Seite:Die Gartenlaube (1861) 023.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Die Spiritualisten und die Wissenschaft.

Tischdrehen. Tischklopfen. Tischschreiben.

Zu jener Zeit, als die erste Nachricht vom Tischrücken durch die Zeitungen lief, befand ich mich in der kleinen Stadt B. Die Bewohner derselben gehörten ihrer eigenen Meinung nach durchaus zu den Aufgeklärten des neunzehnten Jahrhunderts, und jene Zeitungsnotiz wurde daher schlechtweg als ein „Unsinn“ und „Humbug“ belächelt und vergessen. Als aber bald darauf die Augsburger Allgemeine mittheilte, daß schon in X. zu wiederholten Malen schwere Tische von nur wenigen Personen gedreht worden wären, kam die Sache wieder in Erinnerung, und Einige, worunter ich gehörte, entschlossen sich, dem Gelächter zum Trotz, das genau beschriebene Experiment nachzumachen. Wir hatten uns gegenseitig verpflichtet, auf den Tisch keinerlei Kraft auszuüben. Trotzdem aber setzte er sich nach einiger Zeit in eine Bewegung, die bald rascher und rascher wurde, so daß wir endlich mit einer solchen Geschwindigkeit in der Stube umherliefen, daß Einer aus dem Kreise heraussprang und der Tisch dadurch auf die Seite geschleudert wurde. Dies ging in Gegenwart einer ziemlich großen Gesellschaft vor; und die Kunde davon verbreitete sich bald in der ganzen Stadt. Das Tischdrehen wurde in allen Familien versucht, und da es auch überall gelang, so entstand eine wahre Manie, alle leblosen oder belebten Körper auf die „neue Kraft“, womit man das Phänomen kurzweg erklärte, zu untersuchen. Man legte die Hände auf Teller, Hüte, Fässer, Papier, ja auf Menschen – und Alles drehte sich. Ich wurde mit all diesen Variationen bekannt, und ich erwähne dies hauptsächlich, um mir den spätern Einwand fern zu halten, als wäre ich mit der Technik des Tischrückens nicht vollständig vertraut. Ich war ein ganz braver Tischrücker so lange, bis es mir möglich war, die Erklärung aller Erscheinungen, die hier in Frage kommen können, aus einfachen, unbestreitbaren, natürlichen Gesetzen abzuleiten.

Den Lesern der Gartenlaube sie mitzutheilen, ist mein Zweck; ich muß aber zuvor bemerken, daß das, was ich sagen werde, durchaus nichts Anderes ist, als was die Wissenschaft, und als einer der Ersten der neulich von England aus in diesem Blatte verdächtigte Faraday, gesagt hat. Daß diese eine Wahrheit, die es eben nur giebt, früher ignorirt worden ist, ist die Schuld des Volkes und seiner Lust am Verhüllten, nicht die der Gelehrten.

So wie in B. breitete sich die Tischrückwuth überall aus. Erst lachte man über die Mittheilungen davon, hierauf sah man mit eigenen Augen, man drehte selbst, und durch das Gelingen dieses Versuches wurde der früher ungläubige Saulus zum fanatischsten Paulus gesotten, der sich gegen jede Belehrung mit Händen und Füßen sträubte. „Ich habe es früher auch nicht geglaubt, aber seit ich es selbst probirt habe, bin ich belehrt“; – daß Wissen etwas ganz Anderes sei, als Glauben, ist leider einem großen Theile der Gebildeten etwas noch Unbekanntes. Daß sich der Tisch dreht, leugnen wir nicht, wir wollen diese Drehung nur als nothwendig, als natürlich erklären.

Wir setzen voraus, daß unsre Leser mit der Art und Weise, wie die Kette gebildet wird, bekannt seien; denn obwohl gar nichts darauf ankommt, daß die kleinen Finger dabei aufeinander liegen, so ist es doch wichtig, daß beide Hände etwas entfernt vom Körper aufgelegt werden.

In dem Artikel über den Ring im Glase haben wir vorbereitungsweise erörtert, wie nach und nach, wenn unsere Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Punkt gerichtet ist, die Muskeln, ohne daß wir es bemerken, in den Zustand des Zitterns gerathen und kleine Stöße in regelmäßiger Aufeinanderfolge auf den darunter liegenden Gegenstand ausüben. Auf die Platte des Tisches wirken diese als ein Druck, der sich, je mehr im Verlauf der Zeit der Geist die Controle über die afficirten Muskeln verliert, mehr und mehr verstärkt. Es hilft gar nichts, daß alle Menschen betheuern, von ihren Händen ginge kein Druck aus. Ihr lieben Leute wißt das nicht! – eben so wenig, wie ich es, ehe ich mich davon überzeugte, geglaubt habe. Legt nur unter die Finger und unter den Ballen der Hand eine Lage weichen Teiges (etwa ½ Zoll dick), so wird es, wenn Ihr Euch die Augen verbinden wollt, damit Ihr unbefangen bleibt, nicht lange dauern: die Finger drücken sich in die weiche Masse ein, je länger, je tiefer; ebenso quetscht der Ballen der Hand den Teig auseinander. Oder bestreut den Tisch mit einer feinen Schicht Hexenmehles und bildet die Kette. Bei einer völlig ruhigen Lage der Hände darf das zarte Pulver nur an den von den Fingerspitzen berührten Theilen der Tischfläche verwischt werden; allein nach kurzer Zeit schon, noch lange bevor der Tisch sich dreht, macht es sich durch die Verwischung des Hexenmehles bemerklich, daß sich größere Berührungsflächen gebildet haben, weil sich der Druck, mit dem sich die Finger auflegen, vergrößert hat. Oder aber auch: man stelle auf den Tisch einen Teller, dessen Boden mit einer Schicht Quecksilber bedeckt ist. Bleibt der Tisch ruhig, so wird der klare Spiegel des Metalles keine Wellenringe zeigen; beim Tischrücken aber bleiben dieselben nie aus, im Gegentheil geräth dabei das Quecksilber häufig in solche Erschütterungen, daß es über den Rand des Tellers herausspritzt.

In den Fällen, in denen man durch diese Mittel einen Druck der Hände nicht angezeigt bekommt, bewegt sich der Tisch nie. Da man diese Erfahrung früher schon gemacht hat, ist man ihr auch schon aus dem Lager der Dreher begegnet. Teig und Hexenmehl sollte man nicht zwischen Tisch und Hand bringen, weil die Ueberleitung der Kraft, die durch die Kette erzeugt würde, dadurch gehindert sei. Auch gut – man ließ die Hände direct auf den Tisch legen, aber so, daß der Ballen auf einer rings um den Tisch laufenden, feststehenden Leiste ruhte, welche den Druck aufnehmen mußte, – so daß nur die Spitzen der Finger die Tischplatte berührten. Trotz der vollkommenen Leitung, die auf diese Weise hergestellt war, bewegte sich der Tisch nicht; und wir glauben in dem Angeführten genug Beweise gegeben zu haben, daß ein Druck von den Händen unwillkürlich ausgeübt wird, und daß dieser Druck die Ursache der Bewegung des Tisches ist, denn wo er wegfällt, oder wo er keinen Angriff findet, wie wenn man einen feinpolirten Tisch mit Oel begießt und darauf die Hände legt, da steht auch der Tisch still.

Wollen wir aber uns darüber klar werden, auf welche Weise aus den verschiedenen von jeder Hand ausgeübten Drucken die Drehung des Tisches hervorgeht, so müssen wir uns zuvor zweier Gesetze aus der Mechanik erinnern. (Die liebenswürdigen Leserinnen mögen das Folgende getrost überschlagen.) 1. Wenn zwei Kräfte gleichzeitig nach verschiedenen Richtungen auf einen frei beweglichen Körper wirken, so ist ihre Wirkung, als ob auf denselben Körper nur eine einzige Kraft von der Größe und Richtung der Diagonale desjenigen Parallelogramms wirke, welches sich aus den beiden Kräften construiren läßt, wenn wir ihre Größe und Richtung durch Linien uns versinnlichen.

Drücken in Fig. 1 also P und Q zwei solche Kräfte aus, die auf einen in ihrem

Durchschnittspunkt befindlichen Körper wirken, so sucht sich dieser in der Richtung von R und mit einer der Länge von R entsprechenden Geschwindigkeit fortzubewegen. Wenn auf einen Kahn gleichzeitig die Kraft des Windes und die Strömung des Wassers wirkt, so wird der Weg, den derselbe einschlagen will, weder in der Richtung des einen noch in der des andern liegen, sondern zwischen beiden. Der Schiffer, welcher über einen rasch fließenden Strom setzen will, segelt deshalb auch nicht gerade auf den Landungsplatz zu, sondern so, als ob er weiter oberhalb anlegen wollte. Die Richtung, die sein Kahn durch den Wind erhält, setzt sich mit der, die ihm das Wasser giebt, erst zu derjenigen zusammen, die ihn an den gewünschten Punkt bringt. Die aus zwei oder mehreren Kräften entstehende Mittelkraft nennt man die Resultirende und das betreffende Gesetz das Gesetz vom Parallelogramm der Kräfte.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_023.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)