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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Anlage zu irgend einer rasch verlaufenden Krankheit. Ich erinnerte mich sogar von seiner Mutter und ihm selbst gehört zu haben, daß er seit den gewöhnlichen Kinderkrankheiten nie auch nur eine Stunde darnieder gelegen oder wirklich unwohl gewesen. Das schoß mir alles durch den Kopf, und dazu der Freund verloren, der mir in kurzer Zeit so nahe getreten – und dazu der Jammer der bejahrten Mutter, deren einziges Kind er war – ! – Ich wandte mich stumm ab und steckte den Degen an und langte nach der Mütze.

„Bleiben Sie da, Hauptmann,“ sagte Huber, der meine Absicht verstand, während er seine noch immer ganz betäubte Frau zu ihrem Stuhl führte und sie sanft darauf niedergleiten ließ. „Sie sind dort jetzt nichts nütz. Seine arme Mutter ist nicht gefaßt genug, um schon Jemand zu sehen, und dazu ist jetzt gerade das Gericht im Hause.“ Und da bei diesem seltsamen Wort seine Frau so gut wie wir alle von Neuem zusammenfuhren, ergriff er die Hand der Ersteren und setzte gepreßt hinzu: „Ja, das Gericht, denn Schenk ist keines natürlichen Todes gestorben, sondern – ermordet.“

„Seht, ihr Grasaffen,“ unterbrach sich der sichtbar erschütterte alte Erzähler, der wie mancher Seinesgleichen seiner Bewegung Meister zu werden suchte, indem er gegen seine Umgebung rauher und barscher auftrat, als er es sonst jemals in der Gewohnheit hatte, – „seht, Ihr Grasaffen, Ihr habt es jetzt leicht. Ihr wißt, daß ich Euch etwas Besonderes erzählen will, und die Menschen, von denen Ihr hört, gehen Euch so gut wie nichts an. So hört Ihr mir mit voller Gemüthsruhe zu oder amüsirt Euch gar an meinem Bericht, wundert Euch vielleicht über den Alten, der heut, nach dreißig Jahren, noch so ergriffen ist. Aber Ihr könnt mir glauben, wenn man so etwas hört und erlebt, von einem Freund, in der Wirklichkeit, in der Gegenwart, so plötzlich, – da ist es um solche Nachricht ein seltsam Ding; sie geht dem männlichsten Mann durch Mark und Bein, und ich schäme mich nicht zu sagen, daß wir bei des Raths Worten alle käsebleich wurden und unsere Kniee zittern fühlten, wir Männer so gut wie die Weiber.

„Ich will uns aber nicht länger mit solchen Redensarten aufhalten,“ sprach er weiter, auch nichts von unserm Einsehen sagen, sondern nur melden, daß eine gute Zeit verstrich, bis wir gefaßt genug waren, den Bericht Hubers zu hören. Es war begreiflicherweise wenig genug und nur, was man auf den ersten Anblick wahrgenommen hatte. Die genauere Untersuchung war, wie ihr wißt, jetzt jedoch schon im Gange. Nach des Raths Mittheilung war der Sachverhalt folgender: Schenk hatte gegenwärtig mehrere sehr verwickelte Fälle vorliegen und dadurch so viel Arbeit, daß er nicht nur früher aufstand als sonst, sondern auch an Tagen, wo keine Sitzungen und Verhöre stattfanden, jede Störung verboten und mehr als einmal erst zum Mittagsessen um ein Uhr oder noch später sein Zimmer verlassen und seiner Mutter guten Morgen gesagt hatte.

„Es war daher nicht weiter aufgefallen, als er auch heut über die Speisestunde hinaus auf sich warten ließ – er war, wie ich schon berichtet, ein sehr frugaler Mensch, der außer seinem Kaffee, den er sich selbst bereitete, Morgens nur ein Stück Brod genoß, das er gleichfalls im Zimmer vorräthig hielt, um eben von der Tagesordnung der Seinen in Geschäften nicht gestört zu werden. Heut war die Uhr aber Drei geworden, wo sich denn die Mutter endlich bewogen fand, nach ihrem Sohn zu sehen. Die Thür war auffälliger Weise verschlossen, was sonst niemals der Fall, und es blieb auf alles Pochen und Rufen drinnen todesstill, so daß die alte Dame wohl ein Unglück ahnen mußte und zugleich zum Schlosser und Arzt schickte. Als man eindrang, zeigte sich das Unglück viel schrecklicher, als sie irgendwie gefürchtet. Schenk lag todt auf dem zerwühlten Bett, mit mehreren Wunden am Kopf und in der Brust. – Die alte Frau wurde ohnmächtig. Der Arzt versicherte sich des Schweigens der übrigen Anwesenden, schloß die Thür und ging zum Präsidenten, Meldung zu machen. Das war alles, was Huber uns einstweilen mittheilen konnte.

„Wir gingen nach einiger Zeit still auseinander, und ich machte mich zu dem theuren Hause, um die arme Frau und den geschiedenen Freund zu sehen; mir war noch immer zu Muth, als sei alles Gehörte nur ein wüster unheimlicher Traum gewesen, der schier unmöglich zur Wahrheit werden konnte. Allein es war leider eine nur zu schreckliche Wahrheit. – Die alte Dame ließ sich nicht sprechen, jedoch um meinen Besuch am folgenden Morgen bitten. Die Leiche sah ich auch nicht, da man bereits die Section vornahm. Und so ging ich dumpf und stumpf nach Hause und starrte von meinem Fenster nach dem hinüber, hinter welchem ich so oft das Licht von Schenk’s Lampe erblickt und von demselben mich zu einem Besuch bei dem theuren Freunde hatte fortziehen lassen. Erst spät, nach neun Uhr, ging ich zum Abendessen auf die Harmonie, – Hunger hatte ich nicht, aber ich mußte Menschen sehn, ich mußte über das Unglück reden, womöglich Näheres erfahren. Es war am Mittwoch, dem gewöhnlichen Gesellschaftsabend, und die Gerichtsbeamten waren dann, so weit sie Mitglieder, gewöhnlich alle da. Ich hatte nur nicht daran gedacht, daß die meisten schon um neun Uhr nach Hause zu gehen pflegten.

„So traf ich denn nur noch ein paar Cameraden und wenig Andere, unter diesen jedoch zu meiner großen Freude den Rath Huber. Er wußte noch nichts Näheres, sagte aber zu mir im Auf- und Abgehen leise, ich möge mich zu ihm halten. Er wisse, daß der mit der Untersuchung beauftragte College – es war ein Assessor Sterning – nach Beendigung der dringendsten Geschäfte herkommen und zu Nacht essen werde; man halte ihm die Speisen bereit. Dann solle er uns mehr von dem traurigen Fall berichten. – Ich ergriff diesen Vorschlag natürlich mit beiden Händen, und als ich selber kaum gegessen, trat Huber, der inzwischen mit dem Wirth geredet, wieder zu mir und flüsterte mir zu, Sterning sei bereits da, in einem kleinen Hinterzimmer, weil er nicht in Gesellschaft sein möge, werde uns Beide jedoch gern bei sich sehen. Wir machten uns also hin.

„Der Assessor drückte uns ernst, fast finster die Hand. „Ich bin heut Abend, nach dem Unglück, nicht umgänglich,“ sagte er, „aber Sie Beide sind mir willkommen. Sie waren mit Schenk genau bekannt und haben vielleicht irgend etwas von ihm und seinem Leben erfahren, was uns in der Verfolgung dieser unseligen Geschichte förderlich sein kann. Mit einem Wort, meine Herren, alles, was man bisher erkundet, deutet auf nichts weniger als auf einen eigentlichen Raubmord oder dergleichen hin. Vielmehr ist das Verbrechen sichtbar auf das Vorsichtigste eingeleitet und mit einer Ueberlegung, mit einer Kenntniß und Benutzung der Localität, der Lebensweise, der Gewohnheiten des Opfers ausgeführt worden, wie man sie bei einem Menschen gewöhnlicher Extraction weder annehmen darf, noch jemals finden wird. Sie sind ja auch ein alter Criminalist, Herr Rath; urtheilen Sie selbst!“ Und damit erzählte er, was ich jetzt kurz zusammenfassen muß, auf das Eingehendste und Klarste, und zeichnete uns sogar den Grundriß des Locals auf, um Alles noch deutlicher zu machen.

(Fortsetzung folgt.)


Elf Blutzeugen deutscher Freiheit.
Erinnerung eines Siebenzigjährigen.

Es war eine wilde stürmische Septembernacht des Jahres 1809, als ich, von Düsseldorf heimkehrend, vor Wesel, meiner Vaterstadt, anlangte. Vergebens forderte ich am Thore Einlaß; statt des brummenden Invaliden mit dem verwetterten und doch gutmüthigen Gesichte, der mich sonst gegen Verabreichung eines kleinen Trinkgeldes nach kurzem Parlamentiren einließ, stießen mich dieses Mal bärtige finstere Männer zurück, die in französischer Sprache in das Sturmwetter hinausfluchten. Meiner Versicherung, daß ich Weseler Kind sei und im Vaterhause erwartet werde, setzte man kurze Antworten und Drohungen entgegen, und so blieb mir schließlich, um dem strömenden Regen zu entgehen, nichts übrig, als vor der Stadt Schutz zu suchen. Nach vieler Mühe gelang es mir, etwa eine Viertelstunde von der Stadt in der Richtung der Porte de Secours in einer elenden, nur von armen Fuhrleuten und Sandkärrnern besuchten Schenke ein Unterkommen zu finden. Zorn und Trauer über das schmachvolle Elend des Vaterlandes hielten mich wach. Aber auch die Neugierde regte mich auf. Weit und breit zitterte Alles vor der napoleonischen Macht, nirgends war ein Feind in der Nähe und doch war die Stadt verschlossen, als wenn ein Ueberfall bevorstände. Welch Unheil brütete in ihren


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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_004.jpg&oldid=- (Version vom 10.8.2018)