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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Im hohen Hause.

Eine Geschichte von Edmund Hoefer.
(Fortsetzung)


„Fräulein Beck ging in häuslichen Angelegenheiten mit mir zugleich aus dem Zimmer, und als wir auf dem Flur allein waren, konnte ich nicht umhin, leise zu sagen: „Diese regelmäßigen Ausgänge Schenk’s sind mir doch neu gewesen, und auf der Harmonie habe ich ihn selten genug gesehn.“

„Das schien der Herr Assessor auch zu meinen,“ erwiderte sie, trübe den Kopf schüttelnd, „wenn er es auch nicht geradezu aussprach, weil er ebenso wenig wie Sie die arme Mutter betrüben wollte. Und sehn Sie, Herr Hauptmann, ich habe über diese Ausgänge stets meine eigenen Gedanken gehabt. Es hätte doch dem Herrn Rath wahrhaftig gleichgültig sein können, ob er hin und wieder etwas später in die Harmonie und zu seiner Lectüre kam, allein er war bei jeder kleinen, gelegentlichen Verzögerung so ungeduldig, ja so gereizt, wie ich ihn früher nie gekannt, und kam endlich dann fast nie mehr zu uns hinein, wie er es doch sonst vor jedem Ausgange that. Und endlich –,“ setzte sie wiederum kopfschüttelnd hinzu, – „die Frau Medicinalrath meint, er sei Abends dann so heiter und liebenswürdig gewesen, doch darin muß ich ihr geradezu widersprechen. Sie hätten das auch wohl beobachten können, Herr Hauptmann, obschon er sich natürlich Ihnen gegenüber mehr zusammennahm – ich fand ihn dann wohl milde und freundlich, aber auch häufig sehr zerstreut und träumerisch. Ich hatte vor Weihnacht schon im Sinn, mich bei Ihnen oder Huber zu erkundigen, ob unser Robert vielleicht hoch spiele und stark verliere, so erschien mir sein Wesen. Nachher aber ließ ich’s lieber. Es war dergleichen doch so gar nicht in seiner Art, und er war am Ende doch auch zu generös und willensstark, um sich durch einen Verlust derartig verstimmen zu lassen, oder, wenn derselbe über eine vernünftige Grenze hinausging, das Spiel nicht ganz aufzugeben. Wirklich, ich weiß nicht, was ich davon denken soll.“

„Ich ging nach diesem kurzen Gespräch noch bei weitem nachdenklicher aus dem Hause. Es blieb aber für’s Erste dabei, denn einerseits hatte ich grade jetzt viel mit der Compagnie zu thun, andrerseits traf ich in meinen Freistunden entweder nicht mit den betreffenden Beamten zusammen oder fand mich mit ihnen nicht allein, und endlich passirte nichts Neues. Die gerichtliche Bekanntmachung des Falles war geschehn – man mußte jetzt die Folgen abwarten. Einstweilen blieb Alles still, und wie ich von Sinefsky erfuhr, hatte sich selbst in der großen Menge noch kein sonst so leicht entstehender Verdacht, keine Ahnung des Thäters, möchte ich es nennen, herausgebildet. Man glaubte im Allgemeinen fest daran, daß der Mörder kein Einheimischer gewesen, und der lebhafte Verkehr in der an einer großen Straße gelegenen Stadt ließ eine solche Annahme allerdings als die nächstliegende erscheinen. An eine genaue Controle aller Ein-, Aus- und Durchpassirenden war gar nicht zu denken, wäre dergleichen damals auch schon üblich gewesen.

„Am Sonntag Nachmittag begruben wir den unglücklichen Freund unter der größten Theilnahme der ganzen Bevölkerung, und als wir vom Kirchhof zurückkehrten, nahm Huber meinen Arm und sprach mich fortziehend: „Wenn Sie nichts Besonderes vorhaben, Hauptmann – in’s „hohe Haus“ gehn Sie doch wohl nicht? – so lassen Sie uns zurück gehen und trinken Sie mit uns Ihren Thee; meine Frau wird jetzt auch wieder daheim sein und Sie gern sehn. Sie haben sich rar gemacht, Hauptmann.“

„Das scheint Ihnen nur so,“ versetzte ich lächelnd. „Täglich wie bisher, so lange Leybold bei Ihnen wohnte, kann ich allerdings nicht mehr einsprechen. Aber sei es heut, wie Sie wünschen; ich bin frei und acceptire mit Dank.“

„Und so gingen wir bei dem prachtvollen Frühlingswetter langsam über die Wälle, bis wir durch’s Pfaffenthor in die Stadt und zu Huber’s naher Wohnung gelangten. Seine Frau war noch nicht von der Mutter des Ermordeten zurück, und das Mädchen berichtete, daß inzwischen „die Frau Professor“ einmal selber dagewesen und nachher noch einmal habe fragen lassen, ob Frau Huber noch nicht daheim, sie müsse sie sprechen.

„Huber sah das Mädchen betroffen an. „So so,“ meinte er dann aber anscheinend gleichgültig, „ist sie schon wieder zurück?“ Abbrechend gab er darauf im gleichen Ton die Weisung, man solle uns von der Rückkehr seiner Frau benachrichtigen, und führte mich die Treppe hinauf in sein Arbeitszimmer. Er war und blieb zerstreut, und erst als ich nach einer Weile von dem zu reden anfing, was ich über Schenk’s Ausgänge an jenem Morgen erfahren, und ihn endlich offen fragte, ob er bei seinen damaligen Andeutungen und Fragen nicht am Ende doch etwas Bestimmtes im Auge gehabt, wurde er aufmerksam, ja finster.

„Sehn Sie, Hauptmann,“ sprach er, „was Sie mir sagten, weiß auch ich durch Sterning’s Mittheilungen; ich selbst mochte die alte Frau nicht quälen mit solchem Forschen und Fragen, obschon ich ebenso wie Sterning glaube, daß hier der einzige Anknüpfungspunkt für eine weitere Verfolgung und etwaige Aufklärung des Falles liegt. Daß Sie grade so zu denken scheinen, bestärkt mich in meiner Ansicht. Ich habe aber diesen Glauben schon früher gehabt, und – unter uns – meine Fragen an jenem Abend waren wirklich nicht ohne Grund. Ich gebe zu, daß es sogar wahrscheinlich nichts, vielleicht die baare Thorheit ist; ich selbst wenigstens sehe bisher nicht das Geringste, was für die Vermuthung spräche, es könnten hier Fäden versteckt liegen, aus denen sich so oder so allmählich ein Verbrechen entwickelt. Gleichviel aber – es steht fest, daß es in Freund Schenk’s Leben etwas gab, was uns Allen und sogar seiner Mutter verborgen bleiben sollte. Und grade heraus – wir sind ja beide Männer von Ehre und können so etwas schon unter uns bereden – mir war nicht lange vor seinem Tode ein Gerücht zu Ohren gekommen, nach welchem er neuerdings seine Abende ziemlich häufig bei – nun bei eben der Frau zubringen sollte, von der uns drunten das Mädchen gesagt.“

„Die Frau Professor?“ fragte ich gespannt. „Wer ist das aber?“

„Ei,“ sagte er, „kennen Sie sie nicht? Sie ist doch unter dem Titel fast besser bekannt als unter ihrem Namen. Es ist die Wittwe des vor ein paar Jahren verstorbenen Professors und Gymnasiallehrers Gering – Anna Gering – Sie müssen von ihr gehört haben, Hauptmann. Sie treibt es leider so, daß man nur zu viel von ihr spricht, obgleich ich glaube, daß sie besser ist – nicht nur als ihr Ruf, sondern auch als man zuweilen aus ihrem seltsamen und unvorsichtigen Benehmen schließen möchte. Wittwenhaft lebt sie freilich keinenfalls, aber das läßt sich entschuldigen. Sie ist einmal lebenslustig und hat leichtes Blut, und daß sie ihrem Manne nachtrauert, ist nicht wohl zu verlangen; er war weder als Mensch noch als Gatte besonders rühmenswerth und hat ihr sicher wenig genug Glück gegeben. Dessenungeachtet war ihr Leben seither so eigenthümlich, daß ein häufiger Verkehr mit ihr – so lockend er auch ihrer Schönheit und Liebenswürdigkeit wegen Manchem erscheinen mag – keinem anständigen Menschen zur besondern Ehre gereichen konnte. Ich kann nicht leugnen,“ setzte er hinzu, „daß das Aufhören des Umgangs zwischen meiner Frau und ihr – sie sind Jugendfreundinnen – mir sehr willkommen war.“

„Also die!“ sprach ich, da er schwieg. Als er die Dame genannt hatte, war ich freilich auch sogleich orientirt gewesen, denn man redete allerdings genug von ihr. Ich habe aber zu seinen Worten nichts hinzuzufügen, sie malen das schöne, wilde und lustige Geschöpf für euch hinreichend. „Es wäre in der That merkwürdig, wenn Schenk’s Härte dort geschmolzen,“ fuhr ich fort. „Er hat also auch selber gefühlt, daß davon am besten zu schweigen, aber im Uebrigen –“

„Richtig, richtig,“ unterbrach er mich; „ich sagte ja schon: auch ich finde hierbei nicht das Geringste, was bei der Mordgeschichte von Wichtigkeit sein könnte. Ich bin jetzt nur einmal wirklich neugierig, was sie so Dringendes mit meiner Frau zu reden haben mag. Sie war seit vierzehn Tagen verreist, um ihre Tochter in einer Pension der Residenz unterzubringen, und wollte, wie ich von ihr gehört zu haben glaube, bis zum Mai dort bleiben.“

„Ich gestehe, daß ich Huber nicht recht verstand. Es ging noch etwas Anderes in ihm vor als das, von dem er mir gesagt. Und wenn diese – Liaison zwischen der schönen Frau und dem Freunde wirklich existirt hatte, so begriff ich dennoch nicht, was man eigentlich darüber so furchtbar zu erstaunen brauchte, und noch weniger, wie man von hier aus – und sei es auch auf den weitesten Umwegen – zu einer auch nur annähernden Erklärung der letzten Katastrophe gelangen konnte. Ich sprach mich auch noch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_046.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)