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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

„Selbst vierzehn Wochen oder Monate will ich schweigen, wenn es nöthig ist, bringen Sie aber nur Ihre Geschichte zu Ende.“

„Sehen Sie, das reiche alle Fräulein hielt auch viel von dem Psychographen, und ihre Mamsell, übrigens ein hübsches Mädchen, für das ich mich längst interessire, dient ihr als Medium.“

„Nun dachten Sie, wenn ich recht verstehe, daß auch die jungen Leute ausgestattet und verheirathet werden könnten, wenn man nur erst die beiden Alten unter die Haube gebracht hätte, nicht wahr?“

„Finden Sie etwas Unrechtes darin?“

„Durchaus nicht, wenn Alle glücklich geworden sind; aber wie trug sich die Sache weiter zu?“

„Noch an demselben Tage besprach ich mich mit Marien, der Mamsell, und theilte ihr den Wunsch des Herrn von Sczkrippinski mit, wie auch meine Hoffnung, bei der Sache könne für uns Beide etwas herauskommen und sie auf eine gute Art Frau Meisterin werden. Ihr schien das Ganze sehr einleuchtend, und sie versprach mir von Stund an ihre Unterstützung. Brauche ich Ihnen das Nähere zu schildern? Noch an demselben Abende ließ Marie den Psychograpben spielen und theilte ihrer Herrin durch den Mund eines guten Geistes mit, daß ein Herr von Adel für sie im Geheimen schwärme. Für den ersten Abend war dies genug. Das alte Fräulein Klemke hatte eine schlaflose Nacht und konnte kaum den Abend des nächsten Tages erwarten, wo das Verhör des guten Geistes fortgesetzt wurde. Ich hatte Marien gesagt, daß sie den Geist heute schon denunciren lassen könne: der Herr von Adel besuche häufig das Odeum. Damit war schon viel gewonnen, die gute Dame wollte in ihrer Aufregung gleich wissen, wie der Herr heiße, aber das Medium erklärte sich auf meinen vorsichtigen Rath vorläufig noch schwach und inkompetent. Fräulein Klemke ließ sich natürlich nicht abhalten, Nachmittags das Odeum zu besuchen und meinen dort bereits anwesenden Heirathscandidaten zu beäugeln. Am Abend darauf war der Geist schon mittheilsamer, die heirathslustige Dame hatte den Amoroso sich wohl eingeprägt und beschrieb ihn, da er ihr nicht mißfallen, dem Geiste so genau, daß er sofort seinen Namen schriftlich durch das Medium offenbarte. Hätte Fräulein Klemke etwas weniger Vertrauen in die Mittheilungen aus dem Jenseits gesetzt, so wäre die Sache wohl bei dieser Gelegenheit schief abgelaufen.“

„Was geschah denn? Es trat doch nicht ein böser Geist unvermuthet auf, wie es wohl zu geschehen pflegt, und durchkreuzte die Fülle der Gesichte?“ fragte ich besorgt.

„Nein,“ berichtete der Barbier, „das Fräulein hätte der Orthographie wegen leicht Lunte riechen können. Das Medium, das natürlich in den polnischen Familiennamen nicht recht taktfest ist, schrieb den des Herrn von Sczkrippinski immer schlechtweg „Schrippinski“.“

„Und wie verhielt sich Fräulein Klemke dabei?“

„Sie fand den Namen eigentlich nicht recht vornehm, da er sie an ein volksthümliches Gebäck erinnerte, welches Droschkenkutscher und Lehrjungen sehr gerne essen, als aber bald darauf nach gemachter Bekanntschaft der Heirathscandidat zu einer Visite erschien, und seine Karte mit einem stattlichen Wappen und der Inschrift: „Mansuetus von Sczkrippinski“ in das Empfangszimmer sandte, beruhigte sie sich vollständig und verliebte sich nebenbei auch in die wasserpolakische Romantik des Namens.“

„Sie hätte als eine gewiegte Psychogräphin auch schwerlich Argwohn geschöpft, denn die Rechtschreibung fremder Namen, wie überhaupt Kenntnisse in alten und neuen Sprachen, bilden nicht die starke Seite der citirten Geister, und notorische Selige sind in Wissenswürdigkeiten schon hie und da von soliden Quartanern tief verdunkelt worden!“ sagte ich, um die Erinnerung meines Barbiers zu beruhigen.

„Von da an war keine Gefahr mehr vorhanden. Sobald die guten Leutchen einander persönlich kennen gelernt hatten und handelseinig geworden waren, gerieth bei Beiden der Psychograph vollständig in Mißcredit.“

„Doch nicht auch das Medium?“

„Keinesweges. Marie brach eines Abends in Thränen aus und meinte, sie würde nach des Fräuleins Verheirathung wohl das Haus verlassen müssen, diese aber umarmte sie gerührt und versprach ihr, als sie das Geständniß ihrer Neigung zu mir abgelegt hatte, aus Dankbarkeit für ihre Dienste als Medium und treue Kammerzofe eine Aussteuer von fünfhundert Thalern. Nun war uns geholfen.“

„Bewies sich denn nicht der beglückte Heirathscandidat gleichfalls dankbar, denn er sieht mir wirklich zufrieden und fett genug aus?“

„Er hat mir an unserem Hochzeitstage hundert Thaler und außerdem die ewige Erhaltung seiner Kundschaft versprochen!“

„Das ist immerhin etwas, aber wann wird die Hochzeit sein?“

„In vierzehn Tagen, dann können Sie, wie gesagt, die Geschichte Jedermann erzählen.“

„Schade,“ sagte ich nachdenklich, als ich den lustigen Handel angehört hatte, „daß unsere heutigen Barbiere nicht mehr Inschriften und Titel der Geschäfte über den messingenen Becken anbringen; für Sie, mein Lieber, wüßte ich eine unvergleichliche Signatur.“

„Und die wäre?“ rief der Barbier neugierig, indem er meine grauen Mähnenreste von den Rockärmeln klopfte und mir nach Vollendung seines Geschäftes eine wohlgefällige Verbeugung machte.

„Sie müßten über den Becken einen Psychographen befestigen und darauf schreiben: „Zum Zauberer von Berlin“!“




Aus dem Norden.
Von Dr. A. E. Brehm.
I.  Wie man in Norwegen reist.

Wer im alten überbildeten Europa noch reisen will, muß nach Norwegen gehen. Wir Binnenländer reisen schon lange nicht mehr: – wir rasen blos noch. Unsere lauteste Reisefröhlichkeit wird von dem Gerassel der Wagen, welche auf den eisernen Wegen dahinbrausen, übertönt und vernichtet, unsere Reisebehaglichkeit durch den tausendfältigen Jammer der Reise zerstört, unser freier selbstständiger Wille dem Wollen der Masse untergeordnet; wir gehören uns selbst nicht mehr an, wenn wir reisen, denn wir sind Spielball der Andern geworden; wir werden geknechtet und gepeinigt von Dem und Denen, welchen wir zu entfliehen vermeinten. Mit einem Worte: wir wollen nicht mehr, sondern wir müssen. Es ist ganz prächtig, daß man jetzt dieselben Strecken in Stunden durchfliegen kann, durch welche die alte Postschnecke ihr vollgepfropftes Gehäus in langen Tagfahrten schleppte: aber die eigentliche Reiselust, die Reisedichtung hat mit dem Erleben der Eisenbahnen aufgehört, und nur zu tief begründet ist der Stoßseufzer des Dichters:

„O Eisenbahn, was bist Du kommen,
Hast unser Posthorn uns genommen?“

In unseren Tagen muß man es sich schon ein besonderes Trinkgeld kosten lassen, – und ich habe ein solches oft genug gegeben! – wenn man will, daß das alte liebe Posthorn in einer stillen Sommernacht im dunklen Walde wiedertönt und damit jene wohlige Träumerei in der Seele erweckt, welche aus dem Klange im Walde die lieblichsten Bilder zusammen zu weben und den ganzen Menschen so hoch zu beglücken versteht. Und selbst da, wo wir Eisenbahnen und Post zurücklassen und auf schmalen gewundenen Fußpfaden über blumige Wiesen wandeln oder uns in das Dunkel der Wälder versenken, begegnen uns überall die widerwärtigsten Gestalten jener überbildeten Reisemenschen, welche eben nur die große Kunst verstehen, den Rest angeborner Gutmüthigkeit des Landbewohners vollends zu rauben und die Gewinnsucht wach zu rufen.

Kurz, alles gemüthliche Reisen, im Süden und Westen und in der Mitte Europa’s hat geendet. Doch was rede ich noch länger von dem, was ein Jeder schon hundertmal selbst gefühlt hat!

Im Norden Europa’s und vor allem in Norwegen reist man noch. Hier gehört man sich selbst an; hier fühlt man sich selbstständig. Man ist aus allen alten Verhältnissen herausgetreten und frei geworden, so wie man die grüne Halbinsel betritt. Das ist ein Genuß, welchen ich Allen wünschen möchte, welche durch die Verhältnisse an die Scholle gekettet sind und den Kreislauf im Triebrade der Geschäfte jeden Morgen neu beginnen müssen; das

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 811. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_811.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)