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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Inzwischen hatte ich den anderen Nachbar, dessen Namen ich bisher aus Bequemlichkeit verschwiegen habe, da er sich schwer aussprechen und nur vorsichtig niederschreiben läßt, ganz aus den Augen verloren und über einer längeren Sommerreise beinahe vergessen. Als ich aber wenige Tage nach meiner Heimkehr um die Abendstunde, in welcher die Equipagenbesitzer frische Luft zu schöpfen pflegen, vor meiner Thür saß, und das elegante Berlin im Thiergarten die Revue passiren ließ, sollte ich auf die unerwartetste Weise an ihn erinnert werden. Eben fand ein lebhafteres Gedränge der Equipagen statt, und dicht vor mir mußte ein anständiger Halbwagen still halten, in dem ich Herrn Mansuetus von Sczkrippinski erblickte. Aber welche glänzende Veränderung war mit ihm vorgegangen! Der sorgenvolle Ausdruck seiner Gesichtszüge hatte einem stillen Behagen Platz gemacht, wie es sich für einen Mann schickt, der an seinem eigenen Tische speist und über einen vollständig eingerichteten Weinkeller disponirt. Mansuetus, wie ich ihn billiger und kurzer Weise als alten Bekannten wohl nennen darf, war in eine elegante Sommertracht aus einem hellgrauen Stoffe gehüllt und abwärts durch eine gestickte feinwollene Decke gegen die kühle Abendluft geschützt. Sein edles Haupt hatte er mit einem Panamahute feinster Qualität und seine etwas großen Pfötchen mit Pariser Handschuhen von Jouvin bedeckt; sein Aeußeres entsprach mithin allen Anforderungen eines guten Geschmackes. Ich hätte das Ganze für eine jener unheimlichen Gesichtstäuschungen halten können, vor denen Niemand sicher ist, wenn mir nicht eine zur Rechten Mansueti sitzende ältere Dame sofort den Zusammenhang erklärt hätte. Ich that ihr wohl nicht Unrecht, wenn ich sie für ein längere Zeit unverheiratet gebliebenes, wohlhabendes „junges Mädchen“ hielt, das mit Herrn von Sczkrippinski ein Eheverhältniß eingegangen war, und ihm für den Genuß seines adligen Namens die Theilnahme an ihren reichlichen irdischen Gütern gestattete. Auch aus der Haltung und dem Aussehen der Frau von Sczkrippinska ging hervor, daß die stillen Wünsche eines sehnsüchtigen Herzens befriedigt waren, und die Dame in ihrem jungen Ehestande sich ganz glücklich fühlte. Allerdings hatte sie die Vergilbtheit, eine Folge der allzu langen Dauer ihres vestalischen Zustandes, nicht verloren, doch war die bekannte Schärfe der Opposition gegen das undankbare männliche Geschlecht, welche aus den meisten Gesichtern unverehelichter überreifer Damen spricht, einer gelassenen Zufriedenheit gewichen. Man hätte die beiden Portraits gleich als Muster eines guten Ehepaares photographiren lassen können. Die Pferde zogen jetzt an, und das Paar entschwand aus meinem Gesichtskreise; aber meine Neugier war im höchsten Grade erregt. Nur mein freier Künstler, der talentvolle Haarkräusler und Bartkratzer, konnte mir die nöthige Auskunft geben. Sofort warf ich mich an den Schreibtisch und lud ihn ein, meinem in der Fremde arg mißhandelten Haupt- und Barthaar wieder einen kunstgerechten Schnitt zu geben.

Am nächsten Morgen erschien das Factotum aller Barbiere und äußerte auf angemessene Weise seine Freude, mich wiederzusehen. Ich ließ ihn nicht zu Worte kommen.

„Ich habe Sie nicht allein meinetwegen, sondern auch eines alten Bekannten wegen citirt,“ hub ich an; „gestern habe ich Herrn Mansuetus von Sczkrippinski vorbeifahren gesehen ….“

Der Barbier lächelte verschmitzt.

„Neben ihm saß eine Dame, ohne Zweifel seine Gemahlin. Sie müssen den Zusammenhang der Sache kennen!“

„Ob ich ihn kenne!“ sagte schmunzelnd Figaro jun.

„Erzählen Sie mir den ganzen Handel; die Sache ist ja unbegreiflich rasch gegangen.“

„Natürlich, in zwei Monaten war Alles abgemacht, sie sind ein für alle Mal aufgeboten worden und haben am darauf folgenden Sonntage ihre Hochzeit gefeiert.“

„Aber wie war das möglich?“ rief ich staunend.

„Der Zauberei ist Alles möglich, höhere Kräfte der Natur, ohne mich hätten sich die armen Leute niemals kennen gelernt, hätten sie ihr Leben einsam vertrauern müssen. Nun ist Allen geholfen!“ Das Wort „Allen“ betonte der Bader auf eine stark ironisch vergnügliche Weise.

„Soll ich noch lange warten?“

„Sie wissen, daß Herr von Sczkrippinski ein starker Mystiker ist und zu einer kleinen Fraction von Tischrückern und Psychogräphlern gehört, welche sämmtlich kein Geld haben und wöchentlich einmal die polirten Breter und Papptafeln befragen, ob es dem Geisterreiche nicht möglich sei, ihre leidigen Umstände zu verbessern. Wenn ich am Tage darauf zum Rasiren kam, pflegte er mir regelmäßig den Hergang der Geisterbeschwörungen des verflossenen Abends zu erzählen. Etwa vor einem Vierteljahre fand ich ihn einmal Morgens sehr aufgeregt und sein Bein reibend. „Hören Sie, Meister, wie es mir gestern ergangen ist,“ sagte er sehr ernsthaft, „ich war in unserem Club, und wir hatten uns im tiefsten Dunkel um einen Tisch gesetzt. Das Medium hatte uns nämlich angezeigt, Horaz von Forno, ein berüchtigter böser Geist, wolle sich uns ausnahmsweise heute körperlich manifestiren. Wir saßen eine Viertelstunde, eine halbe, eine ganze Stunde mäuschenstill beisammen, aber Horaz ließ sich nicht hören und sehen. Ich saß neben einem Collegen von Ihnen, einem alten Chirurgus, der fortwährend an allen Gliedern bebte und mit den Zähnen klapperte. Er hielt in Todesangst meine Hand fest, dann sagte er plötzlich: „„Ha, ich sehe ihn, dort sitzt er unter dem Tisch, er redet Sie an, er meint, Sie würden in kurzem Ihr Glück durch eine reiche Heirath machen. Jetzt zeigt er mir die Zähne und streckt die Zunge hervor!““ Kaum hatte der Chirurgus ausgesprochen, als unser Vorsteher auch schon rief: „„Sie werden das doch nicht leiden? Rasch, stoßen Sie ihm mit dem Stiefel in die Schnauze; das fehlte noch, daß ich mir in meinem eigenen Hause dergleichen von einem bösen Geiste gefallen ließe.““ – Der Chirurgus holte aus und that nach Horaz von Forno unter dem Tische einen gewaltigen Stoß. Der Geist war augenblicklich verschwunden, wie der Chirurgus sagte, aber ich lag auf dem Fußboden. Der Stoß hatte eigentlich mein Bein getroffen und mich niedergeworfen. Ich schrie laut auf, der Hausknecht kam mit einer Lampe herein, und ich ließ mir eine Droschke holen, da ich unmöglich zu Fuße nach Hause gehen konnte.“ – „Herr von Sczkrippinski,“ sagte ich, „Sie wissen, daß ich über die psychographisch citirten Geister noch nicht recht im Klaren bin und nach Allem, was Sie mir von Horaz von Forno erzählt haben, namentlich ihn für einen sehr unzuverlässigen Charakter halte, aber diesmal hat er eine entschiedene Wahrheit ausgesprochen. Auch mir ist dieser Gedanke vor kurzem durch den Kopf gegangen; Sie müssen ein reiches Frauenzimmer heirathen.“ Herr von Sczkrippinski schmunzelte, meinte aber, daß er vermöge seiner in der Abnahme begriffenen Persönlichkeit auf keinen sonderlichen Erfolg bei bemittelten Damen zu hoffen habe.“

„Der gute Mansuetus ist wirklich ein vernünftiger Mann, ich habe mich nicht in ihm geirrt,“ warf ich halblaut ein, aber mein geistreicher Barbier bemerkte auch nicht ganz übel: „Wenn er mit Ihrer gewöhnlichen Hypochondrie zu Werke gegangen wäre, müßte er sich noch heute mit dreihundert Thalern jährlich behelfen und könnte sich nicht einen gemachten Mann nennen. Nein, die Sache nahm eine andere Wendung. Ich sprach ihm Muth ein und machte ihn darauf aufmerksam, daß Herren vom Militär schon durch ihre geradere Haltung und ihre soldatisch strenge Sorgfalt in der Tracht zehn Jahre länger jung bleiben, als die meisten nachlässigen Civilisten. Das leuchtete ihm ein, und er gestand mir, daß er schon längst sein Auge auf eine würdige, seinen Jahren entsprechende Dame geworfen habe, aber aus Furcht, schmählich abgewiesen zu werden, nicht wage, einen Heirathsantrag zu formuliren. – „Darf man den Namen der Schönen wissen?“ – „Es ist Fräulein Klemke, dort in dem Hause neben der Apotheke, die reiche Rentiere,“ sagte Herr von Sczkrippinski etwas verschämt. Kaum hatte er diesen Namen ausgesprochen, als der Plan, nicht allein den guten Herrn zu verheirathen, sondern auch mir endlich zu einem eigenen Geschäftslocal zu verhelfen, fertig vor meiner Seele stand. „Herr von Sczkrippinski,“ sagte ich, „Sie setzen mich in Erstaunen, ich habe sonst nicht viel von Psychographen und Geistern gehalten, aber hier geht etwas vor, und ich möchte fast glauben, daß die Geister unter dem Tische auch unter einander zusammenhalten. Ich zweifle nicht, daß Sie bei der Dame reüssiren werden, aber lassen Sie mich machen, in einigen Tagen sollen Sie näheren Bescheid erhalten, ich werde Alles anbahnen –““

Bei diesen Worten schwieg der Barbier und sah mich fragend an.

„Warum fahren Sie nicht fort?“ fragte ich erstaunt.

„Kann ich mich ganz auf Sie verlassen? Ich verlange nur, daß Sie noch vierzehn Tage über die Geschichte schweigen, dann dürfen Sie dieselbe Jedermann erzählen, dem sie einigen Spaß macht,“ meinte der College des gleichfalls ungläubigen Bartscheerers im Don Quixote.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 810. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_810.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)