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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Im hohen Hause.

Eine Geschichte von Edmund Hoefer.
(Fortsetzung)


„Das Schlafzimmer Schenk’s lag auf der äußersten rechten Seite des Hauses und war nur durch das daneben liegende Wohn- und Arbeitszimmer zugänglich. Links lagen noch zwei weitere Stuben, die nur bei einer der Herrengesellschaften, welche Schenk zuweilen gab, benutzt wurden, und in deren vorderster auch die Bücher aufgestellt waren, deren der Ermordete sich nur selten bediente. Beide Stuben waren von innen verschlossen, und die Schlüssel steckten noch in den Schlössern, so daß der Mörder hier weder herein noch hinaus gelangt sein konnte. Die Thür des Arbeitszimmers war, wie ihr schon wißt, heut gleichfalls verschlossen gewesen, etwas das sonst nie geschah. Schenk war im Ganzen sehr sorglos, und überdies wurde Abends die Hausthür stets zeitig verschlossen, auch wohnte jetzt, damit er stets bei der Hand, ein Gerichtsdiener in einem Parterrezimmer und versah gewissermaßen Portierdienste, so daß es wenigstens nicht leicht war, das Haus zu betreten, ohne von ihm gesehen zu werden.

„Der Schlüssel des Arbeitszimmers steckte nicht im Schloß, sondern fand sich nach Eröffnung der Thür auf dem nächsten Stuhl liegend und war, während einige andere Gegenstände, die der Mörder berührt, blutige Fingerspuren zeigten, vollkommen sauber, ebenso wie die Thürklinke, obgleich dieselbe nothwendig berührt und geöffnet sein mußte, um den Schlüssel, der stets draußen steckte, hereinholen zu können. Dies erklärte sich jedoch dadurch, daß der Thäter vor seinem Weggange sich die Hände gewaschen hatte, wie das blutige Wasser im Waschbecken und Spuren am Handtuch bewiesen.

„Daß der Mörder durch die Thür hinausgegangen, mußte man nothwendig annehmen, obgleich es nicht erklärlich war, weshalb er sich die Mühe gemacht, sie hinter sich durch einen Nachschlüssel abzusperren. Hierin offenbarte sich zugleich eine Unbekanntschaft mit einer der Gewohnheiten seines Opfers, die um so mehr auffallen mußte, da er alle übrigen sichtbar nur zu gut gekannt hatte. Und man hätte doch annehmen sollen, daß die Eigenheit Schenk’s, sein Zimmer Nachts nicht zu verschließen und den Schlüssel draußen stecken zu lassen, gerade am allermeisten in die Augen fallen mußte.

„Der Mörder hatte, wie es fast schien, seinen Weg verbergen wollen; darauf deuteten wenigstens die geöffneten Doppelfenster des Schlafzimmers hin. Doch konnte sich niemand dadurch täuschen lassen, denn da die Stockwerke des Hauses sehr hoch waren und Schenk, wie gesagt, im dritten wohnte – ich rechne das Parterre mit – so war das Fenster mindestens vierzig Fuß über dem Pflaster des Hofes, in einer fast ganz glatten Mauer, deren saubere Fläche überdies nicht die geringste Spur zeigte, daß ein Mensch hier auf irgend eine Weise hinauf oder hinab gelangt sei. Ein Seil hätte solche Spuren hinterlassen müssen und nachdem es zum Hinuntersteigen benutzt, sich oben ohne fremde Hülfe nicht mehr ablösen lassen. Eine Leiter, wäre eine so lange auch in der Nähe vorhanden gewesen, ließ sich nicht ohne Geräusch und auch schwerlich von einem Menschen allein aufrichten. Alles wies aber nur auf einen Thäter hin, und die Mutter Schenk’s hatte, obgleich sie, wie häufig, auch in dieser Nacht viel gewacht, nichts Ungewöhnliches vernommen. Sie hatte aber freilich auch nicht gehört, daß jemand die Treppe passirte, obschon ihr Gehör sonst noch gut und ihr Schlafzimmer unmittelbar neben der Treppe lag.

„Daher erwog die Behörde auch so genau, ob der Mörder einen andern Zugang als die Thür überhaupt habe benutzen können. Denn es war fast unmöglich, daß die ängstliche alte Frau einen Schritt auf der Treppe, das Schließen der oberen oder einer andern Thür nicht vernommen haben sollte, zumal es nachweisbar war, daß sie gerade während der Ausübung des Verbrechens gewacht haben mußte.

„Es gibt kein wahreres Sprüchwort als: es ist nichts so fein gesponnen, es kommt ans Licht der Sonnen, – und es bleibt eine gewissermaßen beruhigende Thatsache, daß nicht ein Verbrechen schlau genug eingeleitet oder vollbracht wird, um nicht durch irgend etwas, und wäre es auch anscheinend das Allerunbedeutendste und Gleichgültigste, ein Licht auf den Thäter und sein Thun fallen zu lassen. Ein solches Etwas fand sich auch hier.

„Es stand im Schlafzimmer ein altes Schränkchen, ein Ding wie ein kleiner Secretair – über vier hohen, spindeldürren Beinen eine Schublade, darüber der mit der niederzuschlagenden Klappe verschlossene Raum für allerlei Fächer, Schublädchen und so weiter. Diese Klappe war geöffnet worden – Schenk hatte in dem Möbel seine wichtigsten Papiere, alten Familienschmuck und Erbstücke und was dergleichen mehr ist – und da sie, wie ich von dem Freunde selber gehört hatte und den andern beiden Herren mittheilen konnte, neuerdings seltsamer Weise gequollen war und sehr schwer aufging, so mußte das ganze alte wackelige Möbel, vollends wenn ein Uneingeweihter die Oeffnung versuchte, stark erschüttert werden. Durch diese Erschütterung war eine alterthümliche Uhr, gleichfalls ein Erbstück, die oben auf der Platte stand, umgeworfen worden – das Glas über dem Zifferblatt war zerbrochen, und die polirte Platte zeigte nicht nur ein paar Schrammen, sondern es fanden sich dort


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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_017.jpg&oldid=- (Version vom 4.11.2022)