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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

nach ihrem Vater umzusehen; zwischen den Beiden war seine Aufmerksamkeit getheilt. In dem Augenblicke hatte der Officier mit der Dame gesprochen. Als er zurückkehrte, sah er das hocherröthete Gesicht Elvire’s, das kreideweiße des Officiers. Er wußte, was geschehen war. Er eilte zu den Beiden. Er stellte sich vor den Officier, ruhig, kalt, muthig, stolz.

„Mein Herr, wünschen Sie von der Dame etwas? Ich stehe Ihnen zu Diensten.“

Die Wuth des Officiers hatte ihren höchsten Grad erreicht. Sie hatte ein Ziel, das sie angreifen durfte, das sie glaubte angreifen zu dürfen. Seine Hand fuhr an seinen Degen. Rohden war unbewaffnet. Eine fremde Hand legte sich fest auf die Hand des Herrn von Aschersleben.

„Herr Lieutenant, keine Handlung der Ehrlosigkeit.“ Der Oberst des Regiments sagte es kurz, gemessen, befehlend. Er war der bessere Franzose, dieser Oberst, ein Mann der ritterlichen Ehre gegen den Einzelnen, der freche, höhnende, übermüthige Unterdrücker gegenüber einem fremden Volke.

Der Lieutenant von Aschersleben stand einen Augenblick unbeweglich.

„Sie werden mir Genugthuung geben, mein Herr,“ sagte er dann zu Rohden.

„Jede, mein Herr!“

Der Officier entfernte sich. Der Oberst wollte ihm folgen, wurde aber aufgehalten. Ein Adjutant, derselbe, der vorhin die Officiere zum Kriegsgerichte commandirt hatte, war in den Saal getreten. Sein Gesicht zeigte Bestürzung. Er eilte auf den Oberst zu. Er sprach heimliche, flüchtige Worte zu ihm. Der Oberst erschrak sichtlich.

„Der Gefangene?“ hörte man ihn rufen.

„Zu Befehl, mein Oberst.“

„Und der Herr Krajewski, sagen Sie?“

„Der Herr Krajewski.“

„Kommen Sie.“ Er verließ mit dem Adjutanten in größter Eile den Saal, Rohden hatte Elviren den Arm geboten, sie fortzuführen.

Sie konnten Beide nicht ferner bleiben. Seine Augen suchten auch ihren Vater. Da hörte er den Obersten den Namen Krajewski aussprechen. Er erbebte. Auch Elvire hatte ihn gehört.

„Mein Vater?“ rief sie. „Er ist nicht hier.“

„Wo ist er? Was ist mit ihm geschehen?“

Er wußte es so wenig wie sie.

„Lassen Sie uns eilen. Mein Vater! Was ist mit meinem Vater geschehen?“




5. Deutsche Ehre.

Die Hauptwache der Garnison war in der Mitte der kleinen Stadt. Sie lag neben dem städtischen Rathhause. In dem Rathhause selbst war das Militairgefängniß. Es befand sich im Erdgeschosse des nicht besonders großen Gebäudes und bestand aus einer einzigen Zelle, zu der ein schmaler Gang führte. Es war in der eilften Stunde der Nacht. Vor dem Gange, der zu der Zelle führte, ging eine Schildwache auf und ab. Eine zweite Schildwache war in dem Gange. Eine dritte hörte man draußen unter dem Fenster der Zelle in ihrem langsamen, einförmigen Schritt hin und hergehen.

Die Schildwache in dem Gange war nicht allein. Eine trübe Lampe brannte an der Mauer des Ganges. In ihrem Scheine sah man einen alten Mann, der unmittelbar vor der starken, mit Eisen beschlagenen Thür des Gefängnisses auf einem Stuhle saß. Er war eine noch immer kräftige, gedrungene Figur, ein starkknochiges Gesicht mit einem großen, grauen Schnurrbart. Der Mann war unverkennbar ein ehemaliger Soldat. Jetzt trug er eine Art von Civiluniform, wie städtische Gefangenwärter sie zu tragen pflegten. Er sah mürrisch, verdrießlich aus, man konnte sogar Spuren des Kummers in dem alten, eisenfesten Soldatengesichte zu entdecken meinen.

Es hatte kurz vorher die Ablösung der Schildwachen stattgefunden. Der alte Gefangenwärter sah den neuen Posten an, freilich ohne besondere Theilnahme oder Neugierde. Die Zeit mochte ihm wohl lang werden, trotz seines Mißmuthes, und er wollte sich den Soldaten ansehen, ob er mit ihm plaudern könne. Vielleicht hatte er auch etwas Besonderes auf dem Herzen.

Der Soldat war ein noch sehr junger Mensch, wahrscheinlich ein Rekrut noch. Wie viele Menschen aus dem weiten französischen Reiche hatte der russische Feldzug, und dann wieder der Krieg in Deutschland hingerafft! Frankreich mußte immer neue Opfer liefern; Knaben, die kaum zu Jünglingen gereift waren, mußten den Fahnen des Eroberers folgen, der jetzt freilich nur noch um seine Existenz, aber desto erbitterter kämpfte.

„Woher des Landes?“ redete der Gefangenwärter in gebrochenem Französisch den Soldaten an.

„Aus Nantes,“ antwortete französisch der Soldat.

„Ein Hund von einem Franzosen!“ knurrte der Gefangenwärter vor sich hin.

„Aber ich spreche deutsch,“ fuhr in deutscher Sprache der Soldat fort. „Und eben so gut wie französisch.“

Ein wenig heiterte das Gesicht des Gefangenwärters sich auf.

„So, mein Sohn? Und wo hast Du das gelernt?“

„Meine Eltern sind Deutsche. Mein Vater war der Unterthan eines deutschen Edelmannes, der arm war und Gelüste auf meines Vaters Vermögen hatte, und der daher meinen Vater wegen geheimer revolutionärer Verbindungen, wie es hieß, zur Untersuchung ziehen lassen wollte.“

„Der Edelmann, Bursch?“ fragte der Gefangenwärter.

„Nun ja. In Deutschland sind ja auch ein halbes Tausend Edelleute souveraine Landesherren.“

„Jetzt nicht mehr, mein Sohn.“

„So waren sie es doch früher.“

„Erzähle weiter.“

„Die Geschichte ist kurz. Mein Vater hatte keine Lust, zu warten, bis man ihm seinen Kopf und, worauf es am meisten abgesehen war, sein Vermögen nahm. Er suchte seine Sachen zusammen und ging mit Frau und Kind nach Frankreich, wo er Verwandte hatte und vor dem Hängen oder Köpfen und Confisciren der deutschen Edelleute sicher war.“

„Und sein Sohn,“ brummte der alte Gefangenwärter, „will jetzt das, was seinem Vater von dem deutschen Edelmanne geschehen ist, dem deutschen Bürger und Bauer entgelten lasten!“

„Habe ich das gesagt?“

„Du bist als französischer Soldat hier.“

„Bin ich es freiwillig? War ich nicht gezwungen? Und was wollen Sie denn? Sie sind auch ein Deutscher, und dienen hier eben so gut den Franzosen, wie ich, und sogar freiwillig.“

„Ich, Bursch?“ fuhr der Gefangenwärter auf. „Ich diene dem Magistrate dieser Stadt, und dies ist hier eine deutsche Stadt und ein deutscher Magistrat. Das Gefängniß hier –“

„Ja, das Gefängniß hier!“

„Das haben wir den Franzosen nur geliehen.“

„Um Deutsche darin zu bewachen. Der da drinnen ist ein Deutscher.“

„Was soll man thun?“

„Der arme Mensch wird verteufelt strenge bewacht.“

„Wer morgen erschossen werden soll, den läßt man heute Nacht nicht entlaufen.“

„Steht es wirklich so schlimm mit ihm?“

„Der Befehl von Paris ist da. Da geht es nicht anders.“

„Es soll ein preußischer Officier sein.“

„Ja.“

„Der arme Mensch thut mir leid.“

„Mir auch.“

„Und doch müssen wir Beide ihn bewachen!“

„Ja, Bursch, das geht so in der Welt. Das ist die Pflicht, an der ein ehrlicher Kerl festhalten muß. Die großen Herren wissen Gebrauch davon zu machen. So werden Deutsche gegen Italiener, Holländer und Italiener gegen Deutsche, und die Franzosen gegen Alle gebraucht. Nun, mit den Franzosen – Höre mein Sohn, Du hast doch Dein echtes deutsches Blut und Herz bewahrt?“

„Ich denke.“

„Und wenn Du könntest, Du dientest zehnmal lieber dem Könige von Preußen, um die Franzosen aus dem Lande zu jagen, als daß Du da den französischen Rock trägst?“

„Wahrhaftig, zehnmal, hundertmal lieber.“

„Das ist brav von Dir, und da kann man ein vernünftiges Wort mit Dir sprechen.“

(Schluß folgt.)



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