dann in einer fortdauernden, oft zerstreuten und oft wieder tief ängstlichen, scheuen Unruhe geblieben. Dabei war er stumm, verschlossen. Die Worte, die er gesprochen, hatten nur zur Eile getrieben. Er hatte etwas vor. Es mußte wichtig, entscheidend, gefährlich sein. Sie suchte vergebens zu errathen, was es sein könne. Auf dem Balle hatte er sich zusammengenommen, aber sogleich, nachdem er gesehen, wie der Oberst mit wohlwollender, fast ehrerbietiger Höflichkeit seine Tochter zum Tanze führte, hatte er den Saal verlassen. Er war still fortgegangen, wie um nicht bemerkt zu werden, und wie in der Meinung, als werde er nicht bemerkt. Elvire hatte ihn wohl gesehen. Sie durfte ihr inneres Erbeben nicht verrathen. Der Tanz war zu Ende. Der Oberst hatte sie zu ihrem Platze zurückgeführt. Sie winkte mit den Augen Rohden zu sich.

„Mein Vater ist fortgegangen.“

„Ich habe es gleichfalls gesehen.“

„Sie wissen nicht, wohin?“

„Ich suche es vergebens zu errathen.“

„Er hat etwas vor.“

„Es schien so.“

„Etwas Unglückliches.“

„Fürchten wir nicht gleich Schlimmes.“

„Melanie! Sie war mir lange die Kassandra, der ich nicht glauben wollte. Heute drückt mich jedes ihrer Worte centnerschwer.“

„Verlieren Sie nicht Ihren Muth, Elvire. Ich werde nachsehen, wohin Ihr Vater gegangen ist.“

Sie mußte von neuem erbeben. „Auch Sie wollen mich verlassen?“ schwebte es ihr auf den Lippen. Sie drängte die Worte zurück. Sie hätte Mittheilung über die heimliche Unterhaltung und die feindlichen Blicke der drei Officiere machen müssen, und sie wollte den Geliebten ohne Noth weder aufregen, noch beunruhigen.

„Bleiben Sie nicht zu lange,“ bat sie ihn.

Er ging und kam nach kurzer Zeit zurück. Er hatte keine Nachricht. Niemand hatte den Greis gesehen. Er war um so besorgter. Auch Elvire wurde es.

„Aber,“ ermahnte er, „lassen Sie uns keine Unruhe zeigen. Sie würde die Abwesenheit Ihres Vaters auch den Andern auffallend machen, und er wollte sich unbemerkt entfernen.“

Er trat von der jungen Dame zurück. Sie sollte nicht lange mehr grübeln können, was ihr Vater vorhaben, was ihn betroffen haben möge.

„Melanie!“ hatte sie gesagt, „sie ist mir heute keine Kassandra mehr, der ich nicht glauben wollte.“ Und sie hatte an das Unglück geglaubt. Es nahete sich ihr.

Der deutsche Edelmann in der Uniform des französischen Officiers schritt auf sie zu. Sie sah ihn kommen. Sie konnte sich auch nicht darüber täuschen, daß er mit einem bösen Vorsatze zu ihr kam. Er zeigte eine süße Freundlichkeit. Sie hatte vorher die feindlichen Blicke gesehen und war auf Alles gefaßt. Sie hatte sich gegen Alles mit ihrer klarsten Ruhe bewaffnet.

„Mein Fräulein, dürfte ich Sie unterthänig um diesen Tanz bitten?“

„Mein Herr, ich danke Ihnen. Ich werde heute nicht mehr tanzen.“

„Aber Sie tanzten schon, mein Fräulein.“

„Darum sagte ich, daß ich nicht mehr tanzen würde.“

„Und aus welchem Grunde würden Sie nicht mehr tanzen?“

Eine leise Rölhe des Zorns stieg doch in ihr Gesicht.

„Mein Herr, ich würde als Herr mich nicht berechtigt glauben, eine Dame so zu drängen.“

Er warf seine freundliche Höflichkeit von sich, um näher zu seinem Ziele zu kommen.

„Mein Fräulein, Sie versagen mir den Tanz, unmittelbar nachdem Sie mit dem Herrn Obersten getanzt haben. Die Welt wird darin eine Beleidigung für mich finden.“

„Ich wüßte nicht, wie das sein könnte.“

„Dem subalternen Lieutenant glauben Sie es bieten zu können.“

Sie konnte lächeln.

„Mein Herr, ich glaube, die jüngern Officiere sind bei allen Damen die bevorzugten Tänzer.“

„Aber dem Deutschen wagten Sie es zu bieten.“

Da schlug dennoch, allen ihren Vorsätzen zum Trotze, die helle Flamme des Zornes in ihr schönes Gesicht. So manches Gefühl mußte mit voller Lebendigkeit, mit voller Gewalt in ihr erwachen.

„Sie haben mich herausgefordert, mein Herr,“ sagte sie. „So erfahren Sie denn von mir die Wahrheit. Ich kann hier heute Abend nicht tanzen, weil ich als deutsches Mädchen, und ich bin ein deutsches Mädchen, für einen Triumph Fremder über Deutsche nur Schmerz und Trauer habe. Ich kann mich überhaupt nicht der Freude hingeben, in dem Gedanken, daß in diesem Augenblicke ein ungeheueres Schlachtfeld mit Tausenden von Leichen und von armen, wimmernden, verwundeten Menschen bedeckt ist, die den Tod erflehen, um von ihren Leiden und Qualen befreit zu werden. Aber, mein Herr, hielte mich das Alles auch nicht zurück, Ihnen, wissen Sie es, Sie müssen es aus deutschem Munde hören, Ihnen, einem Manne, der, anstatt zur Hülfe, zur Befreiung seines deutschen Vaterlandes zu eilen, dem Feinde seines Vaterlandes seinen Arm, seinen Degen weihet, nein, in schnödem Fremdendienste sich selbst entweihet, einem solchen Menschen nur die Spitze meines Fingers zu reichen – es wäre eine Entehrung für mich!“

Sie hatte sich nicht mehr mäßigen können. Sie hatte sich so lange zusammennehmen, Alles, was an schönem, edlem, deutschem Gefühl in ihr war, gewaltsam zurückdrängen, der persönlichen, frechen Beleidigung, die ihr drohte, die ihr wurde, Ruhe und Selbstverleugnung entgegen setzen müssen. Sie konnte es nicht mehr; das Band zerriß, mit dem sie sich eingeschnürt hatte, und als es einmal zerrissen war, mußte Alles heraus, was sie auf dem Herzen hatte. An das, was folgen werde, dachte sie nicht mehr, konnte sie nicht denken. Sie war Weib – ein großherziges, edles Weib.

Der Offcier stand vernichtet. Er hatte angreifen wollen; er war angegriffen, und wie er angegriffen war, war er besiegt, geschlagen, zerschmettert. Das Mädchen hatte laut gesprochen. Nicht blos die Damen in ihrer Umgebung hatten ihre Worte gehört, auch Herren, die in der Nähe standen. Er war kreideweiß geworden. Eine furchtbare Wuth kochte in ihm. Er konnte keinen Entschluß fassen. Nur Eins wollte er, konnte er wollen. Aber konnte er es ausführen? Durfte er, als Officier, öffentlich eine Dame mißhandeln? Er hatte dennoch den Arm, die Hand erhoben. Die Wuth stieg in ihm. Ein Moment, und er wußte nicht mehr, was er that.

Da trat Jemand auf ihn zu. Der Advocat Rohden hatte Elvire nur einen Augenblick aus den Augen verloren, um sich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 803. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_803.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)