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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Dadurch wurde er vor einer einseitigen theologischen Auffassung behütet, indem er das Walten der Gottheit in den großen historischen Ereignissen erfaßte.

Nur zwei Jahre war es ihm vergönnt, die Universität zu besuchen; nach Beendigung seiner Studien folgte er dem Oheim Stubenrauch, der seine Professur mit einer Predigerstelle zu Drossen in der Neumark vertauscht hatte, um sich unter dessen specieller Leitung für sein Examen vorzubereiten. Durch Empfehlung des Hofpredigers Sack erhielt er zunächst eine Hofmeisterstelle bei dem Grafen Dohna zu Schlobitten in Preußen, wo er drittehalb recht glückliche Jahre verlebte und sich die Achtung und Liebe dieser hochgestellten und gebildeten Familie erwarb. Im Jahre 1793 eröffnete sich ihm eine neue Laufbahn; er wurde Mitglied des Seminars für gelehrte Schulen, das unter der Leitung des aufgeklärten Ober-Consistorialrathes Gedicke stand, und zugleich interimistisch als Lehrer an dem Kornmesserschen Waisenhause in Berlin angestellt. Ein halbes Jahr verweilte er in diesen Verhältnissen, als der Prediger Schumann zu Landsberg an der Warthe, ein naher Verwandter Schleiermacher’s, wegen fortdauernder Kränklichkeit ihn zum Gehülfen in seiner Amtsthätigkeit wünschte. Er folgte diesem Rufe um so lieber, da er auch die praktische Seite seines Standes kennen lernen wollte. Aber schon nach kurzer Zeit kehrte er nach Berlin wieder zurück, wohin er einen Ruf als Prediger an der Charité erhalten hatte. Hier in der Hauptstadt entfaltete sich sein großes Talent als Redner, seine ausgezeichneten Predigten machten ihn zunächst bekannt und erwarben ihm zahlreiche Verehrer und Freunde. Hochgebildete Frauen und Männer suchten seinen Umgang und gaben ihm Gelegenheit, sein gesellschaftliches Talent zu entwickeln, seine Kenntnisse und Anschauungen zu erweitern. In jenen Zeitraum fällt zunächst seine nähere Verbindung mit dem berühmten Dichter und Aesthetiker Friedrich Schlegel, mit dem er in Berlin zusammenwohnte, seiner mit der geistreichen Jüdin Henriette Herz, der Gattin des bekannten Arztes. Beide übten einen großen Einfluß auf Schleiermacher aus, durch Schlegel wurde er veranlaßt, sich an der Literatur zu betheiligen. Schon früher hatte er auf Anrathen des Bischofs Sack die Predigten von Blair und Fawcett aus dem Englischen übersetzt; jetzt trat er selbständig mit seinen durch Kühnheit der Gedanken und Vollendung der Form ausgezeichneten „Reden über Religion“ auf, die er an die „Gebildeten unter ihren Verächtern“ richtete. Groß war das Aufsehn dieses Buches, da man eine solche Sprache von einem Geistlichen nicht kannte.

In diesen Reden entwickelte Schleiermacher seine Ansichten über das Christenthum, gleich weit entfernt von einer beschränkten Orthodoxie, wie von einer seichten Aufklärung; überall weht uns daraus der Geist der Freiheit und des Fortschritts wie ein reinerer Lebensodem an. „Nie hat“, so lautet Schleiermacher’s Ueberzeugung, „auch Christus die religiösen Ansichten und Gefühle, die er selbst mittheilen konnte, für den ganzen Umfang der Religion ausgegeben, welche von seinem Grundgefühle ausgehn sollte; er hat immer auf die lebendige Wahrheit hingewiesen, die nach ihm kommen würde, wenn auch nur von dem Seinigen nehmend. So auch seine Schüler. Nie haben sie dem heiligen Geiste Grenzen gesetzt, seine unbeschränkte Freiheit und die durchgängige Einheit seiner Offenbarungen ist überall von ihnen anerkannt worden; und wenn späterhin, als die erste Zeit der Blüthe vorüber war, und er auszuruhen schien von seinen Werken, diese Werke, so viel davon in den heiligen Schriften enthalten war, für einen geschlossenen Codex der Religion unbefugter Weise erklärt wurden, geschah das nur von denen, welche den Schlummer des Geistes für seinen Tod hielten, für welche die Religion selbst gestorben war; aber alle, die ihr Leben noch in sich fühlten oder es in Andern wahrnahmen, haben sich immer gegen dies unchristliche Beginnen erklärt. Die heiligen Schriften sind Bibeln geworden aus eigner Kraft, aber sie verbieten keinem andern Buche, auch Bibel zu sein oder zu werden; und was mit gleicher Kraft wäre, würden sie sich gern beigesellen lassen; vielmehr soll sich alles, was als Ausspruch der gesammten Kirche und also des göttlichen Geistes auch später erscheint, getrost an sie anschließen, wenn auch ihnen als den Erstlingen des Geistes eine besondere Heiligkeit und Würde unaustilgbar beiwohnt.“

Nicht minder freisinnig und echt protestantisch lautete der Ausspruch: – „Wer von demselben Hauptpunkt mit seiner Religion ausgeht, ist ein Christ ohne Rücksicht auf die Schule, er mag seine Religion historisch aus sich selbst oder von irgend einem Andern ableiten; denn das wird sich von selbst ergeben, daß, wenn ihm dann Christus mit seiner ganzen Wirksamkeit gezeigt wird, er ihn auch anerkennen muß als den, der aller Vermittlung Mittelpunkt geworden ist, der wahrhaft Erlösung und Versöhnung gestiftet hat.“ – Wahrhaft christlich mild und duldsam erscheint Schleiermacher gegen Andersgläubige, fern von dem geistlichen Hochmuth und der Verfolgungssucht moderner Pietisten, indem er über diesen Gegenstand sich folgendermaßen vernehmen ließ: „Wenn es nun immer Christen geben wird, soll deswegen das Christenthum auch in seiner allgemeinen Verbreitung unbegrenzt und als die einzige Gestalt der Religion in der Menschheit allein herrschend sein? Es verschmäht diese beschränkende Alleinherrschaft; es ehrt jedes seiner Elemente genug, um es gern als den Mittelpunkt eines eigenen Ganzen anzuschauen; es will nicht nur Mannigfaltigkeit bis ins Unendliche erzeugen, sondern möchte außer sich alle anschauen, die es aus sich selbst nicht herausbilden kann. Nie vergessend, daß es den besten Beweis seiner Ewigkeit in seiner eigenen Verderblichkeit, in seiner eigenen oft traurigen Geschichte hat, und immer wartend einer Erlösung aus der Unvollkommenheit, von der es eben gedrückt wird, sähe es gern außerhalb dieses Verderbens andere und jüngere, wo möglich kräftigere und schönere Gestalten der Religion hervorgehn dicht neben sich aus allen Punkten, auch von jenen Gegenden her, die ihm als die äußersten und zweifelhaften Grenzen der Religion überhaupt erscheinen. Die Religion der Religionen kann nicht Stoff genug sammeln für ihre reine Neigung zu allem Menschlichen; und so wie nichts irreligiöser ist als Einförmigkeit zu fordern in der Menscheit überhaupt, so ist nichts unchristlicher als Einförmigkeit zu suchen in der Religion.“

(Schluß folgt)




Aus dem Norden.
Von Brehm.
II. Die Vogelberge.
(Schluß.)

Ich belauschte die brütenden Vögel bei allen ihren Beschäftigungen. Aus einer Höhle sah ich viel Staub herausfliegen und vermuthete natürlich sogleich, daß sich in ihr ein mit Graben beschäftigter Lund befinden möchte. Ich näherte mich mit großer Vorsicht, und konnte auch unseren Vogel arbeiten sehen. Ob er mit dem Schnabel die Höhle ausmeißelte, konnte ich nicht entdecken, daß er aber die Erde aus derselben mit seinen breiten Schaufelfüßen kräftig heraus warf, sah ich deutlich. Beim Brüten saßen die Thiere ganz ruhig, sobald sie sahen, daß ihnen der Ausgang versperrt war, und schauten, ich möchte sagen, ohne eine Miene zu verziehen, still und ernst auf ihre Störer. Wurden sie aber ergriffen, dann wußten sie von ihrem scharfen und schneidenden Schnabel einen ausgedehnten Gebrauch zu machen und bissen und kratzten mit solcher Wuth, wie ich es vorher noch bei keinem Vogel beobachtet hatte. Sie waren höchst gewandt und sicher und verwundeten mich trotz dicker Handschuhe so empfindlich, daß meine Hand erst nach etwa vierzehn Tagen geheilt ward. Ich nahm mehrere Gefangene mit nach Hause, um sie zu beobachten. Der Alk fiel mir auf wegen seines erstaunlichen Luftfüllungsvermögens, er konnte sich zwischen Fleisch und Haut eine dicke Luftschicht einpumpen, so daß die ganze Haut ringsum bis auf einige Stellen von dem innern Körper gelös’t zu sein schien. Die Lummen und Lunde waren dessen nur in geringerem Grade fähig. Ich band dem Alk einen Faden an die Füße und ließ ihn tauchen, um sein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_030.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)