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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

hinab, die beiden Herren können sich dann im Thannet da unten anstellen.“ Mit diesen Worten entfernte er sich.

„Und ist die Geschichte wirklich wahr?“ sagte ich, als Nickl fort war, „und war es den Gerichten nicht möglich, eine Spur von den Thätern aufzufinden?“

„Was die Wahrheit der Geschichte betrifft, so ist darüber kein Zweifel. Uebrigens ist Nickl nicht der Mann dazu, die Gerichte viel mit seinen Angelegenheiten zu plagen. Er ist oder war wenigstens, wie man sagt, Kläger, Richter und Vollstrecker des Urtheils in eigener Person. Von allen denen, die damals beisammen waren, ist keiner mehr übrig, um über die Geschichte zu lachen.“

„Du wirst doch nicht sagen wollen, daß er alle erschossen habe?“ sagte ich ganz entsetzt.

„Das sage ich auch nicht,“ sagte mein Gefährte, indem er zweideutig die Achsel zuckte. „Genug, es ist eben keiner mehr da! Doch halt, da bleib stehen, hier kannst Du am ersten zum Schusse kommen, wenn Du überhaupt noch Dein altes Glück hast.“

Ich lächelte bei dieser Anspielung auf unsere früheren gemeinschaftlichen Jagden, und wie er vorausgesagt hatte, schoß ich bald darauf einen schönen Sechserbock. Gleich darauf knallte weiter unten ebenfalls ein Schuß.

Während Nickl, der inzwischen einen Rundgang gemacht, den Bock aufbrach, erzählte er, daß ihm unten beim Durchgehen ein kleiner fremder Hund angesprungen sei, der so eifrig jagte, daß er ihn nicht eher gewahrte, bis er ihn anrief.

„Das ist wieder einer von den Böhmischen drüben,“ sagte mein Freund, „wir müssen ihnen doch noch einige wegschießen, sie jagen gar zu oft herüber. Hättest ihn schießen sollen.“

„Ja, ich wollte das auch und war schon mit dem Gewehre aufgefahren, aber es war so ein nettes, gelbes Hündchen, und wie er dastand, einen Vorderfuß in die Höhe und den Kopf etwas bei Seite geneigt, und mir gar so treuherzig in die Augen sah, als wollte er sagen: „Nun sei nur nicht böse, es ist ja weiter nichts als ein bloßer Irrthum, daß ich da bin,“ da konnte ich es nicht über’s Herz bringen zu schießen. Und als ich das Gewehr wieder absetzte, sprang es wieder zurück, und jetzt bin ich froh, daß ich es nicht gethan habe.“

Ich kann’s nicht leugnen, ich hatte eine Art Abneigung gegen Nickl gefaßt, weil ich ihn für einen Menschen ohne Gefühl hielt. Dieser kleine Zug seiner Gutmüthigkeit machte Alles wieder gut. Der Mensch hatte wirklich ein Herz.

Nun betraten wir die Seebacher Aue. Ein drei Viertelstunden langer Pfad, der so schmal war, daß nicht Zwei nebeneinander gehen konnten, führte durch dieselbe. Links und rechts steht undurchdringliches Gebüsche, stachliges Brombeergesträuch und Dornhecken machen ein Eindringen in dasselbe unmöglich und sperren jeden Luftzug. Die dem sumpfigen Boden entsteigende Feuchtigkeit bei einer Hitze von 24° R. machte diesen Weg zu einer anstrengenden Wanderung, um so mehr, als bereits Mittag vorüber und wir seit drei Uhr Morgens auf den Füßen waren. Ich glaubte wahrhaftig neugeboren zu sein, als ich diese Hölle hinter mir hatte und wieder den schattigen freien Hochwald betrat.

Noch eine Stunde Wanderns, und dann sahen wir wieder Culturland. Da standen braune, schindelgedeckte Häuser in der Mitte grünender Wiesen zwischen schattigen Obstbäumen, und von der Höhe jenes kegelförmigen Berges blickt freundlich das Dörfchen Kreuzberg hernieder und gewährt mit seinem spitzen Kirchthurm einen gar lieblichen Anblick, während links unterhalb die Schönbrunner Glashütte mit ihren langen, braunen Gebäuden zu beiden Seiten des schloßartig aussehenden Wohnhauses sichtbar wird. Hier wird ein ausgezeichnetes Bier gebraut.

Erst spät, als der Vollmond hoch am Himmel stand, dachte ich an den Heimweg und trennte mich von meinem Freunde und Nickl, dem Huronen, der inzwischen dem Gerstensafte tüchtig zugesprochen hatte, und mir unter kräftigem Handschütteln versicherte, er würde, wenn es darauf ankäme, mir zu Liebe noch ein Maß trinken.




Friedrich Ernst Daniel Schleiermacher.

Je mehr in neuerer Zeit auf dem kirchlichen Gebiete und besonders innerhalb des Protestantismus eine dem Geiste desselben widersprechende Hierarchie sich geltend macht, Bildung und Fortschritt für Abfall vom Glauben, Toleranz und Duldung für mattherzige Schwäche gehalten, die Umkehr der Wissenschaft und ein beschränkter Pietismus offen und laut gepriesen und gelehrt wird, um so nothwendiger dürfte die Erinnerung an einen Mann und Theologen sein, dessen ganzes Leben und Wirken ein herrliches Zeugniß dafür ablegt, daß Humanität und Wissen mit der wahren Religion stets Hand in Hand geht, daß das Christenthum sich mit echter Bildung nicht nur verträgt, sondern Beide sich gegenseitig heben und unterstützen, daß der Protestantismus Verfolgungssucht und jede Inquisition ausschließt, wenn er nicht seinem Ursprung und seiner innersten Natur zuwiderhandeln und somit sich selbst aufheben und vernichten will.

Dieser wahre Bekenner des Evangeliums war der berühmte Schleiermacher, gleich groß als akademischer Lehrer, als protestantischer Theolog, als christlicher Redner, als geistreicher Schriftsteller und bedeutender Mensch. Er wurde am 21. November 1768 zu Breslau geboren, wo sein Vater als reformirter Feldprediger lebte. Seine Mutter war die jüngste Tochter des Hofpredigers Stubenrauch, eine überaus fromme Frau, der er bei den vielen Abhaltungen seines Vaters die erste Jugenderziehung verdankte. Schon mit fünf Jahren besuchte das frühreife Kind die unter der Direktion des Hofpredigers Heinz stehende Friedrichs-Schule, wo er sich durch sein leichtes Gedächtniß vor den meisten Schülern auszeichnete. Die daraus entstehende Eitelkeit und eine gewisse Heftigkeit des Temperaments bekämpfte die zärtliche Mutter hauptsächlich durch religiöse Vorstellungen, eine planmäßige Gleichmüthigkeit und einleuchtende Gerechtigkeit. Noch mehr wurde sein Stolz durch eigene Erfahrung gedemüthigt, indem er bald die Mangelhaftigkeit seines eigenen Wissens einsehen lernte und an der gepriesenen Größe seiner natürlichen Fähigkeiten zweifelte, weil er sich die einfachsten Dinge, wie das Wasser kocht oder friert, nicht zu erklären vermochte. Seitdem schwebte er in fortwährender Angst, daß auch Andere die Entdeckung seiner Unwissenheit machen würden.

Unterdeß wurden Schleiermacher’s Eltern nach Pleß in Oberschlesien und von da nach der in der Nähe befindlichen Colonie Anhalt versetzt. Hier genoß er einen nur mangelhaften Unterricht; je geringer aber seine wissenschaftlichen und besonders seine Sprachkenntnisse waren, einen desto reicheren Schatz von Sachkenntnissen sammelte er dagegen auf dem Lande durch die Bemühungen seiner Mutter ein. Schließlich aber fand auch der zwölfjährige Knabe den geeigneten Lehrer in einem Schüler Ernesti’s, der sich große Verdienste um seinen Zögling erwarb. Er belebte und weckte Schleiermacher’s Eifer für die gelehrten Sprachen und übte ihn zuerst in der Kunst, über einen Gegenstand ordentlich nachzudenken und das Gedachte zu Papiere zu bringen. Für die Selbstständigkeit und Originalität seines Geistes legte der Umstand Zeugniß ab, daß er lange Zeit all die alten Schriftsteller für untergeschoben hielt, ohne jedoch diesen Skepticismus laut werden zu lassen, da der Zwiespalt zwischen seinem Ruf eines guten Kopfes und dem Gefühle seiner eigenen Befähigkeit ihn äußerst verschlossen machte.

Während dieser Zeit hatten die Eltern auf einer Reise die Erziehungsanstalt der Herrnhutergemeinde in Niesky in der Oberlausitz kennen gelernt und beschlossen, Schleiermacher und seinen jüngeren Bruder derselben anzuvertrauen. Der Vater hatte ihm schon öfters von rein sittlichen Verderben der meisten großen Schulen und den gefährlichen Bekanntschaften auf denselben erzählt, dagegen die unschuldige Frömmigkeit und die weise Mischung von Unterricht und gemeinsamer Erholung in dem Brüderinstitut in so lachenden Farben gemalt, daß der Knabe mit Ungeduld dem Tage seiner Abreise entgegensah. Dieser verzögerte sich viel zu lange für seine Ungeduld, da die Einwilligung der Vorsteher nicht so leicht zu erlangen war, und außerdem, wie bei allen großen und kleinen Angelegenheiten der Herrnhuter, erst die Entscheidung durch das Loos stattzufinden hatte.

Bis zu dieser Entscheidung hielt er sich mit seinen Eltern in einer andern Brüdercolonie zu Gnadenfrei auf, wo der Grund zu einer Herrschaft der Phantasie in Sachen der Religion für ihn gelegt wurde. Schon in seinem elften Jahre kostete es dem lebhaften

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_028.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)