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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

schönen Poesien die bekannteste und beliebteste geblieben. 1830 erschien zuerst sein Skizzenbuch, wofür er damals in seiner Vaterstadt Stettin gern einen Verleger gefunden hätte. Er trat in dem Buch zugleich als Dichter und Maler auf, frisch, anmuthig, frei, wie auch sein späteres Leben geblieben ist. Mit dem vorhin genannten Liede ist’s wie mit jenem schönen von Eichendorff:

In einem kühlen Grunde,
Da geht ein Mühlenrad.

Tausende singen es, wie jenes von Kugler, ohne den Dichter zu kennen, oder sich seiner zu erinnern. Es sind Volkslieder im echten Sinne des Worts geworden. Es ist lange her, daß Eichendorff das Lied gedichtet. In des Verfassers Roman „Ahnung und Gegenwart“, dieser Irrfahrt romantischer Vaterlandsliebe, der 1815 erschienen ist, steht es bereits, während es einige Jahre früher, 1812, gedichtet worden sein soll. Der Roman ist vergessen, aber das Lied ertönt immer auf’s Neue wieder; ist’s nicht nach der Volksweise von Friedrich Glück, der als Pfarrer zu Schombach in Schwaben 1841 gestorben ist, so doch nach der Composition von Conradin Kreuzer. Erz und Marmorstein vergeht, doch das Lied des Dichters bleibet immerdar.

Joseph Freiherr v. Eichendorff wohnte in Berlin nahe vor dem Potsdamer Thor, rechter Hand. Er mußte das Stückchen Wald, das Berlin in seinem Thiergarten bietet, nicht fern haben, er konnte ohne Waldrauschen und Vogelsang nicht leben – und die Posten, die dazumal noch fast stündlich vor seinem Fenster vorüberfuhren, hielten die Sehnsucht in seinem Herzen wach.

Wie also übrigens Chamisso, der im Jahre 1819 Behrenstraße 31 wohnte, und ebenso Franz Kugler sich aus dem Hause Hitzig’s die Gattin holten, so hatte dies bereits früher Neumann, der ja mit Chamisso, Varnhagen und Theremin zu einem Bunde vereinigt erscheint, Gleiches gethan, indem er die Pflegetochter Hitzig’s zur Gattin erwählte. Der von ihnen gemeinsam herausgegebene Musenalmanach vom Jahre 1804 ist vergessen. Wilhelm Neumann wohnte Taubenstraße 34. Daß aber nicht blos Musenalmanach und dergl. leicht vergessen werden, sondern auch selbst bessere Roman, und Novellen von den Wogen der Zeit rasch hinweggeschwemmt werden, zeigt sich an den Werken Heinrich Steffens’, der im Stobwasser’schen Hause, Wilhelmsstraße Nr. 98, wohnte. Wie reich an köstlichen Schilderungen, an tiefer, innerer Wahrheit sind seine „Vier Norweger“, wie herrlich seine „Familie Walseth und Leith“! Es sind einige dreißig Jahre her, daß diese Sachen zuerst erschienen; und nun? – Vorüber! Vorüber!

Wir hatten gebauet ein stattliches Haus!
Das Haus mag zerfallen – was hat’s denn für Noth?
Der Geist lebt in uns Allen – und unsre Burg ist Gott!

heißt es im Jenaer Burschenliede. Und das Wort möge uns trösten. Jeder Schriftsteller streut nur Samen aus, er weiß nicht wohin derselbe fällt und wo er aufgeht. Unzähliges wird zertreten – aber Einzelnes geht auf – und trägt hundertfältige Frucht. In Steffens ließ der Philosoph den Romandichter nicht zu voller Geltung gelangen, wie es ähnlich bei Friedrich von Sallet der Fall war. Der Philosoph überwucherte auch hier zuletzt den Dichter mehr und mehr. Als Sallet in Berlin war, wohnte er kleine Hamburgerstraße No. 7. Damals war sein Inneres noch nicht zum Durchbruch gekommen, wenn auch schon jetzt seine Gedichte sich mehr durch Schärfe des Verstandes, als durch Schmelz der Sprache und lyrische Weichheit vor denen seiner Mitstrebenden, mit denen er zu Dichterischem Bunde vereinigt dastand, auszeichneten. Sein ganzes Wesen hatte etwas Abgeschlossenes, Kurzes, obgleich auch ihm der brausende Schaum der Jugend, die tolle Lust des werdenden Dichters nicht fehlte; er blieb nicht zurück, als die Freunde in „mondbeglänzter Zaubernacht“ sich aufmachten, vor das Thor zogen, um sich von dem damals ewig heiteren B…, dem jetzigen Redacteur einer unserer gelesensten Zeitungen, eine Rede am Rabenstein, unterm Galgen halten zu lassen. Daß auch er dem frohen Sang, dem lauten Becherklang nicht abhold war, beweist sein Epos „die wahnsinnige Flasche“, das er vom Rhein aus seinem Freunde Ferrand widmete und sendete, zum Zeichen, daß die Erinnerung an froh zusammen durchlebte Stunden in ihm wach geblieben sei. In den Jahren 1837–38 wohnte Sallet bei seiner Mutter unter den Linden, im Blücher’schen Hause. Damals zeigte sein Gesicht noch nicht den Ausdruck, den sein Bild, welches von ihm existirt, wiedergiebt. Das Bild zeigt nicht den Dichter der wahnsinnigen Flasche, des Märchens „Schön Irla“, oder des in alte Lesebücher und Anthologien übergegangenen launigen Gedichts „Ziethen“; – es ist das Abbild des Verfassers des „Laienevangeliums“. Es scheint, als habe der Dichter, wenn anders das Bild ähnlich ist, auch im Aeußeren gleichsam seine innere Gesinnung darthun wollen. Wer die Unterschrift des Bildes nicht beachtet, meint einen Christuskopf vor sich zu haben der Art, wie man den Herrn, namentlich aus neueren Gemälden, zu erblicken pflegt. Es fehlt nur die Unterschrift: Mein Haus ist ein Bethaus, ihr aber habt es zur Mördergrube gemacht; – um so mehr, wenn man nicht vergißt, daß der Genannte der Verfasser der „Atheisten und Gottlosen unserer Zeit“ ist, der unter Anderm auch in Bezug auf die Ehe mit einer Schärfe, Bitterkeit, und doch inneren christlichen Keuschheit geschrieben hat, wie man es sonst selten findet. Trotz dem Allen hat das Bild etwas Prätentiöses, was in jüngeren Jahren dem Dichter fern zu liegen schien.

Einer der Mitstrebenden und Genossen Sallet’s in Berlin war Julius Minding, Verfasser eines größeren Lehrgedichts „das Leben der Pflanze“. Das Buch ist vergessen, wogegen sein patriotisches Preußenlied „Fehrbellin“ seit seinem Bekanntwerden unausgesetzt sich in allen preußischen Lehrbüchern für Schulen findet, wie dies auch mit einzelnen seiner Lieder vom alten Fritz der Fall ist.

Der kleine, von Ansehn unscheinbare Mann hat des Lebens Schicksale auf eigenthümliche Weise erfahren. Mit seinem Freunde, dem Dr. V…, wenige Häuser von Alexander von Humboldt, Oranienburgerstraße 65 wohnend, wo auch sein schöner Sonettenkranz „Daß ich Dich liebe, ist’s warum ich leide“ erlebt und gedichtet wurde, soll er durch mannigfache Speculationen ein enormes Vermögen (die Welt fabelte von einer halben Million erworben haben – um wenige Jahre darauf, dasselbe ebenso leicht verlierend, arm nach Amerika zu flüchten. Nachdem er dort in New York mit seinem gleichfalls geflüchteten Freunde ein ärztliches Bureau etablirt hatte, fand man ihn, wenige Monate darauf, am 7. Sept. 1850 auf dem Sopha liegend todt. Er hatte sich selbst durch Blausäure vergiftet! Und solcher verkommenen, untergegangenen Geister vermöchten wir mehrere zu bezeichnen. Wozu?

Die Woge der Zeit wird immer Einzelne aus der Bahn treiben und zerschellt an das Ufer spülen; das Leben der Schriftsteller ist nun einmal ein Gemisch von Hoffnungen und Täuschungen, und die egoistische Redensart: „Das Talent bricht sich immer Bahn!“ ist für sie am wenigsten anwendbar. Träumer sind sie Alle – und das Unpraktische klebt den Einzelnen mehr oder weniger an. Trotz der Schillerstiftung werden deutsche Dichter verkommen; und wenn es geschehen, werden „Kluge“ kommen und sagen, wie es hätte anders sein können und müssen, – wie dies noch jüngst bei dem Tode des Verfassers des Trauerspieles „Johanna Gray“, Bonn 1854 erschienen, geschah, nachdem derselbe am 5. Sept. 1860 im katholischen Krankenhause gestorben war. Er hieß Burghardt – und soll verhungert sein!

F. Brunold. 




Aus dem Norden.
Von Brehm.
II. Die Vogelberge.

Der hauptsächlichste Zweck meiner Reise in Norwegen war, einmal mit eigenen Augen das Leben der Seevögel und zwar während der Brutzeit zu beobachten. Mit Ausnahme der Alken waren die übrigen Schwimmwögel, welche ich zu finden hoffen durfte, sämmtlich alte Bekannte von mir. Schon in Afrika und später in Spanien hatte ich sie in ihrer Winterherberge beobachtet und mich ziemlich vertraut mit ihnen gemacht; allein von ihrem Zusammenleben während der Brutzeit wußte ich noch so viel als gar Nichts, trotz aller der trefflichen Schilderungen, welche ich davon gelesen hatte. Denn Derjenige, welcher sich mit einer Sache ausschließlich beschäftigt, verlangt natürlich sie gründlich kennen zu lernen: er verlangt, wenn es irgend angeht, mit eigenen Augen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_012.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)